BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS
19. Dezember 2024(* )
„ Rechtsmittel – Streithilfe – Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Berufsverband – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Zulassung “
In der Rechtssache C‑529/24 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 31. Juli 2024,
Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Bauerschmidt, M. Chavrier, E. d’Ursel und A. Westerhof Löfflerová als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführer,
unterstützt durch:
Europäische Kommission, vertreten durch P. Messina und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,
Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,
andere Parteien des Verfahrens:
Hypo Vorarlberg Bank AG mit Sitz in Bregenz (Österreich), vertreten durch Rechtsanwälte A. Brenneis und G. Eisenberger sowie Rechtsanwältin J. Holzmann,
Klägerin im ersten Rechtszug,
Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB), vertreten durch D. Ceran, C. De Falco, H. Ehlers und K.‑Ph. Wojcik als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte P. Gey und H.‑G. Kamann,
Beklagter im ersten Rechtszug,
Europäisches Parlament, vertreten durch G. C. Bartram, O. Denkov, J. Etienne, M. Menegatti und L. Visaggio als Bevollmächtigte,
Streithelfer im ersten Rechtszug,
erlässt
DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS
auf Vorschlag des Berichterstatters B. Smulders,
nach Anhörung des Generalanwalts D. Spielmann
folgenden
Beschluss
1 Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Rat der Europäischen Union die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 29. Mai 2024, Hypo Vorarlberg Bank/SRB (Im Voraus erhobene Beiträge für 2022) (T‑395/22, EU:T:2024:333), mit dem das Gericht den Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) vom 11. April 2022 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) für 2022 (SRB/ES/2022/18) für nichtig erklärt hat, soweit er die Hypo Vorarlberg Bank AG betrifft. Die Hypo Vorarlberg Bank beantragt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
2 Mit Schriftsatz, der am 23. Oktober 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat der Österreichische Sparkassenverband nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Hypo Vorarlberg Bank zugelassen zu werden.
3 Nachdem der Kanzler des Gerichtshofs den Parteien den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gemäß Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 190 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, zugestellt hatte, haben der SRB, der Rat und die Hypo Vorarlberg Bank innerhalb der gesetzten Frist Stellungnahmen zu diesem Antrag eingereicht.
4 Der SRB bezweifelt in seiner Stellungnahme, dass der Österreichische Sparkassenverband hinreichend nachgewiesen habe, dass er ein repräsentativer Verband für den betroffenen Sektor ist und dass die Interessen seiner Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maße beeinträchtigt werden könnten. Der Rat erhebt in seiner Stellungnahme im Wesentlichen dieselben Einwände wie der SRB. Die Hypo Vorarlberg Bank erklärt dagegen, dass sie gegen den Antrag des Österreichischen Sparkassenverbands auf Zulassung zur Streithilfe keine Einwände habe.
Zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe
5 Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union können alle natürlichen oder juristischen Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen, diesem Rechtsstreit beitreten; davon ausgenommen sind Rechtssachen zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Europäischen Union oder zwischen Mitgliedstaaten und den genannten Organen.
6 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff „berechtigtes Interesse am Ausgang eines … Rechtsstreits“ im Sinne dieser Bestimmung anhand des Gegenstands des betreffenden Rechtsstreits zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Anträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder Argumenten. Denn unter dem Begriff „Ausgang des Rechtsstreits“ ist die beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des zu erlassenden Urteils oder Beschlusses niederschlagen würde (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Februar 2024, EDSB/SRB, C‑413/23 P, EU:C:2024:199, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).
7 Insoweit ist insbesondere zu prüfen, ob derjenige, der einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe stellt, von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen ist und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist. Grundsätzlich kann ein Interesse eines Wirtschaftsteilnehmers am Ausgang des Rechtsstreits nur dann als hinreichend unmittelbar angesehen werden, wenn dieser Ausgang eine Änderung der Rechtsstellung des Antragstellers bewirken könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. September 2024, Air France-KLM und Air France/Ryanair und Malta Air, C‑192/24 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2024:811, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).
8 Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch auch ein repräsentativer Branchenverband bzw. Berufsverband, dessen Zweck der Schutz der Interessen seiner Mitglieder ist, zur Streithilfe zugelassen werden, wenn der Rechtsstreit Grundsatzfragen aufwirft, die sich auf diese Interessen auswirken können. Folglich muss das Erfordernis, dass ein solcher Verband ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, als erfüllt angesehen werden, wenn der Verband nachweist, dass er sich in einer solchen Situation befindet, und zwar unabhängig davon, ob der Ausgang des Rechtsstreits eine Änderung der Rechtsstellung des Verbands als solchen zu bewirken vermag (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).
9 Eine derartige weite Auslegung des Rechts auf Streitbeitritt zugunsten repräsentativer Branchen- bzw. Berufsverbände soll es nämlich ermöglichen, den Kontext, in dem sich die dem Unionsrichter vorgelegten Fälle präsentieren, besser zu beurteilen, und gleichzeitig eine Vielzahl einzelner Streitbeitritte, die die Wirksamkeit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens gefährden würden, zu vermeiden. Anders als natürliche und juristische Personen, die in eigenem Namen handeln, können repräsentative Branchen- bzw. Berufsverbände hingegen beantragen, einem dem Gerichtshof vorgelegten Rechtsstreit mit dem Ziel beizutreten, nicht Individualinteressen, sondern die kollektiven Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Denn der Streitbeitritt eines solchen Verbands bietet eine Gesamtschau dieser kollektiven Interessen, die von einer Grundsatzfrage, von der die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, berührt werden, und ist somit geeignet, dem Gerichtshof eine bessere Beurteilung des Kontexts einer ihm vorgelegten Rechtssache zu ermöglichen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).
10 So kann ein Verband zur Streithilfe zugelassen werden, wenn er erstens eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen, die in dem betreffenden Sektor tätig sind, repräsentiert, wenn zweitens sein Verbandszweck den Schutz der Interessen seiner Mitglieder umfasst, wenn drittens die Rechtssache Grundsatzfragen aufwerfen kann, die das Funktionieren des betreffenden Sektors berühren, und wenn daher viertens die Interessen seiner Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maße beeinträchtigt werden können (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 10).
11 Anhand dieser Voraussetzungen ist die Begründetheit des Streithilfeantrags des Österreichischen Sparkassenverbands zu prüfen.
12 Im vorliegenden Fall ist erstens festzuhalten, dass der Österreichische Sparkassenverband eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen repräsentiert, die im österreichischen Finanzsektor tätig sind. Der Verband hat zur Stützung seines Antrags auf Zulassung zur Streithilfe u. a. geltend gemacht, dass er die Gesamtheit der österreichischen Sparkassen vertrete. Diesen Sparkassen komme innerhalb der österreichischen Kreditwirtschaft eine zentrale Rolle zu, da sie rund 4,2 Millionen Kunden betreuten. Darüber hinaus ergibt sich aus der Satzung des Österreichischen Sparkassenverbands, die seinem Streithilfeantrag als Anlage beigefügt ist, dass acht der neun größten österreichischen Sparkassen ständig im Vorstand dieses Verbands vertreten sind.
13 In Anbetracht dessen und angesichts des Umstands, dass der Österreichische Sparkassenverband alle wichtigen Akteure einer Kategorie von Banken vereinigt, die im Finanzsektor eines Mitgliedstaats tätig sind, nämlich die österreichischen Sparkassen, kann dieser Verband als repräsentativer Branchen‑ bzw. Berufsverband im Sinne der oben in den Rn. 8 bis 10 angeführten Rechtsprechung angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Februar 2021, SRB/Landesbank Baden-Württemberg, C‑621/20 P, EU:C:2021:151, Rn. 5 bis 8).
14 Zweitens sieht die Satzung des Österreichischen Sparkassenverbands vor, dass dieser u. a. den Zweck hat, die Gesamtheit der österreichischen Sparkassen zu vertreten, ihre Interessen jederzeit insbesondere nach außen hin wahrzunehmen und die hierzu erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Diese Satzung sieht auch vor, dass die Aufgabe dieses Verbands darin besteht, die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Dritten zu vertreten und insbesondere für seine Mitglieder Rechtsschutz zu gewähren sowie ihre Interessen bei Behörden und Ämtern zu vertreten. Daraus folgt, dass davon auszugehen ist, dass der Zweck des Österreichischen Sparkassenverbands im Schutz der Interessen seiner Mitglieder besteht.
15 Drittens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache über die Frage zu entscheiden hat, ob der SRB bei der Berechnung der einzelnen für das Jahr 2022 im Voraus erhobenen Beiträge zum SRF zu Recht entscheiden konnte, dass die Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) genannte Obergrenze von 12,5 % der Zielausstattung übersteigen, damit bis zum Ende der in Art. 69 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Aufbauphase und im Einklang mit der letztgenannten Bestimmung die verfügbaren Mittel dieses Fonds mindestens 1 % der gedeckten Einlagen aller in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Kreditinstitute erreichen.
16 Diese Rechtssache wirft somit eine Grundsatzfrage auf, die sich auf den österreichischen und mithin europäischen Finanzsektor und insbesondere auf die Sparkassen, zu denen die Mitglieder des Österreichischen Sparkassenverbands zählen, auswirken könnte. Die Berechnung der einzelnen Beiträge zum SRF während dieser Phase berührt nämlich möglicherweise das Funktionieren des österreichischen und des europäischen Finanzsektors.
17 Viertens unterliegen die Mitglieder des Österreichischen Sparkassenverbands offenbar der Verpflichtung, jährlich Beiträge zum SRF zu entrichten, so dass die Antwort auf die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Grundsatzfrage die Interessen dieser Mitglieder beeinträchtigen kann.
18 In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass der Österreichische Sparkassenverband rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass er ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran hat, wie die Anträge der Hypo Vorarlberg Bank auf Zurückweisung des Rechtsmittels des Rates gegen das Urteil vom 29. Mai 2024, Hypo Vorarlberg Bank/SRB (Im Voraus erhobene Beiträge für 2022) (T‑395/22, EU:T:2024:333), beschieden werden, und dass er daher ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat.
19 Daher ist die Streithilfe des Österreichischen Sparkassenverbands zur Unterstützung der Anträge der Hypo Vorarlberg Bank zuzulassen.
Zu den Verfahrensrechten des Streithelfers
20 Da dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, werden dem Österreichischen Sparkassenverband gemäß Art. 131 Abs. 3 der Verfahrensordnung, der gemäß Art. 190 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, alle den Parteien zugestellten Schriftstücke übermittelt, da die Parteien nicht beantragt haben, bestimmte Belegstücke oder Unterlagen von dieser Übermittlung auszunehmen.
21 Da der Streithilfeantrag des Österreichischen Sparkassenverbands innerhalb der in Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von einem Monat gestellt worden ist, kann dieser Verband nach Art. 132 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 190 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, innerhalb eines Monats zuzüglich einer pauschalen Entfernungsfrist von zehn Tagen gemäß Art. 51 der Verfahrensordnung nach der in der vorstehenden Randnummer genannten Übermittlung einen Streithilfeschriftsatz einreichen.
22 Schließlich kann der Österreichische Sparkassenverband mündlich Stellung nehmen, falls eine mündliche Verhandlung anberaumt wird.
Kosten
23 Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.
24 Da im vorliegenden Fall dem Antrag des Österreichischen Sparkassenverbands auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, ist die Entscheidung über die mit seiner Streithilfe verbundenen Kosten vorzubehalten.
Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:
1. Der Österreichische Sparkassenverband wird in der Rechtssache C ‑529/24 P als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Hypo Vorarlberg Bank AG zugelassen.
2. Dem Österreichischen Sparkassenverband wird eine Abschrift sämtlicher Verfahrensunterlagen durch den Kanzler zugestellt.
3. Dem Österreichischen Sparkassenverband wird eine Frist von einem Monat zuzüglich einer pauschalen Entfernungsfrist von zehn Tagen zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gesetzt, die mit dem Datum der in Nr. 2 des Tenors genannten Zustellung beginnt.
4. Die Entscheidung über die mit der Streithilfe des Österreichischen Sparkassenverbands verbundenen Kosten bleibt vorbehalten.
Luxemburg, den 19. Dezember 2024
Der Kanzler
Der Präsident
A. Calot Escobar
K. Lenaerts