Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)
11. September 2024(* )
„ Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Belassung des Namens des Klägers auf der Liste – Begriff ‚Verbindung‘ – Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145/GASP – Begriff ‚Profitieren von in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten‘ – Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145 – Beurteilungsfehler – Außervertragliche Haftung “
In der Rechtssache T‑744/22,
Maya Tokareva, wohnhaft in Moskau (Russland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt T. Bontinck sowie Rechtsanwältinnen A. Guillerme, L. Burguin und M. Brésart,
Klägerin,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch M.‑C. Cadilhac und V. Piessevaux als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Maingain,
Beklagter,
unterstützt durch
Europäische Kommission, vertreten durch C. Giolito, C. Georgieva und L. Puccio als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann, des Richters R. Mastroianni, der Richterin M. Brkan (Berichterstatterin) sowie der Richter I. Gâlea und S. L. Kalėda,
Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere
– der am 25. November 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
– des am 22. Mai 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen ersten Anpassungsschriftsatzes,
– des am 25. September 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen zweiten Anpassungsschriftsatzes,
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, Frau Maya Tokareva, zum einen gemäß Art. 263 AEUV die Nichtigerklärung erstens des Beschlusses (GASP) 2022/1530 des Rates vom 14. September 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 239, S. 149) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1529 des Rates vom 14. September 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 239, S. 1) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022), zweitens des Beschlusses (GASP) 2023/572 des Rates vom 13. März 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 75 I, S. 134) und der Durchführungsverordnung (EU) 2023/571 des Rates vom 13. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 75 I, S. 1) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023) sowie drittens des Beschlusses (GASP) 2023/1767 des Rates vom 13. September 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 226, S. 104) und der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1765 des Rates vom 13. September 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 226, S. 3) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023), soweit mit diesen Rechtsakten (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte) ihr Name auf den ihnen beigefügten Listen belassen wird, und zum anderen gemäß Art. 268 AEUV Ersatz des Schadens, der ihr durch den Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 entstanden sein soll.
I. Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerin ist russische Staatsangehörige.
3 Hintergrund der vorliegenden Rechtssache sind die restriktiven Maßnahmen, die angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, und insbesondere angesichts des am 24. Februar 2022 erfolgten militärischen Angriffs der Russischen Föderation auf dieses Land erlassen wurden.
4 Am 17. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union gemäß Art. 29 EUV den Beschluss 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16). Am selben Tag erließ er gemäß Art. 215 Abs. 2 AEUV die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6).
5 Am 25. Februar 2022 erließ der Rat zum einen den Beschluss (GASP) 2022/329 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 50, S. 1) und zum anderen die Verordnung (EU) 2022/330 zur Änderung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 51, S. 1). Art. 2 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2014/145 sieht in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung vor:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum stehen oder gehalten oder kontrolliert werden von:
…
d) natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell unterstützen oder von diesen profitieren;
…
f) natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die die Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist, materiell oder finanziell unterstützen oder von dieser profitieren;
…
und den mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Anhang aufgeführt sind, werden eingefroren.
2. Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.“
6 Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und d des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung verbietet natürlichen Personen, die die Kriterien erfüllen, die im Wesentlichen den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und f dieses Beschlusses genannten entsprechen, die Einreise in oder die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.
7 Die Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung sieht den Erlass von Maßnahmen des Einfrierens von Geldern vor und regelt die Modalitäten dieses Einfrierens im Wesentlichen wortgleich mit dem Beschluss 2014/145. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis g dieser Verordnung in geänderter Fassung übernimmt nämlich im Wesentlichen den Inhalt von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis g dieses Beschlusses in geänderter Fassung.
8 In diesem Zusammenhang erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2022/337 vom 28. Februar 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 59, S. 1) und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/336 vom 28. Februar 2022 zur Durchführung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 58, S. 1), mit denen der Vater der Klägerin in die Liste im Anhang des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung und in die Liste in Anhang I der Verordnung Nr. 269/2014 in geänderter Fassung (im Folgenden: streitige Listen) mit folgender Begründung aufgenommen wurde:
„Nikolay Tokarev leitet das Unternehmen Transneft, ein bedeutendes Öl- und Gasunternehmen in Russland. Er ist ein langjähriger Bekannter und enger Berater von Vladimir Putin. In den 1980er Jahren arbeitete er zusammen mit Putin für den KGB. Nikolay Tokarev gehört zu jenen Oligarchen des russischen Staates, die in den 2000er Jahren, als Putin seine Macht konsolidierte, die Kontrolle über große Staatsvermögen erlangten und die in enger Partnerschaft mit dem russischen Staat zusammenarbeiten. N. Tokarev ist mit der Leitung von Transneft betraut, einem der wichtigsten Unternehmen unter staatlicher Kontrolle, das erhebliche Mengen russischen Öls durch ein gut entwickeltes Netz von Ölpipelines befördert.
Unter der Leitung von Nikolay Tokarev ist Transneft einer der wichtigsten Geldgeber für den Palastkomplex in der Nähe von Gelendzhik, von dem allgemein angenommen wird, dass er von Präsident Putin persönlich genutzt wird. Er profitiert von seiner Nähe zur russischen Regierung. Enge Verwandte und Bekannte von N. Tokarev konnten sich durch Aufträge staatseigener Unternehmen persönlich bereichern.
Daher hat er russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell aktiv unterstützt und von diesen profitiert.“
9 Mit dem Beschluss (GASP) 2022/1272 des Rates vom 21. Juli 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 193, S. 219) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1270 des Rates vom 21. Juli 2022 zur Durchführung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 193, S. 133) wurde der Name der Klägerin mit folgender Begründung in die streitigen Listen aufgenommen:
„[Die Klägerin] ist die Tochter Nikolay Tokarevs, des Geschäftsführers von Transneft, eines bedeutenden Öl- und Gasunternehmens in Russland. [Die Klägerin] und ihr ehemaliger Ehemann Andrei Bolotov sind Eigentümer von Luxusimmobilien in Moskau, Lettland und Kroatien im Wert von über 50 Mio. [US-Dollar (USD)], die mit Nikolay Tokarev in Verbindung gebracht werden können. Sie hat auch Verbindungen zum Unternehmen Ronin, das den Pensionsfonds für Transneft verwaltet. Als sie die zyprische Staatsbürgerschaft beantragte, gab sie die Anschrift von Ronin als ihre eigene Anschrift an. Überdies hat [die Klägerin] staatliche Aufträge im Wert von über 8 Mrd. [russische] Rubel [(RUB)] erhalten, und zwar über das Unternehmen Irvin-2, dessen Eigentümerin sie gemeinsam mit Stanislav Chemezov, dem Sohn des Rostec-Geschäftsführers Sergei Chemezov, ist. [Die Klägerin] ist somit eine natürliche Person, die mit gelisteten Personen, und zwar ihrem Vater Nikolay Tokarev und Stanislav Chemezov, in Verbindung steht.“
10 Mit denselben Rechtsakten wurde der Name von Herrn Stanislav Chemezov mit folgender Begründung in die streitigen Listen aufgenommen:
„Stanislav Sergeyevich Chemezov ist der Sohn Sergei Chemezovs, eines Mitglieds des Obersten Rates von ‚Vereintes Russland‘ und Vorsitzenden des Rostec-Konglomerats, des führenden staatlich kontrollierten Rüstungs- und Industriekonzerns Russlands. Stanislav Chemezov war Eigentümer einer Offshore-Gesellschaft namens Erlinglow Ltd, die von dem von Rostec ausgeführten Bau eines 550 Mio. USD teuren nationalen Glasfaser-Hochgeschwindigkeitsnetzes profitiert hat. Überdies ist er gemeinsam mit [der Klägerin], der Tochter Nikolay Tokarevs, Miteigentümer mehrerer Offshore-Gesellschaften, unter anderem des Unternehmens Irvin-2, das Aufträge im Umfang von 8 Mrd. [RUB] erhalten hat. Im Gegenzug gestattete die Familie Tokarev der Familie Chemezov, Transneft die Mittel zu kürzen. Stanislav Chemezov ist außerdem Eigentümer des Unternehmens Independent Insurance Group, das umfangreiche Versicherungsverträge im Verteidigungssektor verwaltet, auch für den Rüstungskonzern Rostec, dessen Geschäftsführer sein Vater Sergei Chemezov ist. Stanislav Chemezov ist somit eine natürliche Person, die mit einer gelisteten Person in Verbindung steht.“
11 Der Rat veröffentlichte im Amtsblatt der Europäischen Union vom 22. Juli 2022 (ABl. 2022, C 281 I, S. 7) eine Mitteilung an die Personen, Organisationen und Einrichtungen, die den restriktiven Maßnahmen nach dem Beschluss 2022/1272 und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1270 unterliegen. In dieser Mitteilung wurde u. a. darauf hingewiesen, dass die betroffenen Personen beim Rat unter Vorlage von entsprechenden Nachweisen beantragen könnten, dass der Beschluss, ihre Namen in die Listen in den Anhängen der angefochtenen Rechtsakte aufzunehmen, überprüft werde.
12 Mit E‑Mail vom 2. September 2022 beantragte die Klägerin Zugang zu allen Dokumenten, die vom Rat und vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) vorgelegt wurden und sich in deren Besitz befanden und als Grundlage für den Erlass der sie betreffenden restriktiven Maßnahmen dienten, um einen Antrag auf Überprüfung auszuarbeiten.
13 Am 14. September 2022 beließ der Rat mit den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 den Namen der Klägerin mit der oben in Rn. 9 genannten Begründung auf den streitigen Listen.
14 Am 30. September 2022 antwortete der Rat auf den oben in Rn. 12 genannten Antrag der Klägerin und übermittelte die in der Akte mit dem Aktenzeichen WK 10502/2022 INIT vom 8. März 2022 (im Folgenden: ursprüngliche Beweisakte) enthaltenen Informationen.
15 Mit E‑Mail vom 31. Oktober 2022 stellte die Klägerin beim Rat einen Antrag auf Überprüfung.
II. Nach Klageerhebung eingetretene Ereignisse
16 Mit den Fortsetzungsrechtsakten vom März 2023 wurde der Name der Klägerin mit folgender Begründung auf den streitigen Listen belassen:
„[Die Klägerin] ist die Tochter Nikolay Tokarevs, des Geschäftsführers von Transneft, eines bedeutenden Öl- und Gasunternehmens in Russland. [Die Klägerin] und ihr ehemaliger Ehemann Andrei Bolotov sind Eigentümer von Luxusimmobilien in Moskau, Lettland und Kroatien im Wert von über 50 Mio. USD, die mit Nikolay Tokarev in Verbindung gebracht werden können. Sie hat auch Verbindungen zum Unternehmen Ronin, das den Pensionsfonds für Transneft verwaltet. Als sie die zyprische Staatsbürgerschaft beantragte, gab sie in der Presseankündigung die Anschrift von Ronin Europe als ihre eigene Anschrift an. Darüber hinaus ist sie über ihre Immobiliengesellschaft Ostozhenka 19 (vormals RPA Est[ate]) mit dem Ronin-Trust verbunden, der den Transneft-Pensionsfonds verwaltet. [Die Klägerin] hat staatliche Aufträge im Wert von über 8 Mrd. RUB erhalten, und zwar über das Unternehmen Irvin-2, dessen Eigentümerin sie gemeinsam mit Stanislav Chemezov, dem Sohn des Rostec-Geschäftsführers Sergei Chemezov, war. Derzeit hält sie gemeinsam mit Stanislav Sergeevich Chemezov Anteile am Gelendzhik Resort Complex – Meridian LLC. [Die Klägerin] ist somit eine natürliche Person, die mit gelisteten Personen, und zwar ihrem Vater Nikolay Tokarev und Stanislav Chemezov, in Verbindung steht.“
17 Mit E‑Mail vom 14. März 2023 teilte der Rat der Klägerin mit, dass ihr Name auf den streitigen Listen belassen werde, und gab eine Stellungnahme zu den in ihrem Überprüfungsantrag vom 31. Oktober 2022 vorgebrachten Argumenten ab.
18 Mit E‑Mail vom 31. März 2023 teilte der Rat der Klägerin schriftlich mit, dass die Umstände, auf die er sich zur Rechtfertigung der Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen gestützt habe, in den Akten mit den Aktenzeichen WK 1128/2023 INIT, WK 1128/2023 ADD 1 und WK 1128/2023 ADD 2 vom 25. Januar 2023, 27. Januar 2023 bzw. 30. Januar 2023 (im Folgenden zusammen: Beweisakten vom Januar 2023) enthalten seien.
19 Am 5. Juni 2023 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2023/1094 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2023, L 146, S. 20). Mit diesem Beschluss änderte er Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145 wie folgt:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum stehen oder gehalten oder kontrolliert werden von:
…
g) in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten und ihren unmittelbaren Familienangehörigen oder anderen natürlichen Personen, die von ihnen profitieren, oder Geschäftsleuten, juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die in Bereichen der Wirtschaft tätig sind, die der Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist, als wichtige Einnahmequelle dienen[, werden eingefroren].“
20 Mit Schreiben vom 19. Juni 2023 teilte der Rat der Klägerin mit, dass er beabsichtige, die restriktiven Maßnahmen auf der Grundlage von gegenüber den Gründen in den Fortsetzungsrechtsakten vom März 2023 geänderten Gründen aufrechtzuerhalten. Der Rat legte diesem Schreiben die Akte WK 8181/2023 INIT vom 15. Juni 2023 (im Folgenden: Beweisakte vom Juni 2023) bei und forderte die Klägerin auf, zu dem Entwurf der Verlängerung der gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen Stellung zu nehmen.
21 Mit Schreiben vom 10. Juli 2023 teilte der Rat der Klägerin mit, dass er beabsichtige, die restriktiven Maßnahmen auf der Grundlage eines gegenüber dem Entwurf, der ihr am 19. Juni 2023 übermittelt worden sei, geänderten Begründungsentwurfs aufrechtzuerhalten. Der Rat legte diesem Schreiben auch die Akte WK 5142/2023 INIT vom 4. Juli 2023 mit zusätzlichen Informationen über die Klägerin (im Folgenden: Beweisakte vom Juli 2023) sowie die Akte WK 5142/2023 INIT vom 20. April 2023 bei, in der Beweise zum Geschäftsumfeld und zur Wirtschaft der Russischen Föderation enthalten waren, und forderte die Klägerin auf, zu dem Entwurf der Verlängerung der gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen Stellung zu nehmen.
22 Mit Schreiben vom 18. August 2023 übermittelte der Rat der Klägerin die Akte WK 5142/2023 ADD 1 vom 16. August 2023, in der Beweise zum Geschäftsumfeld und zur Wirtschaft der Russischen Föderation enthalten waren, und forderte die Klägerin zur Stellungnahme auf.
23 Mit den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2023 beließ der Rat den Namen der Klägerin mit folgender Begründung auf den streitigen Listen:
„[Die Klägerin] ist die Tochter von Nikolay Tokarev, dem Geschäftsführer von Transneft, eines bedeutenden Öl- und Gasunternehmens in Russland. [Die Klägerin] und ihr ehemaliger Ehemann Andrei Bolotov sind Eigentümer von Luxusimmobilien in Moskau, Lettland und Kroatien im Wert von über 50 Mio. USD, die mit Nikolay Tokarev in Verbindung gebracht werden können. Sie hat auch Verbindungen zum Unternehmen Ronin, das den Pensionsfonds für Transneft verwaltet. Als sie die zyprische Staatsbürgerschaft beantragte, gab sie in der Presseankündigung die Anschrift von Ronin Europe als ihre eigene Anschrift an. Darüber hinaus ist sie über ihre Immobiliengesellschaft Ostozhenka 19 (vormals RPA Est[ate]) mit dem Ronin-Trust verbunden, der den Transneft-Pensionsfonds verwaltet. [Die Klägerin] ist daher eine nahe Angehörige, die von Nikolay Tokarev, einem der führenden in Russland tätigen Geschäftsleute, profitiert.“
III. Anträge der Parteien
24 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie sie betreffen;
– den Rat zu verurteilen, ihr den Betrag von 1 000 000 Euro als Ersatz des ihr durch den Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 entstandenen immateriellen Schadens zu zahlen;
– dem Rat die Kosten aufzuerlegen.
25 Der Rat, unterstützt durch die Kommission, beantragt:
– den Antrag auf Nichtigerklärung zurückzuweisen;
– hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht die gegen die Klägerin erlassenen restriktiven Maßnahmen für nichtig erklären sollte, anzuordnen, dass die Wirkungen der Beschlüsse 2022/1530, 2023/572 und 2023/1767 aufrechterhalten werden, bis die teilweise Nichtigerklärung der Durchführungsverordnungen 2022/1529, 2023/571 und 2023/1765 wirksam wird;
– den Antrag auf Schadensersatz zurückzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
IV. Rechtliche Würdigung
A. Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte
26 Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin sechs Klagegründe geltend.
27 In ihrer Klageschrift bringt die Klägerin vier Klagegründe vor. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie eine Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und einen Verstoß gegen die Begründungspflicht. Mit dem zweiten Klagegrund rügt sie einen Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler. Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und eine Verletzung von Grundrechten gerügt. Mit dem vierten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung gerügt. In ihrem ersten Anpassungsschriftsatz bringt die Klägerin einen fünften Klagegrund vor, mit dem sie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt. In ihrem zweiten Anpassungsschriftsatz bringt die Klägerin einen sechsten Klagegrund vor, mit dem sie die Einrede der Rechtswidrigkeit des Kriteriums der „Personen, die von in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten profitieren“, erhebt, das im zweiten Teil von Art. 1 Abs. 1 Buchst. e und Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2023/1094 geänderten Fassung vorgesehen ist (im Folgenden: zweiter Teil des geänderten Kriteriums g).
28 Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den zweiten Klagegrund zu prüfen, mit dem ein Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler gerügt werden.
1. Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler
29 In ihrer Klageschrift und in ihrem ersten Anpassungsschriftsatz macht die Klägerin geltend, der Rat habe mit dem Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 und vom März 2023 einen Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler begangen, indem er ihren Namen auf der Grundlage des in Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehenen Kriteriums der verbundenen Person auf den streitigen Listen belassen habe. Außerdem wendet sie sich in ihrer Klageschrift gegen die etwaige Aufnahme ihres Namens auf der Grundlage des in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d dieses Beschlusses vorgesehenen Kriteriums.
30 In ihrem zweiten Anpassungsschriftsatz macht die Klägerin geltend, der Rat habe in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2023 einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem er ihren Namen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g auf den streitigen Listen belassen habe.
a) Vorbemerkungen
31 Soweit mit dem vorliegenden Klagegrund offensichtliche Beurteilungsfehler geltend gemacht werden, ist davon auszugehen, dass mit ihm Beurteilungsfehler gerügt werden. Denn der Rat hat zwar ein gewisses Ermessen, um im Einzelfall festzustellen, ob die rechtlichen Kriterien, auf die die betreffenden restriktiven Maßnahmen gestützt werden, erfüllt sind, doch müssen die Unionsgerichte eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union gewährleisten (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistete Effektivität der gerichtlichen Kontrolle erfordert u. a., dass sich der Unionsrichter vergewissert, ob die Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen erlassen oder aufrechterhalten werden und die eine individuelle Betroffenheit der betroffenen Person oder Organisation begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119, und vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 62).
33 Bei dieser Beurteilung sind die Beweise und Informationen nicht isoliert, sondern in dem Zusammenhang zu prüfen, in dem sie stehen. Der Rat genügt der ihm obliegenden Beweislast, wenn er vor dem Unionsrichter auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person oder Organisation, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime oder ganz allgemein den bekämpften Situationen besteht (vgl. Urteil vom 20. Juli 2017, Badica und Kardiam/Rat, T‑619/15, EU:T:2017:532, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 63 und 66).
34 Im Streitfall ist es Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person oder Organisation angeführten Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind. Hierzu braucht der Rat dem Unionsrichter nicht sämtliche Informationen und Beweise vorzulegen, die mit den Gründen zusammenhängen, die in dem Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, angegeben werden. Die vorgelegten Informationen oder Beweise müssen die Gründe stützen, die gegen die betroffene Person oder Organisation angeführt werden (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121 und 122, und vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, C‑280/12 P, EU:C:2013:775, Rn. 66 und 67; vgl. auch Urteil vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 In diesem Fall ist es Sache des Unionsrichters, die inhaltliche Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen anhand dieser Informationen oder Beweise zu prüfen und deren Beweiskraft anhand der Umstände des Einzelfalls und im Licht etwaiger dazu abgegebener Stellungnahmen, insbesondere der betroffenen Person oder Organisation, zu würdigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 124).
36 Insbesondere in Bezug auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte, mit denen der Name der betroffenen Person auf den streitigen Listen belassen wird, ist darauf hinzuweisen, dass restriktive Maßnahmen Sicherungscharakter haben und definitionsgemäß vorläufiger Natur sind, so dass ihre Gültigkeit immer von der Fortdauer der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die ihrem Erlass zugrunde gelegen haben, sowie von der Notwendigkeit abhängig ist, sie zur Erreichung des mit ihnen verbundenen Ziels aufrechtzuerhalten. Insoweit obliegt es dem Rat, bei der regelmäßigen Überprüfung dieser Maßnahmen eine aktualisierte Bewertung der Lage vorzunehmen und eine Bilanz der Auswirkungen dieser Maßnahmen zu ziehen, um festzustellen, ob sie es ermöglicht haben, die mit der ursprünglichen Aufnahme der Namen der betreffenden Personen und Organisationen in die streitige Liste verfolgten Ziele zu erreichen, oder ob im Hinblick auf diese Personen und Organisationen nach wie vor dieselbe Schlussfolgerung gezogen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2022, Ilunga Luyoyo/Rat, T‑108/21, EU:T:2022:253, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung; Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 67).
37 Daraus folgt, dass es dem Rat nicht verwehrt ist, sich zur Rechtfertigung der Belassung des Namens einer Person auf einer Liste der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen und Organisationen auf die gleichen Beweise zu stützen, die die erste Aufnahme, die erneute Aufnahme oder die frühere Belassung des Namens des Klägers auf dieser Liste gerechtfertigt haben, sofern zum einen die Gründe für die Aufnahme unverändert sind und sich zum anderen der Kontext nicht in einer Weise weiterentwickelt hat, dass diese Beweise obsolet geworden wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Kaddour/Rat, T‑510/18, EU:T:2020:436, Rn. 99). Insoweit sind, wenn sich der Kontext weiterentwickelt, zum einen die Situation des Landes, gegenüber dem das System restriktiver Maßnahmen errichtet wurde, sowie die besondere Situation der betroffenen Person (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 78, und vom 23. September 2020, Kaddour/Rat, T‑510/18, EU:T:2020:436, Rn. 101) und zum anderen alle relevanten Umstände und insbesondere die Tatsache zu berücksichtigen, dass die mit den restriktiven Maßnahmen angestrebten Ziele nicht erreicht worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2022, Ilunga Luyoyo/Rat, T‑108/21, EU:T:2022:253, Rn. 56; vgl. in diesem Sinne und entsprechend auch Urteil vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 82 bis 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Im vorliegenden Fall geht aus den Aufnahmegründen in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 und vom März 2023 klar hervor, dass der Name der Klägerin nur auf der Grundlage des in Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehenen Kriteriums der verbundenen Person auf den streitigen Listen belassen wurde. Der Rat hat bestätigt, dass die Rechtsgrundlage für die Aufnahme des Namens der Klägerin in diese Listen und seine Belassung darauf nicht das in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d dieses Beschlusses vorgesehene Kriterium sei. Daraus folgt, dass das Vorbringen, mit dem die Belassung des Namens der Klägerin auf der Grundlage des in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehenen Kriteriums beanstandet wird, ins Leere geht.
39 Im Licht dieser einleitenden Erwägungen ist zu prüfen, ob der Rat einen Beurteilungsfehler begangen hat, als er zum einen beschlossen hat, den Namen der Klägerin durch den Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 und vom März 2023 auf der Grundlage des in Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehenen Kriteriums der verbundenen Person auf den streitigen Listen zu belassen, und zum anderen, ihren Namen durch den Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 auf der Grundlage des zweiten Teils des Kriteriums g auf diesen Listen zu belassen.
40 Aus den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 und vom März 2023 geht hervor, dass der Name der Klägerin auf der Grundlage des Kriteriums der verbundenen Person mit der Begründung in die Listen aufgenommen wurde, dass sie zum einen mit ihrem Vater, Herrn Nikolay Tokarev, und zum anderen mit Herrn Stanislav Chemezov in Verbindung stehe.
41 Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst das Vorbringen zu prüfen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, es sei rechtsfehlerhaft gewesen, die Klägerin mit der Begründung in die streitigen Listen aufzunehmen, dass sie mit Herrn Stanislav Chemezov, der ebenfalls als verbundene Person in die streitigen Listen aufgenommen worden sei, in Verbindung stehe.
b) Zu einem Rechtsfehler aufgrund der Aufnahme der Klägerin als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person
42 Die Klägerin macht geltend, der Rat habe einen Rechtsfehler begangen, indem er sie insbesondere deshalb als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person in die streitigen Listen aufgenommen habe, weil dieser ebenfalls aufgrund seiner Verbindung zu seinem Vater, Herrn Serguey Chemezov, in die streitigen Listen aufgenommen worden sei. Nach Ansicht der Klägerin sieht die Regelung nicht die Möglichkeit vor, die Aufnahme des Namens einer Person in die streitigen Listen damit zu begründen, dass sie mit einer Person in Verbindung stehe, deren Name dort ebenfalls auf der Grundlage des Kriteriums der verbundenen Person eingetragen sei. Aufgrund des Kriteriums der verbundenen Person könne eine Person nur dann in diese Listen eingetragen werden, wenn sie mit einer in den Buchst. a, b, c, d, e oder f von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/145 genannten Person in Verbindung stehe. Außerdem macht die Klägerin in ihrem ersten Schriftsatz zur Anpassung der Klageanträge geltend, die Unmöglichkeit, eine Person deshalb als verbundene Person in die streitigen Listen einzutragen, weil sie mit einer Person in Verbindung stehe, die ebenfalls als verbundene Person in diese Listen aufgenommen worden sei, stehe im Einklang mit der Rechtsprechung, die verlange, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Organisation, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen sei, und dem bekämpften Regime oder ganz allgemein den bekämpften Situationen bestehe.
43 Mit einer prozessleitenden Maßnahme hat das Gericht den Rat aufgefordert, anzugeben, auf welcher Grundlage eine Person in die streitigen Listen als verbundene Person aufgenommen werden kann, die mit einer anderen Person in Verbindung steht, die ebenfalls als eine mit einer dritten Person verbundene Person in diese Listen aufgenommen wurde.
44 In der mündlichen Verhandlung hat der Rat vorgetragen, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Benennung einer Person, die mit einer Person verbunden sei, die ihrerseits als Person benannt werde, die mit einer in die streitigen Listen aufgenommenen Person verbunden sei, unter der Voraussetzung gerechtfertigt sein könne, dass eine solche Benennung verhältnismäßig sei, um die mit den restriktiven Maßnahmen verfolgten Ziele zu erreichen. Nach Ansicht des Rates ist dies der Fall, wenn ein Muster vorliege, das durch ein Netz von Beziehungen zwischen einer Vielzahl von Personen gekennzeichnet sei, in dem die Hauptverbindung von zwei Personen, die ihrerseits mit anderen Personen verbunden seien, Teil eines „umfassenderen Geflechts“ sei, dessen Erfassung mittels restriktiver Maßnahmen gerechtfertigt sei, um insbesondere die Umgehung der restriktiven Maßnahmen zu verhindern.
45 Insoweit ist in Bezug auf das in Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehene Kriterium der verbundenen Person hervorzuheben, dass der Begriff „Verbindung“ in den Rechtsakten des Rates zwar oft im Zusammenhang mit restriktiven Maßnahmen verwendet wird, er jedoch als solcher nicht definiert ist und seine Bedeutung vom jeweiligen Kontext und den jeweiligen Umständen abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juli 2016, Tomana u. a./Rat und Kommission, C‑330/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:601, Rn. 48; vom 4. September 2015, NIOC u. a./Rat, T‑577/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:596, Rn. 114, und vom 21. Juli 2016, Bredenkamp u. a./Rat und Kommission, T‑66/14, EU:T:2016:430, Rn. 35 bis 37). Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich um Personen handelt, die allgemein durch gemeinsame Interessen verbunden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2023, Prigozhina/Rat, T‑212/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:104, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Zur Tragweite des Kriteriums der verbundenen Person geht aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung hervor, dass zum einen die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden, die Personen gehören, die auf der Grundlage der in den Buchst. a bis h von Art. 2 Abs. 1 dieses Beschlusses aufgeführten Benennungskriterien benannt werden, und zum anderen die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen gehören. Das Wort „ihnen“ im Ausdruck „mit ihnen verbunden“, das im Rahmen des Kriteriums der verbundenen Person verwendet wird, zielt ausschließlich auf Personen, Organisationen oder Einrichtungen ab, die auf der Grundlage eines der in den Buchst. a bis h von Art. 2 Abs. 1 dieses Beschlusses vorgesehenen Benennungskriterien benannt werden.
47 Somit ergibt sich aus einer wörtlichen Auslegung von Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung, dass, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, eine natürliche oder juristische Person, Organisation oder Einrichtung nur aufgrund einer Verbindung zu einer anderen natürlichen oder juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die auf der Grundlage eines oder mehrerer der in den Buchst. a bis h von Art. 2 Abs. 1 dieses Beschlusses vorgesehenen Benennungskriterien in die streitigen Listen aufgenommen wurde, in diese Listen aufgenommen werden kann.
48 Zwar betrifft das Kriterium der verbundenen Person, wie der Rat ausführt, jede Person, die eine Verbindung zu einer Person aufweist, die auf der Grundlage eines oder mehrerer der in den Buchst. a bis h von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehenen Kriterien in die streitigen Listen aufgenommen wurde, weil die nicht unerhebliche Gefahr besteht, dass die auf der Grundlage eines oder mehrerer dieser Kriterien mit einer Sanktion belegten Personen zur Umgehung der gegen sie gerichteten restriktiven Maßnahmen Druck auf die Personen ausüben, mit denen sie in Verbindung stehen (vgl. entsprechend Urteile vom 4. September 2015, NIOC u. a./Rat, T‑577/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:596, Rn. 114, und vom 18. Mai 2022, Foz/Rat, T‑296/20, EU:T:2022:298, Rn. 174).
49 Jedoch kann das Vorbringen des Rates, das auf die Gefahr der Umgehung und die Notwendigkeit der Erfassung einer Vielzahl von Personen, die zu einem umfassenden „Geflecht“ gehören, gestützt ist, für sich genommen keine Rechtfertigung dafür darstellen, dass die Tragweite des Kriteriums der Verbindung so weit ausgedehnt wird, dass es auf die Verbindung zu einer Person angewandt wird, die selbst nicht auf der Grundlage eines der Kriterien in den Buchst. a bis h von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung aufgenommen wurde.
50 Eine solche Auslegung würde nämlich die Verbindung zu weit fassen und den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung sowie das in Rn. 64 des Urteils vom 13. März 2012, Tay Za/Rat (C‑376/10 P, EU:C:2012:138) aufgeführte Erfordernis einer hinreichenden Verbindung zwischen den betroffenen Personen und dem Drittland, gegen das sich die von der Union erlassenen restriktiven Maßnahmen richten, außer Acht lassen. Da Herr Stanislav Chemezov im vorliegenden Fall als mit seinem Vater, Herrn Serguey Chemezov, verbundene Person in die streitigen Listen aufgenommen worden war, war der Rat folglich nicht berechtigt, die Klägerin als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person in die streitigen Listen aufzunehmen.
51 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Rat mit den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 und vom März 2023 einen Rechtsfehler begangen hat, indem er den Namen der Klägerin auf der Grundlage einer Verbindung zu Herrn Stanislav Chemezov auf den streitigen Listen belassen hat.
52 Es ist darauf hinzuweisen, dass dieser Rechtsfehler des Rates für sich genommen nicht zur Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 und vom März 2023 führen kann. Nach der Rechtsprechung kann nämlich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen erlassen werden, dann, wenn der Unionsrichter zu der Auffassung gelangt, dass zumindest einer der angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret ist, nachgewiesen ist und für sich genommen eine hinreichende Grundlage für diese Entscheidung darstellt, der Umstand, dass dies auf andere der Gründe nicht zutrifft, die Nichtigerklärung der Entscheidung in Anbetracht des präventiven Charakters der genannten Maßnahmen nicht rechtfertigen (vgl. Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Daher ist zu prüfen, ob der Rat einen Beurteilungsfehler begangen hat, als er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Klägerin eine mit ihrem Vater, Herrn Tokarev, verbundene Person sei.
c) Zu einem Beurteilungsfehler, soweit die Klägerin als mit ihrem Vater verbundene Person in die Listen aufgenommen wurde
54 Die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 und die Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 sind getrennt zu prüfen, da sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten erlassen wurden und weder auf genau gleichen Gründen noch auf einer genau gleichen Dokumentationsgrundlage beruhen.
1) Zu den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022
55 Mit ihrem Vorbringen bestreitet die Klägerin die Zuverlässigkeit bestimmter Dokumente in der ursprünglichen Beweisakte sowie die Möglichkeit, Anlage B.5 zu berücksichtigen, und macht geltend, die tatsächliche Grundlage reiche nicht aus, um die Belassung ihres Namens auf den Listen als mit ihrem Vater verbundene Person zu rechtfertigen.
i) Zur Zuverlässigkeit des Inhalts der ursprünglichen Beweisakte
56 Die Klägerin bestreitet die Zuverlässigkeit von Dokument Nr. 6 der ursprünglichen Beweisakte mit der Begründung, dass die Behauptung, ihr Vater habe ihren ehemaligen Ehemann mit der Leitung des Unternehmens Katina betraut, falsch sei. Außerdem seien die Dokumente Nrn. 12 und 15 in der ursprünglichen Beweisakte deshalb nicht zuverlässig, weil die darin aufgestellten Behauptungen vage seien und auf Indizien beruhten, die nicht hinreichend belastbar erschienen, um sie zu untermauern, wie beispielsweise Telefonnummern oder im Internet veröffentlichte Informationen. Im Übrigen macht die Klägerin geltend, die von der Moscow Post veröffentlichten Artikel seien unzuverlässig, weil dieses Medium für die Veröffentlichung verleumderischer Schriftstücke bekannt sei, wie sich aus jüngst erfolgten gerichtlichen Verurteilungen ergebe.
57 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
58 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung für den Unionsrichter der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt und für die Würdigung der vorgelegten Beweise allein ihre Glaubhaftigkeit maßgeblich ist. Insoweit ist zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Plausibilität der darin enthaltenen Informationen zu untersuchen, wobei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung und sein Adressat zu berücksichtigen sind und die Frage zu beantworten ist, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint (vgl. Urteile vom 31. Mai 2018, Kaddour/Rat, T‑461/16, EU:T:2018:316, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 95 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Da den Unionsbehörden in Drittstaaten keine Ermittlungsbefugnisse zustehen, müssen sie sich bei ihrer Beurteilung de facto auf öffentlich zugängliche Informationsquellen, Berichte, Presseartikel, Geheimdienstberichte oder andere ähnliche Informationsquellen stützen (Urteile vom 14. März 2018, Kim u. a./Rat und Kommission, T‑533/15 und T‑264/16, EU:T:2018:138, Rn. 107, und vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 59).
60 Darüber hinaus macht es die Konfliktsituation, in der sich die Russische Föderation und die Ukraine befinden, praktisch ausgesprochen schwierig, Zugang zu bestimmten Quellen zu erhalten, die Primärquelle bestimmter Informationen ausdrücklich anzugeben und etwaige Zeugenaussagen von Personen einzuholen, die bereit sind, namhaft gemacht zu werden. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bei der Ermittlung können somit dazu beitragen, die Erbringung präziser Beweise und objektiver Informationen zu behindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Im vorliegenden Fall hat der Rat zur Rechtfertigung der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen durch die Rechtsakte vom September 2022 die ursprüngliche Beweisakte vorgelegt. Hinsichtlich der Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater hat sich der Rat auf öffentlich zugängliche Informationen gestützt, nämlich insbesondere
– einen am 5. März 2022 auf der Website Total Croatia News veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die Vereinigten Staaten blockieren die Gesellschaft der Tochter eines russischen Oligarchen, die Eigentümerin einer Villa in Lošinj ist“, abgerufen am 5. April 2022 (Dokument Nr. 1);
– eine am 3. März 2022 veröffentlichte Pressemitteilung des United States Department of the Treasury (Finanzministerium der Vereinigten Staaten von Amerika) über Sanktionen gegen russische Personen und Institutionen, abgerufen am 5. April 2022 (Dokument Nr. 2);
– einen am 10. März 2022 auf der Website des Evening Standard veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Welche russischen Oligarchen wurden in die Liste der Sanktionen des Vereinigten Königreichs aufgenommen?“, abgerufen am 7. April 2022 (Dokument Nr. 3);
– eine Website des Australian Department of Foreign Affairs and Trade (australisches Außen- und Handelsministerium), veröffentlicht am 13. März 2022, über gegen Russland verhängte Sanktionen, abgerufen am 7. April 2022 (Dokument Nr. 4);
– einen am 6. März 2022 auf der Website der World Law Group veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Vereinigte Staaten: Die Vereinigten Staaten verhängen zusätzliche Sanktionen und eine Ausfuhrkontrolle gegen Russland und Weißrussland“, abgerufen am 7. April 2022 (Dokument Nr. 5);
– einen am 4. März 2022 auf der Website von Imperijal veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die Russen auf der schwarzen Liste machen Geschäfte an der Seite von Plenkovic und der HDZ, sie haben auch eine kaiserliche Villa in Mali Lošinj“, abgerufen am 7. April 2022 (Dokument Nr. 6);
– eine am 24. Februar 2022 veröffentlichte Seite der Website der kanadischen Regierung über zusätzliche wirtschaftliche Maßnahmen als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine, abgerufen am 11. April 2022 (Dokument Nr. 8);
– eine die Klägerin betreffende Seite der Website „acompromat.com“, abgerufen am 11. April 2022 (Dokument Nr. 9);
– einen am 15. März 2022 auf der Website von Infobae veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Das Vereinigte Königreich kündigt Sanktionen gegen weitere 350 russische Personen und Organisationen an“, abgerufen am 5. April 2022 (Dokument Nr. 11);
– einen Auszug aus den Ergebnissen einer am 24. Dezember 2016 veröffentlichten Untersuchung des Organised Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP, Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption) mit dem Titel „Den Freunden geht es gut aufgrund ihrer Nähe zur Macht Putins“, abgerufen am 5. April 2022 (Dokument Nr. 12);
– einen am 29. Dezember 2016 auf der Website von LSM veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Verbindung zwischen einer Immobilie in Jūrmala und einem Freund Putins“, abgerufen am 5. April 2022 (Dokument Nr. 13);
– eine Seite der Website Russian Asset Tracker zum Unternehmen Katina, abgerufen am 12. April 2022 (Dokument Nr. 14);
– einen auf der Informations-Website Meduza am 27. November 2016 veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Ein sehr reicher Schwiegersohn. Wie sind die Geschäfte der nahen Angehörigen des Direktors von Transneft, Nikolay Tokarev, organisiert?“, abgerufen am 17. Mai 2022 (Dokument Nr. 15);
– einen am 28. August 2020 auf der Website News Rambler veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Shmatkos Abgang zum ‚Meridian‘ von Gelendzhik“, abgerufen am 20. Mai 2022 (Dokument Nr. 16);
– einen am 15. Oktober 2019 auf der Website der Moskow Post veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Nikolay Tokarev und seine Transneft konnten die Verantwortung für die Qualität des Erdöls nicht auf ihre Gegner abwälzen“, abgerufen am 20. Mai 2022 (Dokument Nr. 17).
62 Somit ist Dokument Nr. 6 der ursprünglichen Beweisakte ein auf der Website von Imperijal veröffentlichter Artikel mit der Überschrift „Die Russen auf der schwarzen Liste machen Geschäfte an der Seite von Plenkovic und der HDZ, sie haben auch eine kaiserliche Villa in Mali Lošinj“. Dieses Dokument betrifft insbesondere das Unternehmen Katina mit Sitz in Zagreb, das Eigentümer einer Villa namens Karolina in Mali Lošinj (Kroatien) (im Folgenden: Villa Karolina) ist. Das Vorbringen der Klägerin, dieser Artikel enthalte einen Fehler, kann seinen Beweiswert nicht in Frage stellen. Eine solche Argumentation betrifft nämlich die Beurteilung der Frage, ob die dem Rat zur Verfügung stehende tatsächliche Grundlage ausreicht, um ihre Aufnahme in die Liste zu rechtfertigen.
63 Das Vorbringen, dass die Behauptungen in Dokument Nr. 12, d. h. der Untersuchung des OCCRP mit dem Titel „Den Freunden geht es gut aufgrund ihrer Nähe zur Macht Putins“, und in Dokument Nr. 15, nämlich der auf der Informations-Website Meduza veröffentlichte Artikel mit der Überschrift „Ein sehr reicher Schwiegersohn. Wie sind die Geschäfte der nahen Angehörigen des Geschäftsführers von Transneft, Nikolay Tokarev, organisiert?“ vage seien und auf Indizien beruhten, die nicht hinreichend belastbar erschienen, um sie zu untermauern, kann die Beweiskraft dieser Beweise nicht in Frage stellen. In Anbetracht der Schwierigkeiten beim Zugang zu den oben in Rn. 60 genannten Informationen ist nämlich der Umstand, dass Untersuchungen oder Artikel auf Daten wie Telefonnummern oder auf Websites verfügbaren Informationen beruhen, nicht geeignet, den Dokumenten Nrn. 12 und 15 die Beweiskraft zu nehmen.
64 Ebenso wenig kann das Argument durchgreifen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, die von der Moscow Post veröffentlichten Artikel seien unzuverlässig, weil dieses Medium in jüngerer Zeit mehrmals wegen Verleumdung verurteilt worden sei. Der Umstand, dass ein Medium mehrmals wegen Verleumdung verurteilt wurde, bedeutet nämlich nicht, dass alle seine Veröffentlichungen unzuverlässig sind. Außerdem ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die von der Klägerin vorgelegten Urteile nicht Dokument Nr. 17 betreffen, d. h. den Artikel in der Moscow Post mit der Überschrift „Nikolay Tokarev und seine Transneft konnten die Verantwortung für die Qualität des Erdöls nicht auf ihre Gegner abwälzen“. Folglich kann diesem Dokument nicht die Beweiskraft abgesprochen werden.
65 Nach alledem kann unter Berücksichtigung des Kontexts, der die Lage in der Russischen Föderation kennzeichnet, und in Ermangelung von Ermittlungsbefugnissen des Rates in Drittländern (siehe oben, Rn. 59 und 60) der Beweiswert der Dokumente Nrn. 6, 12, 15 und 17 in der ursprünglichen Beweisakte nicht ausgeschlossen werden.
ii) Zu Anlage B.5 zur Klagebeantwortung
66 Die Klägerin bestreitet, dass es möglich sei, Anlage B.5 zur Klagebeantwortung zu berücksichtigen, die den gesamten Inhalt der Untersuchungsergebnisse enthält, von denen ein Auszug in Dokument Nr. 12 der ursprünglichen Beweisakte enthalten sei, da die Berücksichtigung dieser Anlage darauf hinausliefe, den Inhalt der ursprünglichen Beweisakte zu ändern.
67 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
68 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen (Urteile vom 3. September 2015, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission, C‑398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 22, und vom 8. März 2023, Prigozhina/Rat, T‑212/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:104, Rn. 80).
69 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die dem Gericht obliegende Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit, insbesondere in Rechtsstreitigkeiten über restriktive Maßnahmen, nicht nur auf der Grundlage der in den Begründungen der streitigen Rechtsakte enthaltenen Angaben, sondern auch auf der Grundlage der Angaben zu erfolgen hat, die der Rat dem Gericht im Bestreitensfall vorlegt, um die Stichhaltigkeit der in diesen Begründungen behaupteten Tatsachen nachzuweisen (Urteil vom 22. April 2021, Rat/PKK, C‑46/19 P, EU:C:2021:316, Rn. 64).
70 Wie die Klägerin einräumt, enthält Anlage B.5 eine Kopie der Ergebnisse der gesamten am 24. Dezember 2016 veröffentlichten Untersuchung des OCCRP mit dem Titel „Den Freunden geht es gut aufgrund ihrer Nähe zur Macht Putins“, von der ein Auszug in Dokument Nr. 12 der ursprünglichen Beweisakte wiedergegeben ist. Wie aus der Akte hervorgeht, hatte der Rat am 5. April 2022 Zugang zu dieser Untersuchung, und unter den Angaben zur Identifizierung der Quelle dieses Dokuments befindet sich ein vollständiger Hyperlink, der den Zugang zu seinem gesamten Inhalt ermöglichte. Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht bestreiten, dass Anlage B.5 zur Klagebeantwortung berücksichtigt werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 55).
71 Daraus folgt, dass Anlage B.5 zur Klagebeantwortung bei der Prüfung der Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen als mit Herrn Tokarev verbundene Person berücksichtigt werden kann.
iii) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den Listen als mit ihrem Vater verbundene Person
72 Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Rat hinsichtlich des geschätzten Werts ihrer Immobilien einen Fehler begangen habe und dass deren Wert jedenfalls für die Feststellung der Verbindung zu ihrem Vater unerheblich sei. Außerdem reiche die Dokumentationsgrundlage des Rates nicht aus, um festzustellen, dass ihre Immobilien mit ihrem Vater in Verbindung stehen könnten. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Unternehmen Ronin Trust einige ihrer Immobilien verwaltet habe, könne aufgrund dieses Unternehmens keine Verbindung zu ihrem Vater hergestellt werden. In diesem Sinne stelle der Umstand, dass das Unternehmen Ronin Trust den nicht staatlichen Pensionsfonds von Transneft verwaltet habe, eine lockere und in der Vergangenheit liegende Verbindung dar.
73 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
74 Der Rat weist insbesondere darauf hin, aus der ursprünglichen Beweisakte ergebe sich, dass die Klägerin allein oder zusammen mit ihrem ehemaligen Ehemann Eigentümerin mehrerer Unternehmen und Immobilien im Wert von mehr als 50 Mio. US-Dollar (USD) (ungefähr 45 Mio. Euro) in Moskau (Russland) sei oder gewesen sei. Jedenfalls sei der Wert des Vermögens der Klägerin nicht entscheidend, da es auf die Feststellung ankomme, dass die Klägerin eine wohlhabende Geschäftsfrau geworden sei, die es zu einem Vermögen gebracht habe. Außerdem ergebe sich aus der ursprünglichen Beweisakte, dass die Klägerin aufgrund ihrer familiären Verbindung und der Tatsache, dass ihr Vermögen und ihre Geschäfte ebenfalls mit ihrem Vater in Verbindung stünden, mit Letzterem verbunden sei. Insbesondere verfüge der Rat über ein Bündel genauer und konkreter Indizien, die bestätigten, dass die Klägerin von den Funktionen ihres Vaters als Generaldirektor von Transneft profitiert und dadurch ein Vermögen im Immobilienbereich gemacht habe. Außerdem macht der Rat geltend, die Klägerin stehe über das Unternehmen Ronin, das mit Transneft in Verbindung stehe, sowie über ein System familiärer Geschäftsführung mit den Geschäften ihres Vaters in Verbindung.
75 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Kriterium der verbundenen Person, wie sich aus den obigen Rn. 45 bis 47 ergibt, Personen betrifft, die durch gemeinsame Interessen mit einer Person in Verbindung stehen, die auf der Grundlage eines oder mehrerer der Benennungskriterien nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis g des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung in die streitigen Listen aufgenommen wurde.
76 Es ist klarzustellen, dass diese gemeinsamen Interessen nicht nur im engeren Sinne zu verstehen sind, d. h. dahin, dass damit Personen bezeichnet werden, deren Interessen in einer gemeinsamen rechtlichen Struktur verbunden sind, sondern auch in einem weiteren Sinne in Bezug auf Personen, die durch eine familiäre Verbindung verbunden sind, wenn das objektive Vorliegen einer Verflechtung gemeinsamer Interessen festgestellt wird, die nicht notwendigerweise in einer zu diesem Zweck geschaffenen rechtlichen Struktur formalisiert ist (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 6. September 2023, Timchenko/Rat, T‑361/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:502, Rn. 76).
77 Da das Kriterium der verbundenen Person im Indikativ Präsens formuliert ist, muss außerdem das Vorliegen gemeinsamer Interessen zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte nachgewiesen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2023, Prigozhina/Rat, T‑212/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:104, Rn. 92).
78 Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin nicht ihr Abstammungsverhältnis zu ihrem Vater, Herrn Tokarev, der die Funktion des Generaldirektors des Unternehmens Transneft ausübt, das als bedeutendes russisches Öl- und Gasunternehmen gilt. Sie macht jedoch geltend, dass in der dem Rat zur Verfügung stehenden tatsächlichen Grundlage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung einer Verbindung zu ihrem Vater enthalten seien.
79 Aus den in Rede stehenden Aufnahmegründen geht hervor, dass sich die gemeinsamen Interessen zwischen der Klägerin und ihrem Vater zum einen daraus ergeben, dass ihr bedeutendes Immobilienvermögen in Moskau, Kroatien und Lettland mit ihrem Vater in Verbindung stehen konnte, und zum anderen aus den Verbindungen zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin, das als Verwalter des Pensionsfonds des Unternehmens Transneft dargestellt wurde.
80 Was als Erstes die Verbindung zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Trust betrifft, geht insbesondere aus Dokument Nr. 15 der ursprünglichen Beweisakte hervor, dass das Unternehmen Ronin Trust, das den Pensionsfonds von Transneft verwaltete, als die Klägerin noch mit ihrem ehemaligen Ehemann verheiratet war, auch die Immobilienverwaltung der Unternehmensgruppe RPA übernommen hatte. Gemäß diesem Beweisstück hielt der ehemalige Ehemann der Klägerin 100 % des Unternehmens RPA-Management, während die Klägerin 75 % des Unternehmens RPA-Estate und 50 % des Unternehmens RPA-Hotel Management kontrollierte. Daraus folgt, dass der Rat zu Recht davon ausgehen konnte, dass im Jahr 2016 eine Verbindung zwischen dem Unternehmen Ronin Trust und den Unternehmen bestand, an denen die Klägerin Anteile hielt, nämlich dem Unternehmen RPA-Hotel Management und dem Unternehmen RPA-Estate.
81 Aus Dokument Nr. 15 der ursprünglichen Beweisakte geht jedoch auch hervor, dass das Unternehmen Transneft im Bereich der Verwaltung von Pensionsfonds weder der einzige Kunde und nicht einmal der Hauptkunde des Unternehmens Ronin Trust war. Diese Feststellung wurde durch die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus den Jahresberichten des Unternehmens Ronin Trust (Anlage A.11) bestätigt, aus denen hervorgeht, dass dieses Unternehmen tatsächlich Pensionsfonds anderer Unternehmen als Transneft verwaltet. Abgesehen davon, dass die Akten keine Angaben zu den Tätigkeiten und der Organisation des Unternehmens Ronin Trust enthalten, kann der bloße Umstand, dass die Klägerin und das Unternehmen Transneft die Dienstleistungen ein und desselben Dienstleisters in Anspruch nehmen, der seine Dienstleistungen auch für andere Drittunternehmen erbringt, nicht ausreichen, um das Bestehen einer Verbindung zwischen der Klägerin und Transneft nachzuweisen. Als der Rat in der mündlichen Verhandlung vom Gericht gefragt worden ist, wie eine Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater über das Unternehmen Ronin Trust hergestellt werden könne, wo dieses Unternehmen doch Pensionsfonds mehrerer Unternehmen verwalte, konnte der Rat diese Verbindung nicht erläutern. Er hat sich nämlich weder auf einen Anhaltspunkt für Beteiligungen von Herrn Tokarev am Kapital des Unternehmens Ronin Trust noch auf dessen Präsenz in den Leitungsorganen dieses Unternehmens noch auf irgendeine Besonderheit der Geschäftsbeziehungen zwischen Ronin Trust und Transneft berufen, die diese Beziehungen von denen zwischen Ronin Trust und den sonstigen zu dessen Kunden gehörenden Unternehmen unterscheiden würden.
82 Folglich macht die Klägerin zu Recht geltend, dass die lockere Verbindung zwischen Ronin Trust und Transneft nicht ausreiche, um eine Verbindung zwischen ihren Tätigkeiten und denen ihres Vaters nachzuweisen.
83 Was darüber hinaus den in den Aufnahmegründen dargelegten Umstand betrifft, dass die Adresse von Ronin Europe im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens der Klägerin zur Erlangung der zyprischen Staatsangehörigkeit erwähnt wurde, so ist auch dies nicht geeignet, das Vorliegen gemeinsamer Interessen zwischen der Klägerin und Herrn Tokarev zu belegen. In der mündlichen Verhandlung hat der Rat nämlich auf eine Frage des Gerichts zur Klärung der Verbindungen zwischen Ronin Europe und Ronin Trust im Wesentlichen erklärt, er sei davon ausgegangen, dass diese beiden Unternehmen als verbunden angesehen werden könnten. Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Rat nichts vorträgt, was eine Verbindung zwischen dem Unternehmen Ronin Europe und Herrn Tokarev belegen könnte. Folglich kann aus den oben in Rn. 81 dargelegten Gründen die Verbindung zwischen der Klägerin und Ronin Europe nicht das Bestehen einer Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater über das Unternehmen Transneft beweisen.
84 Der Rat hat sich somit zu Unrecht auf die Geschäftsbeziehungen der Klägerin zu den Unternehmen Ronin Trust und Ronin Europe gestützt, um über Transneft eine Verbindung zu Herrn Tokarev herzustellen.
85 Als Zweites ist zu prüfen, ob die ursprüngliche Beweisakte ein Bündel von Indizien enthält, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind, um die Feststellung zu ermöglichen, dass zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 Verbindungen bestanden.
86 Vorab ist festzustellen, dass zwischen den Hauptparteien Uneinigkeit über den Wert des Immobilienvermögens der Klägerin besteht. In den in Rede stehenden Aufnahmegründen hatte der Rat festgestellt, dass das Immobilienvermögen der Klägerin und ihres ehemaligen Ehemanns betreffend die in Moskau, Kroatien und Lettland belegenen Immobilien einen Wert von mehr als 50 Mio. USD (etwa 45 Mio. Euro) habe. Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht bestreitet, dass der Gesamtwert ihres Vermögens und des Vermögens ihres ehemaligen Ehemanns den Wert von 50 Mio. USD (etwa 45 Mio. Euro) übersteigen könne, ist jedoch festzustellen, dass der Wert des Vermögens der Klägerin für die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen nicht entscheidend ist. Es handelt sich nämlich um einen Gesichtspunkt des Kontexts, mit dem, wie der Rat geltend macht, darauf hingewiesen werden soll, dass die Klägerin eine wohlhabende Geschäftsfrau ist, die u. a. im Immobilienbereich ein Vermögen gemacht hat, wie sich insbesondere aus den Dokumenten Nrn. 9 und 16 der ursprünglichen Beweisakte ergibt. Daraus folgt, dass eine etwaige Ungenauigkeit in Bezug auf den Wert ihres Vermögens für sich genommen nicht zu einer Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 führen kann.
87 Es ist anzumerken, dass die Klägerin einräumt, dass sie Eigentümerin des Unternehmens Ostozhenka 19 ist, das Eigentümer eines historischen Gebäudes in Moskau, einer Wohnung in der Brusov Straße in Moskau sowie des Unternehmens Katina ist, dem eine Villa namens Karolina in Mali Lošinj in Kroatien gehört. Aus der ursprünglichen Beweisakte geht hervor, dass jede dieser Immobilien einen Wert von mehreren Millionen russischen Rubeln (RUB) hat. Nach Dokument Nr. 15 wurde das historische Gebäude in Moskau im Jahr 2016 für einen Betrag von 390 Mio. RUB (etwa 3,9 Mio. Euro) erworben, gemäß Dokument Nr. 14 wurde die Villa in Kroatien auf 4,1 Mio. USD (etwa 3,8 Mio. Euro) geschätzt, und gemäß Dokument Nr. 9 befindet sich die Wohnung in der Brusov Straße in einer Immobilie, in der bestimmte Objekte einen Wert von mindestens 315 Mio. RUB (ungefähr 3,15 Mio. Euro) haben. Angesichts des Wertes dieses Immobilienvermögens von mehreren Millionen Euro durfte der Rat davon ausgehen, dass die Klägerin über ein erhebliches Immobilienvermögen verfügte. Wie die Klägerin jedoch zu Recht geltend macht, reicht im vorliegenden Fall der Wert ihrer Immobilien allein nicht aus, um eine Verbindung zu ihrem Vater herzustellen. Somit ist zu prüfen, ob die dem Rat zur Verfügung stehende tatsächliche Grundlage die Feststellung stützen kann, dass das Immobilienvermögen der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 mit ihrem Vater in Verbindung gestanden haben konnte.
88 Erstens ist in Bezug auf die Immobilie in Jūrmala in Lettland, die im gemeinsamen Eigentum der Klägerin und ihres ehemaligen Ehemanns stand, als sie verheiratet waren, festzustellen, dass sich der Rat auf keinen Umstand beruft, der es erlauben würde, diese Immobilie mit Herrn Tokarev in Verbindung zu bringen. Außerdem hat die Klägerin einen Auszug aus einem Nachtrag zum Ehevertrag vom 14. Februar 2019 (Anlage A.9) vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass nach der Scheidung alle Anteile am Unternehmen Dzintaru 34, in dessen Eigentum diese Immobilie stand, auf ihren ehemaligen Ehemann übertragen werden sollten. Die Klägerin wurde im Juni 2019 geschieden, was der Rat nicht bestreitet. Folglich ist davon auszugehen, dass die Klägerin nachgewiesen hat, dass sie seit Juni 2019 keine Verbindung mehr zu der in Lettland belegenen Immobilie hatte. Daraus folgt, dass sich der Rat aufgrund dessen, dass das Vorliegen gemeinsamer Interessen zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte nachgewiesen werden muss (siehe oben, Rn. 77), zum Nachweis des Vorliegens solcher Interessen zwischen der Klägerin und ihrem Vater über ihre Immobilien nicht auf die Immobilie in Lettland stützen kann, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 seit mehreren Jahren nicht mehr deren Eigentümerin war.
89 Was zweitens die Villa Karolina in der Bucht Čikat in Mali Lošinj in Kroatien betrifft, ist festzustellen, dass die Klägerin einen Auszug der Historie des Registers des Trgovački Sud u Zagrebu (Handelsgericht Zagreb, Kroatien) vorgelegt hat, der die Gesellschaft Katina betrifft (Anlage A.20), die Eigentümerin dieser Villa ist. Aus diesem Dokument geht hervor, dass die Klägerin alleinige Anteilseignerin der Gesellschaft ist und dass ihr Vater nie Anteile an der Gesellschaft hielt. Daraus folgt, dass sich der Rat in Bezug auf diese Immobilie nicht auf das Bestehen einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater berufen kann. Außerdem trifft es zwar zu, dass Dokument Nr. 6 der ursprünglichen Beweisakte ein Indiz für das Vorliegen einer familiären Verwaltung dieser Immobilie sein kann, weil Herr Tokarev die Leitung des Unternehmens Katina seinem ehemaligen Schwiegersohn übertragen hatte, doch kann ein solches Indiz für sich genommen nicht ausreichen, um eine Verbindung zwischen dem Vater der Klägerin und der Villa Karolina für die Zeit nach 2019 nachzuweisen. Da die Klägerin im Juni 2019 geschieden wurde, gab ihr ehemaliger Ehemann seine Funktionen beim Unternehmen Katina im selben Jahr ab, wie aus Anlage A.20 hervorgeht. Die Einflussnahme von Herrn Tokarev auf die Bestellung seines Ex-Schwiegersohns als Mitglied des Vorstands von Katina hatte notwendigerweise vor dem Jahr 2019 stattgefunden. Mangels weiterer Beweise, die sich auf jüngere Tatsachen beziehen würden, die die Fortsetzung einer familiären Verwaltung der Villa Karolina unter Beteiligung von Herrn Tokarev belegen könnten, ist somit festzustellen, dass der Rat über keinen Anhaltspunkt verfügte, der die Feststellung einer Verbindung zwischen dem Vater der Klägerin und der Villa Karolina zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 ermöglichen könnte.
90 Was drittens den vom Rat geltend gemachten Umstand betrifft, wonach die Familie Tokarev eine Hotelanlage im Wert von mehreren Milliarden USD ebenfalls in Kroatien erworben habe, wird zwar in Dokument Nr. 16 der ursprünglichen Beweisakte, d. h. in einem im Jahr 2020 veröffentlichten Presseartikel, darauf hingewiesen, dass Informationen darüber vorlägen, dass die Familie Tokarev mit Hilfe von Ausschreibungen des Unternehmens Transneft eine Hotelanlage erworben habe. Es ist jedoch festzustellen, dass dieser Artikel weder genauere Angaben zu dem Zeitpunkt enthält, zu dem diese Transaktion stattgefunden haben soll, noch darin angegeben ist, welches Mitglied der Familie Tokarev diese Immobilie erworben haben soll, noch, ob dieses Familienmitglied zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels im Jahr 2020 noch darüber verfügte. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass entgegen dem Vorbringen des Rates aus Anlage D.1 zur Gegenerwiderung, nämlich einem am 16. August 2016 auf der Website der Moscow Post veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die ‚goldene Trompete‘ von Nikolay Tokarev?“ nicht eindeutig hervorgeht, dass die Klägerin oder Mitglieder ihrer Familie eine Hotelanlage mittels Ausschreibungen von Transneft erworben haben. Diesem Artikel zufolge hat die Klägerin im Jahr 2005 Einkünfte aus einer Gesellschaft namens Caprice-Stell erzielt, die mittelbar Beteiligungen an einer Hotelgesellschaft hielt, die als Eigentümerin einer Hotelanlage in Mali Lošinj dargestellt wurde. Selbst wenn also der Umstand, dass die Klägerin eine Vergütung von Caprice-Stell erhalten hatte, als Beweis für den Erwerb einer Hotelanlage angesehen werden könnte, ist festzustellen, dass nach diesem im Jahr 2016 in der Moscow Post veröffentlichten Artikel die Transaktion, bei der Ausschreibungen von Transneft im Rahmen des Erwerbs von Immobilien eine Rolle spielten, mehrere Jahre vor dem Erscheinen des Artikels erfolgte. Aus diesem Artikel geht nicht hervor, dass die Klägerin nach 2005 von Caprice-Stell eine Vergütung erhalten hätte. Außerdem hat der Rat keine weiteren Beweise dafür vorgelegt, dass die Klägerin noch Eigentümerin einer Hotelanlage in Kroatien gewesen wäre. Angesichts des lange zurückliegenden Sachverhalts, der in den vom Rat vorgelegten Unterlagen wiedergegeben wird, kann der Rat daher nicht geltend machen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 Eigentümerin einer Hotelanlage in Kroatien gewesen sei.
91 Viertens macht die Klägerin geltend, dass sie seit ihrer Scheidung im Juni 2019 keine Verbindung mehr zu den Unternehmen der RPA-Gruppe ihres ehemaligen Ehemanns habe und dass sich ihr Immobilienvermögen in Moskau auf ein historisches Gebäude beschränke, dessen Eigentümerin sie über das Unternehmen Ostozhenka 19 (vormals RPA-Estate) sei, sowie auf eine Wohnung in der Brusov-Straße. Daher bestreitet die Klägerin insbesondere für den Zeitraum nach ihrer Scheidung die Verbindung zwischen ihren Immobilien und ihrem Vater, die der Rat auf der Grundlage von Dokument Nr. 15 der ursprünglichen Beweisakte über die Unternehmen der RPA-Gruppe und Ronin Trust herzustellen versucht. Insoweit genügt der Hinweis, dass sich der Rat nicht auf das Bestehen von Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Trust stützen konnte, um eine Verbindung zwischen der Klägerin und Herrn Tokarev über das Unternehmen Transneft nachzuweisen (siehe oben, Rn. 81). Daher kann der Umstand, dass die Immobilien der Klägerin in Moskau vom Unternehmen Ronin Trust verwaltet worden waren, keinen Beweis dafür darstellen, dass diese Immobilien als mit ihrem Vater in Verbindung stehend angesehen werden konnten. Es ist festzustellen, dass die ursprüngliche Beweisakte keinen anderen Beweis enthält, der eine Verbindung zwischen den Moskauer Immobilien der Klägerin und Herrn Tokarev belegen könnte.
92 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Begründung insoweit mit einem Beurteilungsfehler behaftet ist, als festgestellt wird, dass die Immobilien der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 mit Herrn Tokarev in Verbindung stehen konnten.
93 Das Vorbringen des Rates kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.
94 Erstens wird der Vater der Klägerin zwar, worauf der Rat zu Recht hinweist, in den Dokumenten Nrn. 2, 3, 6, 9, 13 und 15 der ursprünglichen Beweisakte als Person beschrieben, die Herrn Vladimir Putin seit Langem nahesteht und die Funktionen des Generaldirektors eines der wichtigsten öffentlichen Unternehmen Russlands ausübt. Diese Information stellt zwar einen relevanten Gesichtspunkt des Kontexts dar, ist aber nicht geeignet, eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und ihrem Vater nachzuweisen.
95 Zweitens wird in den Dokumenten Nrn. 1 bis 3 und 6 der ursprünglichen Beweisakte allgemein und ohne weitere Erläuterungen darauf hingewiesen, dass die Familienangehörigen von Herrn Tokarev von dessen Verbindungen zu Herrn Putin oder der russischen Regierung profitiert hätten, und wird in Dokument Nr. 12 dieser Akte, dessen vollständiger Inhalt in Anhang B.5 der Klagebeantwortung wiedergegeben ist, allgemein darauf hingewiesen, dass die Mitglieder der Familie von Herrn Tokarev ihren Reichtum vergrößert hätten und in Europa wertvolle Immobilien besäßen. Wie die Klägerin ausführt, enthalten die Dokumente Nrn. 1 und 3 der ursprünglichen Beweisakte, die im Wesentlichen den Inhalt einer Pressemitteilung des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten vom Amerika (Dokument Nr. 2) wiedergeben, keine genauen und konkreten Informationen, die belegen würden, dass die Immobilien der Klägerin insbesondere zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 mit Herrn Tokarev in Verbindung gestanden hätten. Ebenso ist bereits festgestellt worden, dass Dokument Nr. 6 der ursprünglichen Beweisakte nichts enthält, was die Feststellung dieser Verbindung zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsakte ermöglichen könnte (siehe oben, Rn. 89). Zu Dokument Nr. 12, dessen Inhalt vollständig in Anlage B.5 der Klagebeantwortung wiedergegeben ist, ist festzustellen, dass die darin enthaltenen Angaben im Wesentlichen denen in Dokument Nr. 15 der ursprünglichen Beweisakte entsprechen. Folglich enthält Dokument Nr. 12 der ursprünglichen Beweisakte aus denselben Gründen, wie sie oben in Rn. 90 dargelegt worden sind, keine Anhaltspunkte, die eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 belegen könnten.
96 Was drittens das Vorliegen eines Systems familiärer Geschäftsführung im Immobilienbereich anbelangt, so enthält Anlage D.1 zwar, wie der Rat in seiner Gegenerwiderung geltend macht, Angaben, die das Vorliegen eines solchen Systems in Bezug auf den Erwerb einer nicht näher bezeichneten Immobilie in Kroatien durch die Klägerin und ihren ehemaligen Ehemann im Rahmen einer Transaktion, bei der Ausschreibungen von Transneft eine Rolle spielten, belegen sollen. Ebenso kann aufgrund der Einflussnahme von Herrn Tokarev auf die Verwaltung des Unternehmens Katina, dem die Villa Karolina gehört, auch aus den Angaben in Dokument Nr. 6 der ursprünglichen Beweisakte ein System familiärer Geschäftsführung abgeleitet werden. Wie jedoch oben in den Rn. 89 und 90 ausgeführt, ereignete sich dieser Sachverhalt mehrere Jahre vor dem Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022. Es ist festzustellen, dass der Rat nichts vorgetragen hat, was belegen könnte, dass zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsakte ein System familiärer Geschäftsführung im Immobilienbereich, an dem die Klägerin und ihr Vater beteiligt waren, fortbestand.
97 Was die angebliche Fortdauer der familiären Geschäftsführung im Immobilienbereich betrifft, hat sich der Rat in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht auf das Bestehen eines solchen Geschäftsführungssystems in Bezug auf den Immobilienkomplex Gelendzhik Resort Meridian in Russland berufen. Diese Immobilie wurde nämlich in den Aufnahmegründen in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 nicht erwähnt, so dass sich der Rat auf diesen Umstand nicht berufen kann, da andernfalls eine Auswechslung der Begründung zugelassen würde. Jedenfalls geht aus den Dokumenten Nrn. 9 und 16 der ursprünglichen Beweisakte hervor, dass die Klägerin mit Herrn Stanislav Chemezov Beteiligungen an diesem Immobilienkomplex hält, und hat der Rat nicht nachgewiesen, dass diese Immobilie mit Herrn Tokarev in Verbindung stehen konnte.
98 Viertens kann entgegen dem Vorbringen des Rates der Umstand, dass Herr Tokarev noch immer mit Herrn Putin in Verbindung steht, dass er noch das Amt des Generaldirektors von Transneft bekleidet und dass die Klägerin immer noch Eigentümerin von Immobilien ist, nicht ausreichen, um die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des Kriteriums der verbundenen Person zu rechtfertigen. Wie oben in Rn. 77 ausgeführt, ist der Rat nämlich verpflichtet, das Bestehen gemeinsamer Interessen zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte nachzuweisen. Der Rat hat jedoch nicht nachgewiesen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 das Immobilienvermögen der Klägerin mit ihrem Vater in Verbindung stehen konnte.
99 Als Drittes können die Dokumente Nrn. 2 bis 5, 8 und 11 der ursprünglichen Beweisakte, die die von Australien, Kanada, den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich gegen die Klägerin erlassenen restriktiven Maßnahmen betreffen, zwar relevante Umstände des Kontexts darstellen, doch sind sie für sich genommen nicht geeignet, die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen und seine Belassung darauf zu rechtfertigen. Wie die Klägerin dargetan hat, können nämlich in diesen Drittländern die Familienmitglieder von Personen, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt wurden, allein aufgrund einer familiären Verbindung ebenfalls Gegenstand restriktiver Maßnahmen sein. Zwar wurde im Rahmen der restriktiven Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien entschieden, dass dann, wenn die Gelder der mit Sanktionen belegten Personen eingefroren werden, die nicht unerhebliche Gefahr besteht, dass diese Druck auf die mit ihnen in Verbindung stehenden Personen ausüben, um die Wirkung der gegen sie gerichteten Maßnahmen zu umgehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2021, Sharif/Rat, T‑540/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:220, Rn. 159). Es ist jedoch festzustellen, dass in dieser Regelung das Kriterium für die Aufnahme anders war als im vorliegenden Fall. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, sahen die Rechtsvorschriften nämlich ausdrücklich Beschränkungen und das Einfrieren der Gelder u. a. der „führende[n] Geschäftsleute, die in Syrien tätig sind“, und der „Mitglieder der Familien Assad bzw. Makhlouf“ sowie der „mit ihnen in Verbindung stehende[n] Personen“ vor. In diesem rechtlichen Rahmen konnte die familiäre Verbindung zu diesen Familien ausreichen, um die Namen von Personen auf der Grundlage des „Kriteriums der Verbindung zu Angehörigen [dieser] Familien“ in die betreffenden Listen aufzunehmen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Regelung, wie im vorliegenden Fall, nicht ausdrücklich auf die Mitglieder bestimmter Familien Bezug nimmt, die unter den Aufnahmekriterien namentlich genannt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2023, Pumpyanskiy/Rat, T‑734/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:761, Rn. 70).
100 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Rat nicht nachgewiesen hat, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 gemeinsame, die Klägerin und ihren Vater verbindende Interessen bestanden hätten. Folglich beruhte die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen de facto allein auf der familiären Verbindung zu ihrem Vater, was unzulässig ist.
101 Da festgestellt worden ist, dass der Rat einen Rechtsfehler begangen hat, indem er den Namen der Klägerin als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person auf den streitigen Listen belassen hat (siehe oben, Rn. 45 bis 52), und da die in diesen Rechtsakten enthaltenen Begründungen nicht rechtlich hinreichend substantiiert sind, was die Verbindung der Klägerin zu ihrem Vater, Herrn Tokarev, anbelangt, ist in Bezug auf die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 nach alledem festzustellen, dass die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen nicht gerechtfertigt war.
102 Folglich ist dem Klagegrund, mit dem ein Rechtsfehler und Beurteilungsfehler gerügt werden, stattzugeben, soweit er sich gegen die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 richtet.
2) Zu den Fortsetzungsrechtsakten vom März 2023
103 In ihrem ersten Anpassungsschriftsatz bestreitet die Klägerin die Zuverlässigkeit eines vom Rat in der Beweisakte WK 1128/2023 INIT vorgelegten Beweismittels und macht geltend, dass die Beweisakten vom Januar 2023 keine ausreichende tatsächliche Grundlage darstellten, um die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen als mit ihrem Vater verbundene Person zu rechtfertigen.
i) Zur Zuverlässigkeit der Beweise
104 Die Klägerin macht geltend, Dokument Nr. 4 der Beweisakte WK 1128/2023 INIT, in dem es heiße, dass die Familie Tokarev mit Hilfe der Ausschreibung von Transneft ein Hotelunternehmen im Wert von mehreren Milliarden USD in Kroatien erworben habe, sei nicht zuverlässig, da es sich auf keinerlei Beweise stütze. Außerdem stützten sich die Verfasser dieses Artikels auf einen Artikel der Moscow Post , in dem keine Quellen genannt seien und der keine zuverlässige Quelle sei, da dieses Medium in jüngerer Zeit mehrmals wegen Verleumdung verurteilt worden sei.
105 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
106 Im vorliegenden Fall hat der Rat zur Rechtfertigung der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen durch die Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 die Beweisakten vom Januar 2023 vorgelegt. Es ist festzuhalten, dass sich der Rat hinsichtlich der Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater auf öffentlich zugängliche Informationen stützte, und zwar in der Akte WK 1128/2023 INIT u. a. auf folgende Beweismittel:
– eine die Klägerin betreffende Seite der Website „list-org“, deren Veröffentlichungsdatum nicht angegeben ist, abgerufen am 19. Januar 2023 (Dokument Nr. 1);
– eine Seite der Website „list-org“ betreffend das Unternehmen Ostozhenka 19, deren Veröffentlichungsdatum nicht angegeben ist, abgerufen am 19. Januar 2023 (Dokument Nr. 3);
– einen am 28. August 2020 auf der Website der Moscow Post veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Shmatkos Abgang zum ‚Meridian‘ von Gelendzhik: In der Ferienanlage Gelendzhik – Meridian versammelt sich die Elite der Geschäftsleute um den ehemaligen Energieminister Sergei Shmatko und die Kinder von Tokarev und Chemezov. Wird sich Manturov dem Trio anschließen?“, abgerufen am 19. Januar 2023 (Dokument Nr.4);
– einen am 20. März 2022 auf der Website von Re:Baltica veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Welchen Mitgliedern der Entourage Putins gehören Immobilien in Lettland?“, abgerufen am 18. Januar 2023 (Dokument Nr. 7).
107 Die Akte WK 1128/2023 ADD 1 enthält eine Untersuchung des OCCRP mit dem Titel „Den Freunden geht es gut aufgrund ihrer Nähe zur Macht Putins“, veröffentlicht am 24. Dezember 2016 und abgerufen am 27. Januar 2023.
108 Die Akte WK 1128/2023 ADD 2 enthält eine Zusammenfassung eines vertraulichen Dokuments über die in Russland im Handelsregister eingetragenen Unternehmen der Klägerin.
109 Zur Zuverlässigkeit von Dokument Nr. 4 der Akte WK 1128/2023 INIT, d. h. eines Artikels mit der Überschrift „Shmatkos Abgang zum ‚Meridian‘ von Gelendzhik: In der Ferienanlage Gelendzhik – Meridian versammelt sich die Elite der Geschäftsleute um den ehemaligen Energieminister Sergei Shmatko und die Kinder von Tokarev und Chemezov. Wird sich Manturov dem Trio anschließen?“ ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin, wonach der Artikel keinen Beweis enthalte, nicht ausreicht, um ihm den Beweiswert zu nehmen. Außerdem stützt sich dieser Artikel, wie die Klägerin einräumt, auf einen anderen Artikel der Moscow Post , den der Rat als Anlage D.1 zu seiner Gegenerwiderung vorgelegt hat. Was den letztgenannten Artikel betrifft, so kann ihm der Umstand, dass er seine Quellen nicht erwähnt, für sich allein nicht seinen Beweiswert nehmen. Außerdem bedeutet der Umstand, dass ein Medium mehrmals wegen Verleumdung verurteilt wurde, nicht, dass alle seine Veröffentlichungen unzuverlässig sind.
110 Unter Berücksichtigung des Kontexts, der die Lage in der Russischen Föderation kennzeichnet, kann in Ermangelung von Ermittlungsbefugnissen des Rates in Drittländern (siehe oben, Rn. 59 und 60) der Beweiswert von Dokument Nr. 4 der Akte WK 1128/2023 INIT nicht ausgeschlossen werden.
ii) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den Listen als mit ihrem Vater verbundene Person
111 Nach Ansicht der Klägerin verfügt der Rat über keine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage, um die Gründe für die Aufnahme in die Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 zu untermauern. Insbesondere seien die neuen Beweise nicht geeignet, die Feststellung zu stützen, dass ihre Immobilien mit ihrem Vater in Verbindung stehen könnten. Außerdem wendet sie sich gegen die Änderung der Aufnahmegründe, wonach sie über das Unternehmen Ostozhenka 19 (vormals RPA Estate) mit dem Unternehmen Ronin Trust in Verbindung stehe. Jedenfalls sei die Verbindung zum Unternehmen Ronin Trust, auf die sich der Rat stütze, locker und spekulativ, so dass sie die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des Kriteriums der verbundenen Person nicht rechtfertigen könne.
112 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
113 Der Rat trägt insbesondere vor, er habe nachgewiesen, dass die Klägerin aufgrund ihrer familiären Verbindung zu Herrn Tokarev und des Umstands, dass ihr Vermögen mit diesem in Verbindung stehe, mit diesem verbunden sei. Insbesondere bestätigten bestimmte Unterlagen in den Beweisakten vom Januar 2023 die Angaben in der ursprünglichen Beweisakte betreffend die Verbindungen zwischen Herrn Tokarev, Herrn Putin und dem Erwerb eines bedeutenden Immobilienvermögens u. a. durch die Klägerin. Zudem ist der Rat in Bezug auf die Verbindung zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Trust der Ansicht, dass die Klägerin nicht dargetan habe, dass zwischen dem Unternehmen Ostozhenka 19 (vormals RPA Estate) und dem Unternehmen RPA-Hotel Management keine Verbindung bestehe.
114 Zu den Verbindungen zwischen der Klägerin und ihrem Vater ist festzustellen, dass die Gründe für die Aufnahme in die Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 weitgehend denen in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022 entsprechen. Zum einen wurde die Belassung des Namens der Klägerin auf diesen Listen damit gerechtfertigt, dass ihr Immobilienvermögen mit ihrem Vater in Verbindung stehen konnte. Dieser erste Grund wurde nicht wesentlich geändert. Zum anderen wurde die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen auch durch das Bestehen von Verbindungen zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin gerechtfertigt, das als Verwalter der Pensionsfonds von Transneft dargestellt wurde. Im Rahmen dieses zweiten Grundes stellte der Rat klar, dass die Klägerin über das Unternehmen Ostozhenka 19 mit Ronin Trust in Verbindung stehe.
115 Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass die Geschäftsbeziehungen der Klägerin zu den Unternehmen Ronin Trust und Ronin Europe nicht geeignet sind, das Bestehen gemeinsamer Interessen zwischen der Klägerin und ihrem Vater über das Unternehmen Transneft zu belegen (siehe oben, Rn. 80 bis 84). Der Rat hat in den Beweisakten vom Januar 2023 nichts vorgetragen, was an dieser Schlussfolgerung etwas ändern könnte.
116 Daraus folgt zum einen, dass sich der Rat zur Rechtfertigung der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen weder darauf stützen konnte, dass das Unternehmen Ronin Trust die Immobilien der Unternehmen RPA-Estate und RPA-Hotel Management verwaltet hatte, noch auf eine angebliche Verbindung zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Trust über das Unternehmen Ostozhenka 19. Zum anderen konnte sich der Rat auch nicht darauf stützen, dass die Anschrift des Unternehmens Ronin Europe im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens der Klägerin zur Erlangung der zyprischen Staatsangehörigkeit angegeben worden war.
117 Folglich können die Argumente des Rates, mit denen das Bestehen von Verbindungen zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Europe dargetan werden soll, sowie das Vorbringen zum Fortbestehen von Geschäftsbeziehungen zwischen ihr und dem Unternehmen Ronin Trust keinen Erfolg haben, wenn es darum geht, die Begründetheit der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 zu belegen.
118 Als Zweites macht der Rat in Bezug auf die Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev geltend, dass Dokument Nr. 7 der Akte WK 1128/2023 INIT, ein im März 2022 veröffentlichter Presseartikel über die im Eigentum der Klägerin stehende Immobilie in Lettland, den Inhalt der ursprünglichen Beweisakte bestätige, wonach es die Verbindungen zwischen Herrn Tokarev und Herrn Putin der Familie Tokarev ermöglicht hätten, ein beeindruckendes Immobilienvermögen zu erwerben. Zwar wird in diesem Artikel darauf hingewiesen, dass die Familie Tokarev beim Erwerb bedeutender Vermögenswerte von den Verbindungen zwischen Herrn Tokarev und Herrn Putin profitiert habe. Außerdem hätten die Klägerin und ihr ehemaliger Ehemann ihr Vermögen während ihrer Ehe u. a. durch Verträge zwischen dem Unternehmen Transneft und den Unternehmen des ehemaligen Ehemanns der Klägerin erworben. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich dieser Artikel auf Sachverhalte bezieht, die sich mehrere Jahre vor dem Erlass der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 ereignet haben, da er auf die Situation der Klägerin vor ihrer Scheidung im Juni 2019 Bezug nimmt. Im Übrigen wird in diesem Artikel bestätigt, dass die Klägerin seit dieser Scheidung nicht mehr Eigentümerin der Immobilie ist, die sie mit ihrem ehemaligen Ehemann in Lettland besaß. Daher könnte dieser Artikel zwar allenfalls einen Gesichtspunkt des Kontexts darstellen, mit dem dargetan werden soll, dass es in der Vergangenheit möglicherweise ein System familiärer Geschäftsführung gab, doch kann er keinen Beweis darstellen, der es ermöglichen würde, eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 festzustellen.
119 Um eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und ihrem Vater herzustellen, beruft sich der Rat auch auf Dokument Nr. 4 der Akte WK 1128/2023 INIT, in dem es, wie in Dokument Nr. 16 der ursprünglichen Beweisakte, heißt, dass es Informationen darüber gebe, dass die Familie Tokarev eine Hotelanlage im Wert von mehreren Milliarden USD in Kroatien mit Hilfe von Ausschreibungen von Transneft erworben habe. Es ist jedoch festzustellen, dass dieses Dokument keine Klarstellungen gegenüber den Dokumenten in der ursprünglichen Beweisakte enthält, die sich auf den angeblichen Erwerb einer Hotelanlage durch die Mitglieder der Familie Tokarev beziehen. Folglich kann dieses Dokument aus denselben Gründen, wie sie oben in den Rn. 90 und 96 dargelegt worden sind, keinen Beweis für eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und ihrem Vater zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 darstellen.
120 Es ist festzustellen, dass auch sonst nichts in den Beweisakten vom Januar 2023 das Bestehen einer Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 belegen kann. Folglich ist die Begründung insoweit mit einem Beurteilungsfehler behaftet, als festgestellt wird, dass die Immobilien der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsakte mit Herrn Tokarev in Verbindung stehen konnten. Daraus folgt, dass die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen de facto allein auf der familiären Verbindung zu ihrem Vater beruht, was unzulässig ist.
121 Da der Rat auch einen Rechtsfehler begangen hat, indem er den Namen der Klägerin als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person auf den streitigen Listen belassen hat (siehe oben, Rn. 45 bis 52), ist folglich festzustellen, dass die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen nicht gerechtfertigt war.
122 Daher ist dem Klagegrund, mit dem ein Rechtsfehler und ein Beurteilungsfehler gerügt werden, stattzugeben, soweit er sich gegen die Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023 richtet.
d) Zur Anwendung des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g auf die Klägerin
123 In ihrem zweiten Anpassungsschriftsatz bestreitet die Klägerin die Zuverlässigkeit bestimmter vom Rat in der Beweisakte vom Juni 2023 vorgelegter Beweismittel und macht geltend, dass die Beweisakten vom Juni 2023 und vom Juli 2023 keine ausreichende tatsächliche Grundlage darstellten, um die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g zu rechtfertigen.
1) Zur Zuverlässigkeit der Beweise
124 Die Klägerin stellt die Zuverlässigkeit der Artikel der Quelle Rospres mit der Begründung in Frage, dass es sich um ein Sensationsmedium handle, das dafür bekannt sei, verleumderische Behauptungen zu verbreiten, und zu dem der Zugang beschränkt worden sei, weil es sich geweigert habe, die verleumderischen Erklärungen entsprechend den gerichtlichen Entscheidungen zu entfernen. Darüber hinaus behauptet die Klägerin erneut, dass die Veröffentlichungen in der Moscow Post ebenso wenig verlässlich seien wie die auf der Rosnadzor-Website, da es sich um mediale Quellen handle, die dafür bekannt seien, Artikel mit dem alleinigen Ziel zu veröffentlichen, den Ruf von Personen zu schädigen.
125 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
126 Um die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen durch die Rechtsakte vom September 2023 auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g zu rechtfertigen, hat der Rat die Beweisakte vom Juni 2023 sowie die Beweisakte vom Juli 2023 vorgelegt.
127 Die Beweisakte vom Juni 2023 enthält Folgendes:
– einen am 20. Februar 2023 auf der Website der Online publication company (deren Adresse „ko.ru“ ist) veröffentlichten Artikel, der u. a. Angaben zum Vermögen der Klägerin enthält, abgerufen am 19. Mai 2023 (Dokument Nr. 1);
– einen am 25. April 2022 auf der Website Platzdarm veröffentlichen Artikel mit der Überschrift „Chemezovs Milliarden-Dollar-Virologie“, abgerufen am 19. Mai 2023 (Dokument Nr. 2);
– einen am 29. Dezember 2011 auf der Website Rospres veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die Familienclans von Transneft: die Chemzovs, die Tokarevs, die Bolotovs“, abgerufen am 19. Mai 2023 (Dokument Nr. 3);
– einen am 23. April 2023 auf der Website Platzdarm veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Nikolay Tokarev und seine Wäscherbrigade“, abgerufen am 19. Mai 2023 (Dokument Nr. 4);
– einen am 30. Juli 2022 auf der Website Rosnadzor veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Rostec, Transneft und das Großkapital: Was haben die Kinder von Serguey Chemezov und von Nikolay Tokarev gemeinsam?“, abgerufen am 19. Mai 2023 (Dokument Nr. 5).
128 Die Beweisakte vom Juli 2023 enthält Folgendes:
– einen am 22. März 2022 auf der Website von Delfi Ärileht veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Welchen Mitgliedern des inneren Zirkels um Putin gehören teure Immobilien in Lettland? Der allgemein bekannte Oligarch hat für seinen Nachbarn einen Präzedenzfall geschaffen“, abgerufen am 27. Juni 2023 (Dokument Nr. 1);
– einen am 3. Februar 2023 auf der Website der Moscow Post veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Geldwäsche durch Nikolay Tokarev“, abgerufen am 28. Juni 2023 (Dokument Nr. 2);
– einen Screenshot der Website „wise.com“ betreffend das Unternehmen Ronin Europe Ltd, abgerufen am 28. März 2023 (Dokument Nr. 3);
– einen am 10. November 2016 auf der Website der Moscow Post veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Transmoney Tokarev“, abgerufen am 28. Juni 2023 (Dokument Nr. 4);
– einen am 22. März 2022 auf der Website „newsbeezer.com“ veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Villa von Putins Freunden an der kroatischen Küste entdeckt“, abgerufen am 28. Juni 2023 (Dokument Nr. 5);
– einen am 3. Februar 2023 auf der Website Acompromat veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Akulovs ‚Großwaschtag‘ führte zu einem Verbrechen“, abgerufen am 28. Juni 2023 (Dokument Nr. 6);
– einen am 9. Oktober 2021 auf der Website „versia.ru“ veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Die Tochter und der ehemalige Schwiegersohn des Leiters von Transneft, Nikolay Tokarev, werden in den ‚Pandora Papers‘ erwähnt“, abgerufen am 28. Juni 2023 (Dokument Nr. 7).
129 Was die auf der Website Rospres abrufbaren Angaben anbelangt, so trifft es zwar zu, dass dieses Medium wegen Verleumdung verurteilt wurde, jedoch ist festzustellen, dass die von der Klägerin vorgelegten Urteile nicht den in Dokument Nr. 3 der Beweisakte vom Juni 2023 wiedergegebenen Artikel betreffen. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass ein Medium mehrmals wegen Verleumdung verurteilt wurde, nicht bedeutet, dass alle seine Veröffentlichungen unzuverlässig sind. Daraus folgt, dass Dokument Nr. 3 der Beweisakte nicht die Beweiskraft abgesprochen werden kann, da es keinen anderen Anhaltspunkt gibt, um die Zuverlässigkeit der Informationen auf der Website Rospres in Frage zu stellen.
130 Außerdem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass mit den auf den Internetseiten der Moscow Post und von Rosnadzor veröffentlichten Artikeln nur das Ziel verfolgt wurde, den Ruf von Persönlichkeiten zu schädigen, so dass ihnen nicht die Beweiskraft genommen werden kann.
131 Was das Vorbringen betrifft, mit dem gerügt wird, dass bestimmte Unterlagen in den Beweisakten nicht hinreichend genau oder inkohärent seien, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen die Beurteilung betrifft, ob die dem Rat zur Verfügung stehende tatsächliche Grundlage ausreicht, um die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen zu rechtfertigen.
132 Nach alledem kann unter Berücksichtigung des Kontexts, der die Lage in der Russischen Föderation kennzeichnet, in Ermangelung von Ermittlungsbefugnissen des Rates in Drittländern (siehe oben, Rn. 59 und 60) der Beweiswert der Dokumente in den Beweisakten vom Juni und vom Juli 2023 nicht ausgeschlossen werden.
2) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g
133 Die Klägerin ist der Ansicht, dass der zweite Teil des geänderten Kriteriums g dahin auszulegen sei, dass er sich nicht abstrakt auf jedes Profitieren beziehe, sondern auf Vorteile in Form von Transfers von Geldern und Vermögenswerten zu dem Zweck, Vermögenswerte zu verschleiern und die gegen die ursprünglich benannte Person erlassenen restriktiven Maßnahmen zu umgehen, damit diese die Kontrolle über die Ressourcen behalte. Außerdem müsse der fragliche Vorteil aus der Zeit stammen, als die restriktiven Maßnahmen gegen die ursprünglich benannte Person und deren unmittelbare Familienangehörige erlassen worden seien, da sonst nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Gefahr einer Umgehung der restriktiven Maßnahmen bestehe.
134 Nach Ansicht der Klägerin legt der Rat keine hinreichende tatsächliche Grundlage vor, um die Aufnahme ihres Namens in die streitigen Listen auf der Grundlage des streitigen Kriteriums zu rechtfertigen. Insbesondere habe der Rat nicht nachgewiesen, dass es einen Transfer von Geldern oder Vermögenswerten seitens ihres Vaters gegeben habe, um dessen Vermögenswerte zu verschleiern, die restriktiven Maßnahmen zu umgehen und die Kontrolle über die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu behalten. Die Klägerin ist ferner der Ansicht, dass der Rat nicht nachgewiesen habe, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 ein Vorteil bestanden habe. Zu der Feststellung, dass ihre Immobilien mit ihrem Vater in Verbindung stünden, macht die Klägerin geltend, der Rat habe nicht nachgewiesen, dass diese Immobilien zuvor ihrem Vater gehört hätten. Außerdem hätten die behaupteten Transaktionen zeitlich entfernt vom Erlass der restriktiven Maßnahmen gegen ihren Vater im Februar 2022 stattgefunden, so dass es keinen Willen zur Umgehung der restriktiven Maßnahmen geben könne. Darüber hinaus seien die Verbindungen zwischen dem Unternehmen Ronin und dem Unternehmen Transneft in Bezug auf das zugrunde gelegte Aufnahmekriterium unerheblich.
135 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
136 Der Rat macht insbesondere geltend, der zweite Teil des geänderten Kriteriums g sei in einem ähnlichen Sinne zu verstehen wie das Kriterium der „Verbindung“ in seiner Auslegung durch das Gericht. Dieses Kriterium sei dahin auszulegen, dass es auf unmittelbare Familienangehörige, die durch „gemeinsame Interessen“ mit in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten in Verbindung stünden, Anwendung finden müsse, ohne dass jedoch eine Verbindung wirtschaftlicher Art erforderlich sei, da diese Verbindung je nach Kontext und Umständen des Einzelfalls dadurch zum Ausdruck komme, dass sie von diesen Geschäftsleuten profitierten.
137 Der Rat macht geltend, der Umstand, dass die Klägerin von ihrem Vater profitiere, werde daraus ersichtlich, dass ihr Vermögen und ihre Geschäfte mit diesem in Verbindung stünden. Die Klägerin habe ein Vermögen im Immobilienbereich gemacht, indem sie von der Funktion ihres Vaters als Generaldirektor von Transneft und dessen Beziehungen zu Herrn Putin profitiert habe. Außerdem ist der Rat der Ansicht, er habe insbesondere auf der Grundlage der Unterlagen in den Beweisakten von Juni und vom Juli 2023 das Bestehen gemeinsamer Interessen, die sich aus einer Praxis familiärer Geschäftsführung ergäben, wirksam dargetan. Auch die Vetternwirtschaft in Russland sei in diesem Zusammenhang als Faktor zu berücksichtigen.
138 Es ist festzustellen, dass sich die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2023 nicht mehr aus der Anwendung des Kriteriums der verbundenen Person ergibt, das in Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung vorgesehen ist. Zum einen geht aus den Gründen nicht mehr hervor, dass eine Verbindung zu Herrn Stanislav Chemezov bestünde. Zum anderen hat der Rat mit seiner Feststellung, dass die Klägerin eine nahe Angehörige von Herrn Tokarev, einem der führenden in Russland tätigen Geschäftsleute, sei und von ihm profitiere, auf die Klägerin das im zweiten Teil des geänderten Kriteriums g vorgesehene Kriterium angewandt.
139 Es ist darauf hinzuweisen, dass nach dem zweiten Teil des geänderten Kriteriums g u. a. die unmittelbaren Familienangehörigen von in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten oder andere Personen, die von diesen profitieren, in die streitigen Listen aufgenommen werden können.
140 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts zwar rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht, gleichwohl aber deren Inhalt präzisieren können, da sie ein wichtiges Auslegungselement sind, das den Willen des Gesetzgebers erhellen kann (vgl. Urteil vom 26. Januar 2021, Hessischer Rundfunk, C‑422/19 und C‑423/19, EU:C:2021:63, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
141 Im vorliegenden Fall wurde dieses Benennungskriterium gemäß dem fünften Erwägungsgrund des Beschlusses 2023/1094 eingeführt, um den Druck auf die Regierung der Russischen Föderation zu erhöhen und um die Gefahr einer Umgehung der restriktiven Maßnahmen zu vermeiden. Insbesondere geht aus diesem Erwägungsgrund im Wesentlichen hervor, dass die Notwendigkeit einer Benennung unmittelbarer Familienangehöriger oder anderer natürlicher Personen, die von in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten profitieren, damit gerechtfertigt wurde, dass Letztere ihre Gelder und Vermögenswerte unter ihren unmittelbaren Familienangehörigen und anderen Personen aufgeteilt hätten, insbesondere um ihre Vermögenswerte zu verbergen, die restriktiven Maßnahmen zu umgehen und die Kontrolle über die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu behalten.
142 Somit ist der Begriff des „Profitierens“ im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g unter Berücksichtigung der mit diesem Kriterium verfolgten, oben in Rn. 141 genannten Ziele auszulegen, die eine Erhöhung der Kosten für Handlungen der Russischen Föderation bedeuten, die darauf abzielen, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu untergraben. Das Profitieren im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich somit auf Vorteile jeglicher Art, die nicht notwendigerweise zu Unrecht gezogen werden, die jedoch quantitativ und qualitativ nicht unerheblich sein dürfen. Es kann sich also um einen finanziellen oder nicht finanziellen Vorteil wie eine Spende, einen Transfer von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen, eine Maßnahme zur Förderung der Vergabe öffentlicher Aufträge, um eine Ernennung oder um eine Beförderung handeln. Angesichts des im fünften Erwägungsgrund des Beschlusses 2023/1094 ausdrücklich genannten Ziels, Praktiken zur Umgehung restriktiver Maßnahmen zu vermeiden, können auch Vorteile, die von in Russland tätigen führenden Geschäftsleuten in einer Situation gewährt werden, die zu einer Umgehung der gegen sie gerichteten restriktiven Maßnahmen führen könnte, unter den zweiten Teil des geänderten Kriteriums g fallen.
143 Daher macht die Klägerin zum einen zu Unrecht geltend, dass sich der Begriff des „Profitierens“ im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g allein auf Vorteile in Form von Transfers von Geldern zum Zweck der Umgehung der restriktiven Maßnahmen beschränken müsse. Eine Beschränkung des Begriffs des „Profitierens“ auf Transfers von Geldern geht aus dem Wortlaut dieses Kriteriums nicht hervor und würde es nicht ermöglichen, die vielfältigen Formen, die ein Vorteil annehmen kann, zu erfassen. Außerdem kann eine Situation, die zu einer Umgehung führen kann, zwar das Vorliegen eines Profitierens im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g begründen, doch muss der Rat für die Aufnahme des Namens einer Person in die streitigen Listen nach diesem Kriterium nicht zwingend den Nachweis erbringen, dass eine solche Situation besteht. Zum anderen kann der Rat nicht geltend machen, dass der zweite Teil des geänderten Kriteriums g in einem ähnlichen Sinne wie das Kriterium der verbundenen Person nach Art. 2 Abs. 1 a. E. des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung zu verstehen sei, soweit es sich auf Personen beziehe, die durch gemeinsame Interessen miteinander in Verbindung stünden. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass dem zweiten Teil des geänderten Kriteriums g die praktische Wirksamkeit genommen würde, da er gegenüber dem Kriterium der verbundenen Person völlig bedeutungslos wäre, wenn dieses im Zusammenhang mit einer nach dem Kriterium g aufgenommenen Person angewandt wird.
144 Außerdem kann sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin das Profitieren, auf das sich der zweite Teil des geänderten Kriteriums g bezieht, nicht auf die Vorteile beschränken, die in Russland tätige führende Geschäftsleute einem unmittelbaren Familienangehörigen oder anderen Personen zu einem Zeitpunkt gewähren, der mit der Aufnahme in die streitigen Listen zusammenfällt. Eine solche zeitliche Begrenzung der Vorteile, die berücksichtigt werden können, um die Anwendung dieses Kriteriums zu ermöglichen, geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht hervor. Außerdem wäre eine solche von der Klägerin vorgeschlagene einschränkende Auslegung unvereinbar mit den mit der Einführung dieses Kriteriums verfolgten Zielen, nämlich den Druck auf die Regierung der Russischen Föderation zu erhöhen und die Gefahr einer Umgehung der restriktiven Maßnahmen zu vermeiden, die insbesondere durch Vorteile entsteht, die von führenden Geschäftsleuten vor der Aufnahme ihrer Namen in die streitigen Listen gewährt werden.
145 Gleichwohl sind die Umstände der Gewährung eines Vorteils und der Zeitablauf zwischen der Gewährung eines Vorteils durch in Russland tätige Geschäftsleute und dem Zeitpunkt der Aufnahme von deren Namen in die streitigen Listen Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung der Begründetheit der Aufnahme des Namens der Person, der dieser Vorteil gewährt wurde, in diese Listen zu berücksichtigen sind. Jedenfalls müssen der Vorteil, den die Person erhalten hat, deren Name aufgrund des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g in die streitigen Listen aufgenommen wurde, oder zumindest seine Folgen zum Zeitpunkt des Erlasses der restriktiven Maßnahmen gegen diese Person andauern.
146 Außerdem muss die Auslegung des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g dem Grundsatz der Rechtssicherheit entsprechen. Es ist darauf hinzuweisen, dass das System restriktiver Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine zunächst durch den Erlass des Beschlusses 2014/145 als Reaktion auf die Annexion der Krim und die Destabilisierung des Ostens der Ukraine Ende Februar 2014 und sodann durch eine schrittweise Konsolidierung dieses Systems umgesetzt wurde, um es an die Schwere der Beeinträchtigungen der territorialen Unversehrtheit, der Souveränität und der Unabhängigkeit der Ukraine durch die Russische Föderation anzupassen. Da mit den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen die Reaktion der Union auf speziell die Ukraine betreffende, mit der Annexion der Krim begonnene Politiken und Tätigkeiten der russischen Behörden fortgesetzt wird, kann sich der Rat folglich nicht gemäß dem zweiten Teil des geänderten Kriteriums g auf Vorteile berufen, die führende Geschäftsleute ihren unmittelbaren Familienangehörigen oder anderen Personen vor Ende Februar 2014 gewährt haben (vgl. entsprechend Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 92).
147 Anhand dieser Auslegung des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g ist zu prüfen, ob der Rat über eine hinreichende tatsächliche Grundlage verfügte, um die Anwendung dieses Kriteriums auf die Klägerin in den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2023 zu rechtfertigen.
148 Im vorliegenden Fall ist die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen zum einen dadurch gerechtfertigt, dass ihr Immobilienvermögen mit ihrem Vater in Verbindung stehen konnte, und zum anderen durch das Bestehen von Verbindungen zwischen ihr und dem Unternehmen Ronin, das als Verwalter des Pensionsfonds des Unternehmens Transneft dargestellt wurde. Trotz der Änderung des auf die Klägerin angewandten Benennungskriteriums sind die Aufnahmegründe identisch mit denen der Fortsetzungsrechtsakte vom März 2023.
149 Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass sich der Rat nicht auf das Bestehen von Geschäftsbeziehungen der Klägerin mit den Unternehmen Ronin Trust und Ronin Europe stützen konnte, um eine Verbindung zwischen ihr und Herrn Tokarev über das Unternehmen Transneft nachzuweisen (siehe oben, Rn. 80 bis 84), und dass er in den Beweisakten vom Juni und vom Juli 2023 nichts vorgebracht hat, was dieses Ergebnis in Frage stellen könnte. Folglich können diese Geschäftsbeziehungen kein von Herrn Tokarev Profitieren im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g darstellen. Daraus folgt, dass das Vorbringen des Rates, mit dem das Vorliegen eines Profitierens aufgrund der Verbindung zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Europe nachgewiesen werden soll, und das Vorbringen zum Fortbestehen von Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem Unternehmen Ronin Trust keinen Erfolg haben können, wenn es darum geht, die Begründetheit der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 zu belegen.
150 Da in den Aufnahmegründen eine Verbindung zwischen dem Immobilienvermögen der Klägerin und Herrn Tokarev angeführt wird, ist als Zweites zu prüfen, ob die dem Rat zur Verfügung stehende tatsächliche Grundlage Anhaltspunkte dafür enthält, dass dieses Vermögen im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g auf einem Profitieren von ihrem Vater beruhen kann.
151 Erstens hat die Klägerin in Bezug auf die Immobilie in Jūrmala in Lettland nachgewiesen, dass sie seit ihrer Scheidung im Juni 2019 nicht mehr am Unternehmen Dzintaru 34 beteiligt war, das Eigentümer dieser Immobilie ist (siehe oben, Rn. 88). Diese Feststellung wird im Übrigen durch Dokument Nr. 7 der Beweisakte WK 1128/2023 INIT und Dokument Nr. 1 der Beweisakte vom Juli 2023 bestätigt. Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 nicht mehr über diese Immobilie verfügte, kann diese folglich die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g nicht rechtfertigen.
152 Was zweitens die Immobilien in Kroatien betrifft, geht aus Dokument Nr. 5 der Beweisakte vom Juli 2023 hervor, dass die Klägerin die Villa Karolina im Jahr 2009 erwarb. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sie mit dieser Immobilie von ihrem Vater profitierte, geht dies auf eine Zeit vor der Annexion der Krim im Februar 2014 zurück. Daher konnte sich der Rat zur Rechtfertigung der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g nicht darauf stützen, dass sie über das Unternehmen Katina zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 Eigentümerin der Villa Karolina war. Hinsichtlich der Wohnung in Kroatien im Wert von etwa 700 000 Euro, deren Eigentümerin die Klägerin über das Unternehmen TGA ist, ist festzustellen, dass die Beweise weder das Datum des Erwerbs dieser Immobilie angeben, noch Informationen enthalten, die die Feststellung ermöglichen würden, dass sie insoweit von ihrem Vater profitierte. Somit konnte der bloße Umstand, dass die Klägerin Eigentümerin dieser anderen in Kroatien belegenen Immobilie war, die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des für sie geltenden Benennungskriteriums nicht rechtfertigen.
153 Was die Hotelanlage im Wert von mehreren Milliarden USD betrifft, die von der Familie Tokarev in Kroatien erworben worden sein soll, so können die Angaben in den Beweisakten vom Juni und Juli 2023 nicht die Ungewissheiten beseitigen, die sich aus der Ungenauigkeit der Dokumente der ursprünglichen Beweisakte und der Akte WK 1128/2023/INIT ergeben (siehe oben, Rn. 90 und 119). Dokument Nr. 4 der Beweisakte vom Juni 2023 und die Dokumente Nrn. 2, 4, 6 und 7 der Beweisakte vom Juli 2023 enthalten nämlich keine zusätzlichen Informationen, die über diejenigen hinausgehen würden, die in der ursprünglichen Beweisakte und in einem 2016 veröffentlichten Artikel der Moscow Post enthalten sind (Anlage D.1). Zwar bestätigen Dokument Nr. 4 der Beweisakte vom Juni 2023 und die Dokumente Nrn. 2 und 4 der Beweisakte vom Juli 2023, dass die Klägerin im Jahr 2005 Einkünfte von einem Unternehmen namens Caprice-Stell erzielt hatte, das mittelbar Anteile an einer Hotelgesellschaft hielt, die als Eigentümerin einer Hotelanlage in Kroatien dargestellt wurde. Selbst wenn der Umstand, dass die Klägerin Einkünfte von Caprice-Stell erzielt hatte, als Beweis für den Erwerb einer Hotelanlage angesehen werden könnte, ist jedoch festzustellen, dass sich der Sachverhalt weit vor der Annexion der Krim im Februar 2014 ereignete. Im Übrigen enthalten die Dokumente der Beweisakten keinen Hinweis darauf, dass die Klägerin nach dem Jahr 2005 von Caprice-Stell eine Vergütung erhalten hätte, und auch keinen Hinweis darauf, dass sie zum Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsakte vom September 2023 unmittelbar oder mittelbar eine Hotelanlage in Kroatien besaß. Vielmehr geht aus Dokument Nr. 5 der Beweisakte vom Juli 2023 hervor, dass die Klägerin in Kroatien im März 2023 nur über das Unternehmen Katina Eigentümerin der Villa Karolina und über das Unternehmen TGA Eigentümerin einer Wohnung im Wert von etwa 700 000 Euro war. Daraus folgt, dass sich der Rat nicht auf die Annahme, dass die Klägerin in Kroatien eine Hotelanlage erworben hat, stützen kann, um die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g zu rechtfertigen.
154 Drittens ist in Bezug auf die Immobilien in Moskau darauf hinzuweisen, dass die Verbindungen zwischen den Unternehmen der RPA-Gruppe und dem Unternehmen Ronin Trust nicht geeignet sind, eine Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Vater herzustellen. Selbst wenn also eine Verbindung zwischen Ronin Trust und dem Unternehmen Ostozhenka 19, über das die Klägerin Eigentümerin des oben in Rn. 87 angeführten historischen Gebäudes ist, bestehen sollte, wäre dieser Umstand für den Nachweis, dass diese Immobilie einen Vorteil darstellt, der von Herrn Tokarev nach der Annexion der Krim im Februar 2014 gewährt wurde, nicht relevant. Der Rat führt auch keine Beweise dafür an, dass die Wohnung in der Brusov-Straße einen solchen Vorteil darstellen würde. Im Übrigen ist festzustellen, dass die Beweisakten keine hinreichend konkreten, genauen und übereinstimmenden Indizien enthalten, die die Feststellung ermöglichen würden, dass zwischen einer dieser Immobilien, dem Unternehmen Transneft oder Herrn Tokarev Verbindungen bestanden, die belegen könnten, dass eine dieser Immobilien auf einem Profitieren der Klägerin von ihrem Vater im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g beruht.
155 Viertens kann der Rat die Feststellung, dass die Klägerin von ihrem Vater im Immobilienbereich profitiert, nicht darauf stützen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 Beteiligungen am Immobilienkomplex Gelendzhik Resort Meridian hielt. Da diese Immobilie bei den in den Aufnahmegründen der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 angeführten Immobilien nicht genannt ist, kann nämlich nicht zugelassen werden, dass sich der Rat auf den Umstand, dass die Klägerin Beteiligungen an dieser Immobilie hält, beruft, um die Begründetheit dieser Rechtsakte zu belegen, da andernfalls eine Auswechslung der Begründung zugelassen würde. Jedenfalls hat der Rat nicht nachgewiesen, dass diese Immobilie, deren Eigentümerin die Klägerin u. a. gemeinsam mit Herrn Stanislav Chemezov ist, mit Herrn Tokarev in Verbindung stehen könnte.
156 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen macht die Klägerin somit zu Recht geltend, dass die dem Rat zur Verfügung stehende tatsächliche Grundlage nicht ausreichend gewesen sei, um nachzuweisen, dass, als die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 erlassen worden seien, eine Immobilie ihres Immobilienvermögens auf einem Profitieren von Herrn Tokarev im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g beruht hätte.
157 Das Vorbringen des Rates ist nicht geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen.
158 Erstens ist zu dem Vorbringen, die Geschäfte der Klägerin hätten mit ihrem Vater in Verbindung gestanden, als sie Eigentümerin des Unternehmens Irvin 2 gewesen sei, weil Herr Tokarev nach den Dokumenten Nrn. 3 und 5 der Beweisakte vom Juni 2023 Druck auf einen Gesundheitsminister ausgeübt habe, um die Vergabe von Verträgen an dieses Unternehmen zu fördern, festzustellen, dass dieser Umstand den Arzneimittelsektor und nicht das Immobilienvermögen der Klägerin betraf. In Anbetracht des Wortlauts der Aufnahmegründe, in denen lediglich das Immobilienvermögen der Klägerin erwähnt wird, kann sich der Rat aber nicht auf einen Vorteil der Klägerin berufen, der in keinem Zusammenhang mit diesem Vermögen steht. Jedenfalls ist festzustellen, dass sich der in Rede stehende Sachverhalt weit vor der Annexion der Krim ereignete.
159 Was zweitens den Umstand betrifft, der sich aus Dokument Nr. 7 der Beweisakte vom Juli 2023 ergibt, wonach der ehemalige Ehemann der Klägerin Begünstigter von Unternehmen gewesen sei, die Verträge mit Transneft insbesondere nach der Annexion der Krim geschlossen hätten, trifft es zu, dass dieser Umstand für den Nachweis relevant wäre, dass ein System familiärer Geschäftsführung besteht, das geeignet ist, das Vermögen der Klägerin in einem für die Beurteilung des Vorliegens eines Profitierens im Sinne des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g angemessenen Zeitraum zu erhöhen. Während jedoch in den Gründen für die Aufnahme in die Liste das Immobilienvermögen der Klägerin als Profitieren im Sinne dieses Kriteriums bezeichnet wird, ist festzustellen, dass sich der Rat auf keinen Gesichtspunkt beruft, der es erlauben würde, eine Verbindung zwischen den Verträgen von Transneft, von denen der ehemalige Ehemann der Klägerin mittelbar profitiert haben soll, und einer möglichen Vergrößerung des Immobilienvermögens der Klägerin nachzuweisen. Darüber hinaus enthalten die Unterlagen in den Beweisakten, wie sich aus Rn. 154 des vorliegenden Urteils ergibt, keine hinreichend konkreten, genauen und übereinstimmenden Indizien, die die Feststellung ermöglichen würden, dass eine solche Verbindung bestand.
160 Drittens kann sich der Rat zur Stützung seines Vorbringens zur familiären Geschäftsführung nicht auf die Angaben in Dokument Nr. 4 der Beweisakte vom Juni 2023 und in Dokument Nr. 2 der Beweisakte vom Juli 2023 stützen. In diesen Dokumenten, deren Inhalt weitgehend ähnlich ist, wird nämlich auf eine Geschäftsbeziehung hingewiesen, die zwischen der Klägerin und einem ihrer ehemaligen Mitgesellschafter eines Unternehmens namens Région-Finance bestand. Es ist jedoch festzustellen, dass diese Dokumente nicht den Nachweis ermöglichen, dass Herr Tokarev an dieser Geschäftsbeziehung beteiligt war. Im Übrigen können die angeführten Tatsachen, wie die Klägerin zu Recht ausführt, nicht mit den Gründen für die Aufnahme in die Liste in Verbindung gebracht werden. Was Dokument Nr. 2 der Beweisakte vom Juni 2023 betrifft, so wird dieses vom Rat angeführt, um ein System familiärer Geschäftsführung aufzuzeigen, das den Immobilienkomplex Gelendzhik Resort Meridian betreffen soll. Dieses Dokument beschränkt sich jedoch auf die Angabe, dass die Klägerin mit Herrn Stanislav Chemezov Beteiligungen an diesem Komplex halte, und ermöglicht es nicht, irgendeine Verbindung zwischen diesem Komplex und Herrn Tokarev herzustellen. In Bezug auf Dokument Nr. 6 der Beweisakte vom Juli 2023 ist festzustellen, dass es gegenüber den sonstigen Dokumenten in den Beweisakten betreffend die Hotelanlage in Kroatien oder den Komplex Gelendzhik Resort Meridian keine zusätzlichen Angaben enthält, die die Feststellung eines von Herrn Tokarev gewährten Vorteils ermöglichen würden. Ebenso wenig kann sich der Rat aus denselben Gründen, wie sie oben dargelegt worden sind, auf die Geschäftsbeziehung zwischen der Klägerin und ihrem ehemaligen Mitgesellschafter des Unternehmens Région-Finance berufen, um eine Verbindung zu ihrem Vater herzustellen.
161 Viertens kann sich der Rat weder auf einen durch Vetternwirtschaft gekennzeichneten Kontext berufen, noch sich allein darauf stützen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit erheblichem Immobilienvermögen war, um die Aufnahme ihres Namens auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g zu rechtfertigen. Da nämlich aus den Aufnahmegründen im Wesentlichen hervorgeht, dass das Immobilienvermögen der Klägerin den von Herrn Tokarev gewährten Vorteil darstellt, war es Sache des Rates, nachzuweisen, dass der Vater der Klägerin nach der Annexion der Krim im Februar 2014 zu einer Erhöhung dieses Immobilienvermögens beigetragen hatte. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Rat kein Bündel hinreichend konkreter, genauer und übereinstimmender Indizien angeführt hat, die die Feststellung einer solchen Erhöhung des Immobilienvermögens der Klägerin ermöglichen. Im Übrigen ist festzustellen, dass der Rat auch nicht nachgewiesen hat, dass Herr Tokarev nach der Annexion der Krim zu einer nicht unerheblichen Erhöhung des beweglichen Vermögens der Klägerin beigetragen hätte.
162 Folglich ist dem Klagegrund eines Beurteilungsfehlers stattzugeben, soweit er gegen die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2023 gerichtet ist.
163 Nach alledem sind die angefochtenen Rechtsakte somit für nichtig zu erklären, soweit sie die Klägerin betreffen, ohne dass die übrigen Klagegründe, einschließlich der Einrede der Rechtswidrigkeit, die sich auf den zweiten Teil des geänderten Kriteriums g bezieht, geprüft zu werden brauchen.
2. Zu den Wirkungen der Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte
164 Der Rat hat im Rahmen seines zweiten Antrags beantragt, für den Fall, dass das Gericht die angefochtenen Rechtsakte für nichtig erklären sollte, soweit sie die Klägerin betreffen, anzuordnen, dass die Wirkungen der Beschlüsse 2022/1530, 2023/572 und 2023/1767 in Bezug auf die Klägerin fortgelten, bis die teilweise Nichtigerklärung der Durchführungsverordnungen 2022/1529, 2023/571 und 2023/1765 wirksam wird.
165 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Rat mit den Beschlüssen 2022/1530, 2023/572 und 2023/1767 die in Anhang I des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung enthaltene Liste der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen aktualisiert hat und dabei den Namen der Klägerin auf der Liste belassen hat, und zwar bis zum 15. März 2024.
166 Mit dem Beschluss (GASP) 2024/847 vom 12. März 2024 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. L, 2024/847) hat der Rat die in Anhang I des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung enthaltene Liste der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen aktualisiert und dabei den Namen der Klägerin bis zum 15. September 2024 auf der Liste belassen.
167 Folglich ist festzustellen, dass die Nichtigerklärung der Beschlüsse 2022/1530, 2023/572 und 2023/1767, soweit sie die Klägerin betreffen, zwar zur Nichtigerklärung der Belassung ihres Namens auf der Liste in Anhang I des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung für den Zeitraum vom 15. September 2022 bis zum 15. März 2024 führt, sich aber nicht auf den Beschluss 2024/847 erstreckt, der nicht Gegenstand der vorliegenden Klage ist.
168 Da die Klägerin bis heute neuen restriktiven Maßnahmen unterliegt, ist der Hilfsantrag des Rates zu den zeitlichen Auswirkungen der teilweisen Nichtigerklärung der Beschlüsse 2022/1530, 2023/572 und 2023/1767 daher gegenstandslos geworden.
B. Zum Antrag auf Schadensersatz
169 Die Klägerin macht geltend, dass ihr durch die Verlängerung der gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen durch die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 ein immaterieller Schaden entstanden sei. Diese Rechtsakte hätten sie der Schmach ausgesetzt und ihr gegenüber Misstrauen hervorgerufen. Die Schädigung ihres Rufes sei umso bedeutsamer, als sie soziale Beziehungen in den Mitgliedstaaten, insbesondere in Kroatien und in Zypern, unterhalte. Da die Aufnahme ihres Namens in die streitigen Listen von den Medien stark kommuniziert und thematisiert worden sei, könne die Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte keine Wiedergutmachung des erlittenen Schadens darstellen. Im Übrigen macht die Klägerin in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Kommission geltend, dass sich die Schädigung ihres Rufes auch daraus ergebe, dass ihr die zyprische Staatsangehörigkeit infolge der Aufnahme ihres Namens in die streitigen Listen entzogen worden sei.
170 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
171 Nach der Rechtsprechung setzt die außervertragliche Haftung der Union einen qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, das tatsächliche Bestehen des Schadens sowie einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem betreffenden Organ obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden voraus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).
172 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der Union im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV kumulativ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2010, Fahas/Rat, T‑49/07, EU:T:2010:499, Rn. 93, und Beschluss vom 17. Februar 2012, Dagher/Rat, T‑218/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:82, Rn. 34). Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, ist die Klage folglich insgesamt abzuweisen, ohne dass die übrigen Voraussetzungen geprüft zu werden brauchten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 1999, Lucaccioni/Kommission, C‑257/98 P, EU:C:1999:402, Rn. 14, und vom 26. Oktober 2011, Dufour/EZB, T‑436/09, EU:T:2011:634, Rn. 193).
173 Nach gefestigter Rechtsprechung reicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts der Union z. B. im Rahmen einer Nichtigkeitsklage – so bedauerlich dieser Rechtsverstoß auch sein mag – nicht aus, um automatisch die außervertragliche Haftung der Union wegen der Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines ihrer Organe auszulösen. Damit diese Voraussetzung erfüllt ist, muss der Kläger nach der Rechtsprechung nachweisen, dass das fragliche Organ nicht nur einen einfachen Rechtsverstoß begangen hat, sondern einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll (Urteile vom 5. Juni 2019, Bank Saderat/Rat, T‑433/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:374, Rn. 48, und vom 7. Juli 2021, HTTS/Rat, T‑692/15 RENV, EU:T:2021:410, Rn. 53).
174 Ein qualifizierter Verstoß gegen eine Unionsrechtsnorm ist erforderlich, weil eine Abwägung zwischen dem Interesse des Einzelnen am Schutz gegen rechtswidrige Handlungen der Organe und dem Spielraum, der Letzteren belassen werden muss, damit sie in ihrem Handeln nicht gelähmt werden, geboten ist. Eine solche Abwägung ist gerade im Bereich der restriktiven Maßnahmen, in dem die vom Rat vorzunehmende Bewertung wegen der Schwierigkeit der Informationsbeschaffung in vielen Fällen erheblich erschwert ist, von besonderer Bedeutung (Urteile vom 10. September 2019, HTTS/Rat, C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 34, und vom 7. Juli 2021, Bateni/Rat, T‑455/17, EU:T:2021:411, Rn. 90).
175 Im Übrigen dient der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes dazu, insbesondere im Bereich der restriktiven Maßnahmen zu verhindern, dass die Aufgabe, die das betreffende Organ im allgemeinen Interesse der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu erfüllen hat, durch das Risiko beeinträchtigt wird, dass dieses Organ letztlich Schäden zu tragen hat, die den von seinen Handlungen betroffenen Personen möglicherweise entstehen, wobei ihnen jedoch nicht die materiellen oder immateriellen Folgen von Pflichtverletzungen aufgebürdet werden, die das betreffende Organ in offenkundiger und unentschuldbarer Weise begangen hat (Urteile vom 5. Juni 2019, Bank Saderat/Rat, T‑433/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:374, Rn. 49, und vom 7. Juli 2021, HTTS/Rat, T‑692/15 RENV, EU:T:2021:410, Rn. 54).
176 Das übergeordnete Ziel der Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit im Einklang mit den in Art. 21 EUV genannten Zielen des auswärtigen Handelns der Union rechtfertigt nämlich auch erhebliche negative Folgen, die sich für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer aus Beschlüssen zur Durchführung der von der Union zur Verwirklichung dieses grundlegenden Ziels erlassenen Rechtsakte ergeben (Urteile vom 5. Juni 2019, Bank Saderat/Rat, T‑433/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:374, Rn. 50, und vom 7. Juli 2021, HTTS/Rat, T‑692/15 RENV, EU:T:2021:410, Rn. 55).
177 Was die Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens betrifft, kann die Haftung der Union nur ausgelöst werden, wenn der Kläger einen tatsächlichen und sicheren Schaden erlitten hat. Es ist Sache des Klägers, der sich auf die außervertragliche Haftung der Union beruft, Beweise für das Vorliegen und den Umfang des von ihm geltend gemachten Schadens zu erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Rat, C‑45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 61 und 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).
178 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen eines tatsächlichen und sicheren Schadens vom Unionsrichter nicht abstrakt beurteilt werden kann, sondern vielmehr anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Conseil, C‑45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).
179 Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die mutmaßliche Schädigung des Rufes der Klägerin festzustellen, dass dieses Vorbringen nicht untermauert ist. Die Klägerin beschränkt sich nämlich auf das Vorbringen, dass sie durch die angefochtenen Rechtsakte Schmach und Misstrauen ausgesetzt worden sei, ohne irgendeinen Beweis für diese Behauptung vorzulegen. Ferner hat sie keine Beweise für das Vorliegen sozialer Beziehungen in Kroatien oder Zypern vorgelegt. Ebenso wenig hat die Klägerin durch Beweise belegt, dass die Aufnahme ihres Namens Gegenstand einer breiten Medienberichterstattung gewesen wäre.
180 Im Übrigen ist zu dem Vorbringen, ihr Ruf sei durch die Entziehung ihrer zyprischen Staatsangehörigkeit geschädigt worden, festzustellen, ohne dass über die Zulässigkeit dieses erstmals in der Stellungnahme der Klägerin zum Streithilfeschriftsatz der Kommission vorgebrachten Arguments entschieden zu werden braucht, dass dieser Schaden auf einen von nationalen Behörden erlassenen Rechtsakt und nicht auf einen Rechtsakt der Organe der Union zurückgeht, so dass er nicht geeignet ist, die außervertragliche Haftung dieser Organe auszulösen. Der Umstand, dass die Entziehung der zyprischen Staatsangehörigkeit nach dem Erlass restriktiver Maßnahmen gegen die Klägerin erfolgte, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Die außervertragliche Haftung der Unionsorgane kann nämlich nicht durch Rechtsakte begründet werden, die von den Mitgliedstaaten nach der Aufnahme des Namens einer Person in die streitigen Listen erlassen wurden.
181 Es ist hinzuzufügen, dass die Klägerin keinen Beweis vorlegt, der den als Ersatz ihres angeblichen immateriellen Schadens geforderten Betrag von 1 000 000 Euro rechtfertigen könnte, obwohl ihr dies nach der oben in den Rn. 177 und 178 angeführten Rechtsprechung oblag.
182 Nach alledem ist festzustellen, dass die Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist.
183 Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen eine Person oder Organisation verhängten restriktiven Maßnahmen geeignet ist, für sie eine Form der Wiedergutmachung des erlittenen immateriellen Schadens darzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission, C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 72).
184 Nach alledem ist der die Fortsetzungsrechtsakte vom September 2022 betreffende Antrag auf Schadensersatz zurückzuweisen, da das tatsächliche Vorliegen und der Umfang des geltend gemachten Schadens nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen sind.
V. Kosten
185 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
186 Darüber hinaus tragen nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten und Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
187 Da der Rat im vorliegenden Fall im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Der Beschluss (GASP) 2022/1530 des Rates vom 14. September 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, die Durchführungsverordnung (EU) 2022/1529 des Rates vom 14. September 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, der Beschluss (GASP) 2023/572 des Rates vom 13. März 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, die Durchführungsverordnung (EU) 2023/571 des Rates vom 13. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, der Beschluss (GASP) 2023/1767 des Rates vom 13. September 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen und die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1765 des Rates vom 13. September 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen werden für nichtig erklärt, soweit der Name von Frau Maya Tokareva auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, auf die diese restriktiven Maßnahmen Anwendung finden, belassen wurde.
2. Der Schadensersatzantrag von Frau Tokareva wird zurückgewiesen.
3. Der Rat der Europäischen Union trägt seine eigenen Kosten und die Kosten von Frau Tokareva.
4. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. September 2024.
Unterschriften
Inhaltsverzeichnis
I. Vorgeschichte des Rechtsstreits
II. Nach Klageerhebung eingetretene Ereignisse
III. Anträge der Parteien
IV. Rechtliche Würdigung
A. Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte
1. Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler
a) Vorbemerkungen
b) Zu einem Rechtsfehler aufgrund der Aufnahme der Klägerin als mit Herrn Stanislav Chemezov verbundene Person
c) Zu einem Beurteilungsfehler, soweit die Klägerin als mit ihrem Vater verbundene Person in die Listen aufgenommen wurde
1) Zu den Fortsetzungsrechtsakten vom September 2022
i) Zur Zuverlässigkeit des Inhalts der ursprünglichen Beweisakte
ii) Zu Anlage B.5 zur Klagebeantwortung
iii) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den Listen als mit ihrem Vater verbundene Person
2) Zu den Fortsetzungsrechtsakten vom März 2023
i) Zur Zuverlässigkeit der Beweise
ii) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den Listen als mit ihrem Vater verbundene Person
d) Zur Anwendung des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g auf die Klägerin
1) Zur Zuverlässigkeit der Beweise
2) Zur Begründetheit der Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen auf der Grundlage des zweiten Teils des geänderten Kriteriums g
2. Zu den Wirkungen der Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte
B. Zum Antrag auf Schadensersatz
V. Kosten