T-480/23 – Plahotniuc/ Rat

T-480/23 – Plahotniuc/ Rat

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Language of document : ECLI:EU:T:2024:722

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

23. Oktober 2024(*)

„ Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die Moldau destabilisieren – Einfrieren von Geldern – Beschränkung der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Listen der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder eingefroren werden und deren Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten Beschränkungen unterliegt – Aufnahme des Namens des Klägers in die Listen – Von den Behörden eines Drittstaats eingeleitete strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfahren – Pflicht zur Überprüfung, ob dieser Beschluss die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wahrt – Begründungspflicht “

In der Rechtssache T‑480/23

Vladimir Gheorghe Plahotniuc, wohnhaft in Chişinău (Moldau), vertreten durch J. Pobjoy, Barrister,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Boggio-Tomasaz und P. Mahnič als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwältin E. Raoult,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen, des Richters C. Mac Eochaidh (Berichterstatter) und der Richterin M. Stancu,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und der Entscheidung gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, Herr Vladimir Gheorghe Plahotniuc, die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2023/1047 des Rates vom 30. Mai 2023 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2023/891 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren (ABl. 2023, L 140 I, S. 9), und der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1045 des Rates vom 30. Mai 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/888 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren (ABl. 2023, L 140 I, S. 1), soweit diese Rechtsakte (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte) ihn betreffen.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist ein Politiker und Geschäftsmann mit moldauischer Staatsangehörigkeit.

3        Am 28. April 2023 erließ der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss (GASP) 2023/891 des Rates vom 28. April 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren (ABl. 2023, L 114, S. 15), und auf der Grundlage von Art. 215 AEUV die Verordnung (EU) 2023/888 des Rates vom 28. April 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren (ABl. 2023, L 114, S. 1).

4        Nach den Erwägungsgründen des Beschlusses 2023/891 ist die Regierung der Republik Moldau zunehmend mit unmittelbaren Bedrohungen für ihre Stabilität konfrontiert, die sowohl von internen Gruppen mit eigenen Interessen als auch von Russland ausgehen, wobei diese wiederum häufig miteinander konspirieren, um das Land von seinem Reformkurs abzubringen.

5        Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2023/891 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um zu verhindern, dass folgende Personen in ihr Hoheitsgebiet einreisen oder durch ihr Hoheitsgebiet durchreisen:

a)      natürliche Personen, die für die Untergrabung oder Bedrohung der Souveränität und Unabhängigkeit der Republik Moldau oder der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Stabilität oder der Sicherheit in der Republik Moldau durch eine der folgenden Handlungen oder politische Maßnahmen verantwortlich sind, diese unterstützen oder umsetzen:

i)      Behinderung oder Untergrabung des demokratischen politischen Prozesses, einschließlich indem die Abhaltung von Wahlen behindert oder ernsthaft untergraben wird oder durch den Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung zu destabilisieren oder zu stürzen,

ii)      Planung, Steuerung, direkte oder indirekte Beteiligung an, Unterstützung oder anderweitige Ermöglichung von gewaltsamen Demonstrationen oder anderen Gewalttaten oder

iii)      schweres finanzielles Fehlverhalten in Bezug auf öffentliche Gelder und unerlaubte Kapitalausfuhr;

im Anhang [aufgeführt] … sind.“

6        Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891 werden sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen im Besitz, im Eigentum, in der Verfügungsgewalt oder unter der Kontrolle von natürlichen Personen, Organisationen oder Einrichtungen eingefroren, die Kriterien erfüllen, die im Wesentlichen den Kriterien nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a dieses Beschlusses entsprechen, und die im Anhang dieses Beschlusses aufgeführt sind.

7        Nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2023/888 enthält deren Anhang I u. a. die Namen der natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die Kriterien erfüllen, die im Wesentlichen den Kriterien nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891 entsprechen (im Folgenden: fragliche Aufnahmekriterien).

8        Art. 2 Abs. 1 der Verordnung 2023/888 bestimmt, dass sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen im Besitz, im Eigentum, in der Verfügungsgewalt oder unter der Kontrolle einer in Anhang I dieser Verordnung aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Organisation oder Einrichtung eingefroren werden.

9        Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 2023/888 sieht vor, dass den in Anhang I dieser Verordnung aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen dürfen.

10      Der Anhang des Beschlusses 2023/891 und der Anhang I der Verordnung 2023/888 enthalten die „Liste der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen gemäß Artikel 1 und 2“ bzw. die „Liste der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen gemäß Artikel 2“.

11      Am 30. Mai 2023 erließ der Rat die angefochtenen Rechtsakte.

12      Mit den angefochtenen Rechtsakten nahm der Rat weitere fünf Personen, zu denen auch der Kläger gehört, in die Listen der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen im Anhang des Beschlusses 2023/891 und in Anhang I der Verordnung 2023/888 auf (im Folgenden zusammen: fragliche Listen).

13      In den angefochtenen Rechtsakten begründete der Rat den Erlass der restriktiven Maßnahmen in Bezug auf den Kläger folgendermaßen (im Folgenden: Gründe für die fragliche Aufnahme):

„Gegen Vladimir Plahotniuc laufen in der Republik Moldau mehrere Strafverfahren wegen Veruntreuung staatlicher Gelder der Republik Moldau und wegen des illegalen Transfers dieser Gelder in Gebiete außerhalb der Republik Moldau. Gegen ihn wurde in der Rechtssache ,Bankbetrug‘ Anklage erhoben, unter dessen wirtschaftlichen Folgen das Land bis heute … leidet. Ferner laufen gegen ihn Ermittlungen wegen Bestechung des ehemaligen Präsidenten der Republik Moldau mit einer großen Menge Bargeld als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten.

Da Vladimir Plahotniuc schweres finanzielles Fehlverhalten in Bezug auf öffentliche Gelder gezeigt und unerlaubt Kapital ausgeführt hat, ist er für Handlungen sowie für die Durchführung von Maßnahmen verantwortlich, die die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Stabilität und die Sicherheit in der Republik Moldau untergraben und bedrohen, indem sie die demokratischen politischen Prozesse in der Republik Moldau untergraben und schweres finanzielles Fehlverhalten in Bezug auf öffentliche Gelder gefährden.“

14      Am 31. Mai 2023 veröffentlichte der Rat im Amtsblatt der Europäischen Union eine Mitteilung an die Personen, die den restriktiven Maßnahmen nach dem Beschluss 2023/891, geändert durch den Beschluss 2023/1047, und der Verordnung 2023/888, durchgeführt durch die Durchführungsverordnung 2023/1045 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren, unterliegen (ABl. 2023, C 190, S. 5).

 Anträge der Parteien

15      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie ihn betreffen;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

16      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Der Kläger stützt seine Nichtigkeitsklage auf zwei Gründe, nämlich erstens auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler und zweitens auf eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 6 EUV in Verbindung mit den Art. 2 und 3 EUV sowie den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

 Vorbemerkungen

18      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Gründe für die fragliche Aufnahme, die oben in Rn. 13 wiedergegeben sind, gewisse Ungenauigkeiten und Unklarheiten aufweisen.

19      Zum einen stützt der Rat die Aufnahme auf strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfahren, die gegen den Kläger in den Rechtssachen „Bankbetrug“ und „Bestechung des ehemaligen Präsidenten der Republik Moldau“ eingeleitet worden seien, verweist ohne weitere Angaben aber auch auf „mehrere Strafverfahren wegen Veruntreuung staatlicher Gelder der Republik Moldau und wegen des illegalen Transfers dieser Gelder in Gebiete außerhalb [dieser] Republik …“.

20      Zur letzten Bezugnahme ist darauf hinzuweisen, dass die Begründung eines Rechtsakts des Rates, mit dem eine Maßnahme des Einfrierens von Geldern verhängt wird, die besonderen und konkreten Gründe nennen muss, aus denen der Rat in Ausübung seines Ermessens annimmt, dass der Betroffene einer solchen Maßnahme zu unterwerfen sei (Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 52).

21      In der Begründung brauchen jedoch nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteil vom 18. Mai 2022, Foz/Rat, T‑296/20, EU:T:2022:298, Rn. 39 [nicht veröffentlicht]).

22      Insbesondere ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt ist und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (Urteil vom 18. Mai 2022, Foz/Rat, T‑296/20, EU:T:2022:298, Rn. 40 [nicht veröffentlicht]).

23      Dies ist vorliegend der Fall, soweit es um die in den Gründen für die fragliche Aufnahme erfolgte Bezugnahme auf „mehrere Strafverfahren“ geht. Denn es ist davon auszugehen, dass dem Betroffenen bekannt ist, ob solche Verfahren gegen ihn eingeleitet wurden.

24      Zudem mag der Rat zwar auf eine unbestimmte Zahl von Strafverfahren Bezug nehmen, er gibt jedoch deren Art und Gegenstand an. Genannt werden nämlich nur Verfahren, die bestimmte Straftatbestände betreffen, und zwar „Strafverfahren wegen Veruntreuung staatlicher Gelder der Republik Moldau und wegen des illegalen Transfers dieser Gelder in Gebiete außerhalb der Republik Moldau“. Solche sachlichen Erwägungen, aus denen der Rat den Erlass der in den angefochtenen Rechtsakten vorgesehenen restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger für erforderlich gehalten hat, sind daher hinreichend substantiiert, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, ihre Richtigkeit vor dem Rat und sodann vor dem Unionsgericht in Frage zu stellen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2014, Ezz u. a./Rat, T‑256/11, EU:T:2014:93, Rn. 114).

25      Zum anderen hat der Rat im zweiten Absatz der Gründe für die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen, der die Rechtsgrundlage der angefochtenen Rechtsakte aufzeigen soll, eine Formulierung gewählt, die in Bezug auf die Kriterien nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891, auf die die Aufnahme gestützt ist, Unklarheit schafft.

26      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Begründungspflicht neben der Angabe der Rechtsgrundlage für die beschlossene Maßnahme gerade auf die Umstände erstreckt, die darauf schließen lassen, dass das eine oder das andere Eintragungskriterium bei den Betroffenen erfüllt ist. In diesem Kontext kann die Unterlassung der Bezugnahme auf eine bestimmte Vorschrift dann kein wesentlicher Fehler sein, wenn die Rechtsgrundlage einer Handlung anhand anderer Bestandteile dieser Handlung ermittelt werden kann. Eine solche ausdrückliche Bezugnahme ist jedoch unerlässlich, wenn die Betroffenen und der Unionsrichter ohne sie über die genaue Rechtsgrundlage im Unklaren gelassen würden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. März 2015, Central Bank of Iran/Rat, T‑563/12, EU:T:2015:187, Rn. 67 und 68).

27      Angesichts des Wortlauts der Gründe für die fragliche Aufnahme kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die Aufnahme des Klägers ausschließlich auf das Kriterium des schweren finanziellen Fehlverhaltens in Bezug auf öffentliche Gelder und der unerlaubten Kapitalausfuhr (Kriterium nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Ziff. iii der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. iii des Beschlusses 2023/891) gestützt ist oder auch auf das Kriterium der Untergrabung des demokratischen politischen Prozesses in der Republik Moldau (Kriterium nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i des Beschlusses 2023/891).

28      Insoweit heißt es zu Beginn des zweiten Absatzes der Gründe für die fragliche Aufnahme, dass diese durch „schweres finanzielles Fehlverhalten in Bezug auf öffentliche Gelder … und [weil der Kläger] unerlaubt Kapital ausgeführt hat“ gerechtfertigt sei und dass diese Tatsachen den Schluss zuließen, der Kläger sei im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891 „für Handlungen sowie für die Durchführung von Maßnahmen verantwortlich, die die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Stabilität und die Sicherheit in der Republik Moldau untergraben und bedrohen“. Am Ende dieses Absatzes scheinen die Kriterien für die Aufnahme jedoch wieder aufgegriffen zu werden, wobei dieses Mal nur das schwere finanzielle Fehlverhalten, nicht aber die unerlaubte Kapitalausfuhr, genannt und ergänzt wird, der Kläger habe den demokratischen politischen Prozess in der Republik Moldau untergraben.

29      Mit dieser Formulierung nennt der Rat nicht nur sowohl am Satzanfang als auch am Satzende das, was die Kriterien für die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen zu sein scheinen, sondern verwendet außerdem an diesen beiden Stellen nicht die gleichen Kriterien.

30      Die durch diese Formulierung hervorgerufene Unsicherheit wird noch dadurch verstärkt, dass der Rat in Bezug auf den Kläger von dem Formulierungsmuster für die Gründe abgewichen ist, die er in den angefochtenen Rechtsakten für die vier anderen in die fraglichen Listen aufgenommenen Personen angeführt hat. Nach diesem Muster hat der Rat jeweils erstens das oder die Kriterien für die Aufnahme bezeichnet und ist zweitens zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Kriterien es ermöglichten, die in Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891 festgelegte Voraussetzung für die Aufnahme zu erfüllen.

31      Zudem hat der Rat zumindest in der französischen Fassung der angefochtenen Rechtsakte „schweres finanzielles Fehlverhalten in Bezug auf öffentliche Gelder … und unerlaubte Kapitalausfuhr auf unerlaubte Weise“ angeführt und damit ein Kriterium herangezogen, das nicht nur redundant ist, sondern sich auch von dem in Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Ziff. iii der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. iii des Beschlusses 2023/891 genannten unterscheidet.

32      Eine solche unklare Formulierung kann begründete Zweifel hinsichtlich der Frage aufkommen zu lassen, ob der Rat in Bezug auf den Kläger tatsächlich das Kriterium der Untergrabung des demokratischen politischen Prozesses in der Republik Moldau herangezogen hatte. Daher konnte der Kläger aufgrund dieser Formulierung durchaus zu der Annahme gelangen, dass seine Aufnahme in die fraglichen Listen ausschließlich auf das Kriterium des schweren finanziellen Fehlverhaltens in Bezug auf öffentliche Gelder und der unerlaubten Kapitalausfuhr gestützt war.

33      Zwar ist eine solche Unklarheit nicht geeignet, eine unzureichende Begründung der angefochtenen Rechtsakte insgesamt darzustellen, doch muss das Gericht ihretwegen davon ausgehen, dass die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen allein auf dem Kriterium des schweren finanziellen Fehlverhaltens in Bezug auf öffentliche Gelder und der unerlaubten Kapitalausfuhr beruht.

34      Das bedeutet auch, dass der Wortlaut der angefochtenen Rechtsakte keine Stütze für die Behauptung des Rates bietet, dass die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen aufgrund der beiden oben in Rn. 27 angeführten Kriterien gerechtfertigt gewesen sei. Folglich kann der Rat nicht mit Erfolg vorbringen, dass der Kläger nur einen der beiden Gründe für seine Aufnahme in diese Listen beanstandet habe. Auch dass daher die Klagegründe ins Leere gingen und die Klage unbegründet sei, kann dieses Organ nicht mit Erfolg geltend machen.

35      Aus dem Vorstehenden folgt, dass im Rahmen der Prüfung der vom Kläger vorgebrachten Klagegründe und insbesondere seines vorab zu prüfenden zweiten Klagegrundes zu beurteilen ist, ob der Rat die Rechte des Klägers aus Art. 6 EUV in Verbindung mit den Art. 2 und 3 EUV sowie aus den Art. 47 und 48 der Charta verletzt hat, und zwar ausschließlich, soweit es um dessen Aufnahme in die fraglichen Listen aufgrund des Kriteriums des schweren finanziellen Fehlverhaltens in Bezug auf öffentliche Gelder und der unerlaubten Kapitalausfuhr sowie aus den im ersten Absatz der Gründe für die fragliche Aufnahme genannten Gründen geht, nämlich dass zum einen Strafverfahren in der Republik Moldau wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder dieses Staates und ihrer illegalen Ausfuhr und zum anderen strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfahren in den Rechtssachen „Bankbetrug“ und „Bestechung des ehemaligen Präsidenten der Republik Moldau“ liefen.

36      Somit kann der Rat nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Gericht lediglich zu prüfen habe, ob er Beweise vorgelegt habe, die allgemein belegen könnten, dass der Kläger für Handlungen oder politische Maßnahmen, die die Souveränität und Unabhängigkeit der Republik Moldau oder die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Stabilität oder die Sicherheit in der Republik Moldau untergrüben oder bedrohten, verantwortlich sei oder solche Handlungen oder politischen Maßnahmen im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung 2023/888 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2023/891 unterstützt oder umgesetzt habe, ohne die entsprechenden Handlungen einem der drei in diesen Bestimmungen vorgesehenen Kriterien zuordnen zu müssen oder auch ohne die Begründung und die Tatsachen zu berücksichtigen, die im ersten Absatz der Gründe für die fragliche Aufnahme angeführt seien.

 Zum zweiten Klagegrund: Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 6 EUV in Verbindung mit den Art. 2 und 3 EUV sowie den Art. 47 und 48 der Charta

37      Mit seinem zweiten Klagegrund macht der Kläger geltend, dass der Rat es unterlassen habe, vor dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte zu prüfen, ob die gegen den Kläger in Moldau eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfahren, die im ersten Absatz der Gründe für die fragliche Aufnahme angegeben seien, seine Grundrechte wahrten, obwohl diese Verfahren zahlreiche Unregelmäßigkeiten aufwiesen. Hätte der Rat geeignete Prüfungen vorgenommen, wäre er nach Auffassung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass zur Begründung der gegen ihn erlassenen restriktiven Maßnahmen nicht auf diese Verfahren abgestellt werden dürfe.

38      Daher habe der Rat gegen Art. 6 EUV in Verbindung mit Art. 2 und Art. 3 Abs. 5 EUV sowie den Art. 47 und 48 der Charta verstoßen.

39      Der Rat tritt diesem Vorbringen entgegen.

40      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Unionsgerichte bei der Kontrolle restriktiver Maßnahmen eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Was insbesondere die Aufnahme von Personen in Listen restriktiver Maßnahmen aus Gründen angeht, die ausschließlich auf Beschlüssen insoweit zuständiger Behörden von Drittstaaten beruhen, strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten, muss der Rat prüfen, ob diese Beschlüsse unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Dieses Erfordernis bedeutet, dass der Rat verpflichtet ist, in der Begründung für eine Entscheidung über die Aufnahme einer Person oder Organisation in eine Liste von Personen und Organisationen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, zumindest in gedrängter Form die Gründe anzugeben, aus denen seiner Auffassung nach der Beschluss des Drittstaats, auf den er sich stützt, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Andernfalls verletzt der Rat seine Begründungspflicht nach Art. 296 Abs. 2 AEUV; ob dies der Fall ist, hat das Unionsgericht erforderlichenfalls von Amts wegen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      In der vorliegenden Rechtssache zeigt die Begründung der angefochtenen Rechtsakte, dass die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen ausschließlich auf Beschlüssen der moldauischen Behörden beruht, gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfahren einzuleiten.

45      Zwar geht aus dem der Klagebeantwortung als Anlagen B.1 und B.2 beigefügten Beweismaterial hervor, dass der Rat sich nicht unmittelbar auf Beschlüsse insoweit zuständiger moldauischer Behörden, strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten, gestützt hat, sondern im Wesentlichen auf Presseartikel und auf Pressemitteilungen der Strafverfolgungs- und ‑ermittlungsbehörden der Republik Moldau, auf amtliche Mitteilungen staatlicher Stellen von Drittstaaten oder auch auf Berichte, wobei alle diese Beweise solche strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfahren erwähnen.

46      Dieser Umstand befreit den Rat im vorliegenden Fall jedoch nicht von der ihm nach der oben in den Rn. 41 und 42 angeführten Rechtsprechung obliegenden Prüfungs- und Begründungspflicht.

47      Vielmehr hat der Rat diese Rechtsprechung umso strenger zu beachten, als es sich bei den Beweisen, auf die er sich stützt, nur um mittelbare Beweise für die Ermittlungsmaßnahmen und die Strafverfahren handelt, die die Aufnahme des Klägers in die fraglichen Listen rechtfertigen. Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass der Rat nach Art. 8 Abs. 3 des Beschlusses 2023/891 für die Belassung des Namens einer Person auf diesen Listen berücksichtigen muss, ob im Zusammenhang mit den Gründen für ihre erstmalige Aufnahme in diese Listen ein Gerichtsverfahren anhängig ist.

48      Der Rat darf sich also, auf welchen Beweisen auch immer die erstmalige Aufnahme beruht, nur dann unmittelbar oder mittelbar auf Beschlüsse drittstaatlicher Behörden, strafrechtliche Ermittlungen oder Strafverfahren einzuleiten, stützen, wenn er die sich aus der oben in den Rn. 41 und 42 angeführten Rechtsprechung ergebenden Verpflichtungen erfüllt.

49      Jedes andere Ergebnis würde es dem Rat gestatten, sich über die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorgegebenen strengen Verpflichtungen hinwegzusetzen, indem er sich nicht mehr auf Unterlagen stützt, die von den für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zuständigen Behörden der betreffenden Staaten stammen, sondern nur noch auf Unterlagen, die diese Straftaten erwähnen.

50      Im vorliegenden Fall ist weder streitig noch bestreitbar, dass der Rat in den Gründen für die fragliche Aufnahme nicht hat erkennen lassen, dass er überprüft hätte, ob die darin genannten Strafverfahren unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz durchgeführt wurden.

51      Insoweit ist außerdem darauf hinzuweisen, dass der Rat in seiner Klagebeantwortung nicht bestritten hat, dass er die in Rede stehenden Überprüfungen unterlassen hat, und damit erst recht nicht, dass er es unterlassen hat, die Ergebnisse dieser Überprüfungen in den angefochtenen Rechtsakten anzugeben.

52      Somit ist festzustellen, dass der Rat in Bezug auf die beiden einzigen Aspekte, die für die Beurteilung der Begründetheit der angefochtenen Rechtsakte herangezogen werden können (vgl. oben, Rn. 35), seine Begründungspflicht verletzt hat.

53      Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen des Rates in Frage gestellt, wonach der Kläger sich nicht auf das Urteil vom 3. Dezember 2020, Saleh Thabet u. a./Rat (C‑72/19 P und C‑145/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:992), berufen könne, da die restriktiven Maßnahmen in jenen beiden Rechtssachen – wie nach den dort anzuwendenden Aufnahmekriterien erforderlich – darauf gestützt gewesen seien, dass Gerichtsverfahren gegen die Kläger oder Verfahren zur Vermögensabschöpfung infolge einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder eingeleitet worden seien. Der Rat trägt vor, dass diese Umstände in deutlichem Kontrast zu den Aufnahmekriterien im vorliegenden Fall stünden, die zum einen nicht verlangten, dass gegen die in die Liste aufgenommene Person im Rahmen eines Strafverfahrens ermittelt werde, und zum anderen, insbesondere was die Untergrabung des demokratischen politischen Prozesses in der Republik Moldau angehe, nicht durch eine einfache Bezugnahme auf Strafverfahren als erfüllt angesehen werden könnten.

54      Wie der Gerichtshof nämlich bereits festgestellt hat, ist unerheblich, dass die Existenz von Beschlüssen der insoweit zuständigen Behörden eines Drittstaats, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten und durchzuführen, nicht die fraglichen Aufnahmekriterien, sondern die Tatsachengrundlage darstellt, auf der die streitigen restriktiven Maßnahmen beruhen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 25, und vom 11. Juli 2019, Azarov/Rat, C‑416/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:602, Rn. 26).

55      Folglich ist dem zweiten Klagegrund stattzugeben, und die angefochtenen Rechtsakte sind, soweit sie den Kläger betreffen, für nichtig zu erklären, ohne dass das übrige Vorbringen des Klägers geprüft zu werden braucht.

 Kosten

56      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss (GASP) 2023/1047 des Rates vom 30. Mai 2023 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2023/891 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren, und die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1045 des Rates vom 30. Mai 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/888 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die Republik Moldau destabilisieren, werden für nichtig erklärt, soweit sie Herrn Vladimir Gheorghe Plahotniuc betreffen.

2.      Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

Svenningsen

Mac Eochaidh

Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. Oktober 2024.

Unterschriften



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