Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
LAILA MEDINA
vom 30. Januar 2025(1 )
Rechtssache C ‑529/23 P
Europäisches Parlament
gegen
TC
„ Institutionelles Recht – Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung für die Mitglieder des Parlaments – Zulage für parlamentarische Assistenz – Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge – Art. 41 Abs. 2 der Charta – Recht auf Anhörung – Recht auf Aktenzugang – Schutz personenbezogener Daten – Art. 9 der Verordnung (EU) 2018/1725 – Art. 26 des Beamtenstatuts “
I. Einleitung
1. Gegenstand dieser Schlussanträge ist ein Rechtsmittel des Europäischen Parlaments, mit dem die Aufhebung des Urteils vom 7. Juni 2023, TC/Parlament (T‑309/21, EU:T:2023:315) (im Folgenden: angefochtenes Urteil), beantragt wird. Mit diesem Urteil hat das Gericht einen Beschluss des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments für nichtig erklärt, mit dem angeordnet wurde, eine Forderung gegen ein Mitglied des Parlaments wegen eines zu Unrecht als Ausgaben für parlamentarische Assistenz gezahlten Betrags zurückzufordern. Das Gericht hat auch die im Zusammenhang mit diesem Beschluss ergangene Zahlungsaufforderung für nichtig erklärt.
2. Im angefochtenen Urteil führte das Gericht im Wesentlichen aus, das Parlament dürfe in einem Rückforderungsverfahren, in dem ein Parlamentsabgeordneter die Übermittlung von Informationen beantrage, die offenbar für den Nachweis relevant seien, dass ein akkreditierter parlamentarischer Assistent im Rahmen seines Abgeordnetenmandats gearbeitet habe, die Herausgabe der verlangten Informationen nicht verweigern, es sei denn, es stütze sich auf Gründe, die als gerechtfertigt angesehen werden könnten. Aufgrund dessen stellte das Gericht fest, dass das Parlament es zu Unrecht abgelehnt habe, dem im ersten Rechtszug betroffenen Abgeordneten mehrere Kategorien von Dokumenten offenzulegen, weshalb nicht ausgeschlossen werden könne, dass diesem Abgeordneten die Chance, sich besser zu verteidigen, genommen worden sei.
3. Mit seinem Rechtsmittel macht das Parlament hauptsächlich geltend, das angefochtene Urteil könne nicht nach Art. 266 AEUV durchgeführt werden, weil das Gericht dem Recht auf Anhörung in Rückforderungsverfahren einen weiten Anwendungsbereich zuerkannt habe. Das Urteil verletze den Grundsatz des freien Mandats der Abgeordneten und kehre die Beweislast um, die nach ständiger Rechtsprechung von diesen zu tragen sei, wenn sie nachweisen müssten, dass die für einen parlamentarischen Assistenten aufgewendeten Ausgaben ordnungsgemäß getätigt worden seien. Außerdem habe das Gericht andere für die parlamentarische Tätigkeit relevante Bestimmungen wie die Verordnung 2018/1725(2 ) und das Beamtenstatut(3 ) verkannt.
4. Diese Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, über die Tragweite des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Aktenzugang zu entscheiden, die in Art. 41 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert sind und nach ständiger Rechtsprechung einen Ausfluss der Verteidigungsrechte in Verfahren vor den Unionsorganen darstellen. Dazu wird der Gerichtshof zuallererst prüfen müssen, ob der vom Gericht festgelegte rechtliche Maßstab für die Beurteilung, inwieweit diese Rechte in einem Fall wie dem des ersten Rechtszugs beachtet oder verletzt wurden, rechtlich haltbar ist, und zwar insbesondere im Hinblick auf den für Rückforderungsverfahren geltenden Grundsatz der Beweislastverteilung. In dieser Rechtssache erhält der Gerichtshof auch die Möglichkeit, andere einschlägige unionsrechtliche Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten auszulegen, die das Gericht im angefochtenen Urteil nicht als triftige Gründe dafür anerkannt hat, dass einem Parlamentsabgeordneten Auskünfte verweigert wurden, deren Erteilung er verlangt hatte.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments
5. Art. 6 Abs. 1 des Wahlakts(4 ) bestimmt:
„Die Mitglieder des Europäischen Parlaments geben ihre Stimmen einzeln und persönlich ab. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.“
B. Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments
6. Art. 2 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments(5 ) sieht vor:
„(1) Die Abgeordneten sind frei und unabhängig.
…“
7. Art. 4 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments lautet:
„Schriftstücke und elektronische Aufzeichnungen, die ein Abgeordneter empfangen, verfasst oder verschickt hat, sind Dokumenten des Parlaments nicht gleichgestellt, es sei denn, sie wurden gemäß der Geschäftsordnung eingereicht.“
8. In Art. 21 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments heißt es:
„(1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Unterstützung durch persönliche Mitarbeiter, die frei von ihnen ausgewählt werden.
(2) Das Parlament trägt die durch ihre Beschäftigung tatsächlich anfallenden Kosten.
(3) Das Parlament legt die Bedingungen für die Wahrnehmung dieses Anspruchs fest.“
C. Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut
9. Art. 33 („Übernahme von Ausgaben für parlamentarische Assistenz“) der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut(6 ) lautet:
„(1) Die Abgeordneten haben Anspruch auf Unterstützung durch persönliche Mitarbeiter, die sie frei auswählen können. Das Parlament übernimmt die tatsächlich getätigten Ausgaben, die vollständig und ausschließlich aus der Einstellung eines oder mehrerer Assistenten oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen gemäß diesen Durchführungsbestimmungen und den vom Präsidium festgelegten Bedingungen resultieren.
2. Übernommen werden können nur Ausgaben für Assistenzleistungen, die für die Ausübung des parlamentarischen Mandats des Abgeordneten erforderlich sind und damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Mit diesen Ausgaben dürfen unter keinen Umständen Kosten gedeckt werden, die dem Privatbereich des Abgeordneten zuzuordnen sind.“
10. Art. 68 („Rückforderung zu viel gezahlter Beträge“) der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut sieht vor:
„(1) Alle gemäß diesen Durchführungsbestimmungen zu Unrecht ausgezahlten Beträge können zurückgefordert werden. Der Generalsekretär erteilt Anweisungen zur Rückforderung dieser Beträge von den betroffenen Abgeordneten.
2. Alle Beschlüsse zur Rückforderung erfolgen unter Berücksichtigung der wirksamen Ausübung des Mandats des Abgeordneten und des reibungslosen Funktionierens des Parlaments, wobei der betroffene Abgeordnete vorher vom Generalsekretär angehört wird.
…“
D. Verordnung 2018/1725
11. Im 22. Erwägungsgrund der Verordnung 2018/1725 heißt es:
„Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur dann rechtmäßig sein, wenn die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse oder in Ausübung ihrer öffentlichen Gewalt durch die Organe und Einrichtungen der Union oder für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, erforderlich ist, oder wenn eine andere zulässige Rechtsgrundlage gemäß der vorliegenden Verordnung besteht, wie etwa die Einwilligung der betroffenen Person, die Tatsache, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten für die Umsetzung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder auf Antrag der betroffenen Person für Maßnahmen vor Abschluss eines Vertrags erforderlich ist. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Union zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse schließt die Verarbeitung personenbezogener Daten ein, die für die Verwaltung und die Arbeitsweise dieser Organe und Einrichtungen erforderlich ist. …“
12. Art. 4 („Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten“) der Verordnung 2018/1725 sieht vor:
„(1) Personenbezogene Daten müssen
…
c) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein (‚Datenminimierung‘),
…
e) in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, erforderlich ist; personenbezogene Daten dürfen länger gespeichert werden, soweit die personenbezogenen Daten vorbehaltlich der Durchführung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen, die von dieser Verordnung zum Schutz der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person gefordert werden, ausschließlich für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke oder für wissenschaftliche und historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 13 verarbeitet werden (‚Speicherbegrenzung‘),
…“
13. Art. 9 („Übermittlungen personenbezogener Daten an in der Union niedergelassene Empfänger, die nicht Organe oder Einrichtungen der Union sind“) der Verordnung 2018/1725 lautet:
„(1) Unbeschadet der Artikel 4 bis 6 und 10 werden personenbezogene Daten an in der Union niedergelassene Empfänger, die nicht Organe oder Einrichtungen der Union sind, nur übermittelt, wenn
a) der Empfänger nachweist, dass die Daten für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich sind, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Empfänger übertragen wurde, oder
b) wenn der Empfänger nachweist, dass die Übermittlung der Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich ist, und der Verantwortliche in Fällen, in denen Gründe für die Annahme vorliegen, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden könnten, nachweist, dass die Übermittlung der personenbezogenen Daten für diesen Zweck verhältnismäßig ist, nachdem er die unterschiedlichen widerstreitenden Interessen nachweislich gegeneinander abgewogen hat.
(2) Veranlasst der Verantwortliche die Übermittlung nach diesem Artikel, so weist er anhand der Kriterien nach Absatz 1 Buchstabe a oder b nach, dass die Übermittlung personenbezogener Daten erforderlich und angemessen in Bezug auf den Übermittlungszweck ist.
(3) Die Organe und Einrichtungen der Union müssen das Recht auf Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf Zugang zu Dokumenten nach dem Unionsrecht in Einklang bringen.“
E. Beamtenstatut
14. Art. 26 des Beamtenstatuts bestimmt:
„Die Personalakte des Beamten enthält:
a) sämtliche sein Dienstverhältnis betreffenden Schriftstücke sowie jede Beurteilung seiner Befähigung, Leistung und Führung;
b) die Stellungnahmen des Beamten zu den Vorgängen nach Buchstabe a).
…
Für jeden Beamten darf nur eine Personalakte geführt werden.
Der Beamte hat auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst das Recht, seine vollständige Personalakte einzusehen …
…
Die Personalakte ist vertraulich zu behandeln und darf nur in den Diensträumen der Verwaltung oder auf einem gesicherten Datenträger eingesehen werden. Ist jedoch ein den Beamten betreffender Rechtsstreit anhängig, so wird die Personalakte dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.“
III. Sachverhalt und Verfahren
A. Vorgeschichte des Rechtsstreits
15. Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 2 bis 26 des angefochtenen Urteils wiedergegeben. Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge lässt sie sich wie folgt zusammenfassen.
16. Am 22. Mai 2015 schloss das Parlament einen Vertrag mit A als einem vollzeitbeschäftigten akkreditierten parlamentarischen Assistenten in Brüssel (Belgien) zur Unterstützung des TC, eines Mitglieds des Parlaments(7 ).
17. Am 25. Februar 2016 beantragte TC beim Parlament, den Vertrag von A aus verschiedenen Gründen wegen Vertrauensverlusts zu kündigen, wozu angeblich unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst und die Nichteinhaltung der Vorschriften über die Genehmigung von Nebentätigkeiten gehörten.
18. Nachdem ein Schlichtungsverfahren gescheitert war, teilte das Parlament A am 24. Juni 2016 seine Entscheidung mit, den Vertrag über parlamentarische Assistenz wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu kündigen, weil er die Vorschriften über die Genehmigung von Nebentätigkeiten nicht eingehalten habe.
19. Am 14. April 2017 erhob A vor dem Gericht eine Klage, mit der er die Aufhebung der Entscheidung vom 24. Juni 2016 beantragte.
20. Mit Urteil vom 7. März 2019, L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140), hob das Gericht die Entscheidung des Parlaments vom 24. Juni 2016 auf. Das Gericht stellte fest, dass As Nebentätigkeiten ausweislich der Akten TC nicht nur bekannt gewesen seien, sondern darüber hinaus auf dessen unmittelbarer Initiative beruht hätten(8 ). Der vom Parlament angegebene Grund zur Rechtfertigung der Kündigungsentscheidung, nämlich die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, erscheine daher nicht plausibel. Folglich habe das Parlament einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als es dem auf diesen Grund gestützten Antrag des TC auf Kündigung des Vertrags von A stattgegeben habe. TC war am Verfahren in dieser Rechtssache nicht beteiligt.
21. Mit Schreiben vom 8. Juni 2020, das in Englisch abgefasst war und am 30. Juli 2020 per E‑Mail versandt wurde, teilte der Generalsekretär des Parlaments TC mit, dass ein Verfahren zur Rückforderung zu Unrecht ausgezahlter Beträge gemäß Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut in Höhe von insgesamt 78 838,21 Euro betreffend die TC von A geleistete parlamentarische Assistenz eingeleitet worden sei.
22. Mit demselben Schreiben wurde TC gemäß Art. 68 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut aufgefordert, binnen zwei Monaten eine Stellungnahme abzugeben und Beweise vorzulegen, um die vorläufige Einschätzung des Parlaments zu den Nebentätigkeiten, die A mit seinem Wissen und unter seiner Leitung vom 22. Mai 2015 bis zum 22. November 2016 ausgeübt habe, zu widerlegen und darzutun, dass A in diesem Zeitraum tatsächlich die Aufgaben eines akkreditierten parlamentarischen Assistenten wahrgenommen habe.
23. Am 4. August 2020 bat TC das Parlament, ihm Folgendes zu übermitteln:
– die Personalakte von A beim Parlament (alle Unterlagen im Zusammenhang mit dessen Rekrutierung und Arbeit), einschließlich der Informationen darüber, wie oft Schutz des Parlaments für A beantragt worden sei, sowie der Daten über die Anwesenheit von A (Daten aus seinem Zugangsausweis zum Parlament);
– Kopien des Schriftverkehrs, den TC mit Vertretern des Parlaments über die Arbeit von A geführt habe;
– die vollständigen Akten der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen sei.
24. Am 4. September 2020 versandte der Generalsekretär des Parlaments an TC ein Schreiben in litauischer Sprache vom 3. September 2020, das im Wesentlichen den gleichen Inhalt hatte wie das oben in Nr. 21 erwähnte Schreiben vom 8. Juni 2020. Dem Schreiben vom 3. September 2020 waren eine Kopie des Urteils L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) und eine Abrechnung der vom Parlament an A gezahlten Beträge beigefügt.
25. Am 22. September 2020 wiederholte TC die oben in Nr. 23 erwähnte Bitte gegenüber dem Parlament und bat außerdem um Übersendung des Protokolls des Schlichtungsverfahrens zwischen ihm und A in litauischer Sprache sowie einer Kopie „aller E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019“.
26. Am 27. Oktober 2020 leitete das Parlament TC verschiedene die Beendigung des Vertrags von A betreffende Unterlagen zu.
27. Am 29. Oktober 2020 übermittelte TC dem Parlament seine vorläufigen Bemerkungen sowie mehrere Dokumente, wies jedoch darauf hin, dass er vom Parlament noch keine Unterlagen und detaillierten Informationen betreffend den Beschäftigungszeitraum von A erhalten habe und dass er die wenigen Informationen, die ihm mit E‑Mail vom 27. Oktober 2020 zugeleitet worden seien, noch nicht habe prüfen können. Er bat deshalb darum, weitere Angaben und Beweise später nachreichen zu dürfen.
28. Am 20. November 2020 forderte TC das Parlament erneut auf, ihm die Informationen zu übermitteln, die er am 4. August und 22. September 2020 angefordert hatte, insbesondere die Daten über den Zugang des A zum Parlament und eine Kopie der E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019.
29. Am 24. November 2020 ergänzte TG seine dem Parlament am 29. Oktober 2020 übermittelten Bemerkungen und Beweise.
30. Am 27. November 2020 teilte der Generaldirektor für Finanzen des Parlaments TC mit, dass die ihm gesetzte Frist für die Einreichung von Bemerkungen und Beweisen im Rahmen des Rückforderungsverfahrens gemäß Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut am 4. November 2020 abgelaufen sei, dass er sich aber, wenn er Informationen über A zu erhalten wünsche, an zwei Personen wenden könne – deren E‑Mail-Adressen er nannte –, ohne dass diese Anfragen das genannte Verfahren beeinflussen könnten.
31. Am 1. Dezember 2020 bestritt TC die Behauptungen, die am 27. November 2020 gegen ihn erhoben worden waren. Außerdem wandte er sich mit der Bitte um Zusendung von Dokumenten an die in der Mitteilung genannten Personen.
32. Am 8. Januar 2021 übermittelte der Generaldirektor für Finanzen TC das Protokoll des Schlichtungsverfahrens in litauischer Sprache, lehnte aber den Zugang zu den anderen angeforderten Dokumenten ab. Darüber hinaus räumte der Generaldirektor für Finanzen TC eine Frist von 15 Tagen ein, um weitere Bemerkungen zu übermitteln, was TC am 21. Januar 2021 tat.
33. Mit Beschluss vom 16. März 2021 stellte der Generalsekretär des Parlaments fest, dass das Parlament im Rahmen der Beschäftigung des A für den Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 22. November 2016 einen Betrag in Höhe von 78 838,21 Euro zu Unrecht aufgebracht habe und dass dieser Betrag von TC zurückzufordern sei (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
34. Am 31. März 2021 stellte der Generaldirektor für Finanzen als bevollmächtigter Anweisungsbefugter die Zahlungsaufforderung Nr. 7010000523 aus, mit der angeordnet wurde, den Betrag von 78 838,21 Euro von TC einzuziehen, und TC aufgefordert wurde, diesen Betrag spätestens bis zum 30. Mai 2021 zu zahlen (im Folgenden: Zahlungsaufforderung). Am selben Tag stellte der Generaldirektor für Finanzen TC den angefochtenen Beschluss und die Zahlungsaufforderung zu.
B. Nichtigkeitsklage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
35. Mit am 24. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift erhob TC Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und der Zahlungsaufforderung.
1. Teilweise Erledigung der Hauptsache
36. Zunächst geht aus dem angefochtenen Urteil hervor(9 ), dass sich infolge einer Prüfung im Zuge des Verfahrens vor dem Gericht herausstellte, dass das Parlament im März 2016 beschlossen hatte, die Zahlung der Dienstbezüge und der Reisekosten für A mit Wirkung vom 1. April 2016 einzustellen. Daraufhin beschloss der Generalsekretär des Parlaments am 8. November 2022, den angefochtenen Beschluss ex tunc in Höhe von 28 083,67 Euro zurückzunehmen. Dementsprechend wurde eine Gutschrift ausgestellt.
37. Das Gericht entschied daher auf Antrag des Parlaments und nach Anhörung von TC, dass die Klage in dem vorstehend beschriebenen Umfang gegenstandslos geworden sei und sich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses sowie der Zahlungsaufforderung insoweit, erledigt habe(10 ).
2. Verbleibender Teil der Nichtigkeitsklage
38. Was den verbleibenden Teil der Nichtigkeitsklage betrifft, so berief sich TC, der Kläger im ersten Rechtszug, auf fünf Klagegründe, wobei der zweite, der als einziger für das vorliegende Rechtsmittelverfahren eine Rolle spielt(11 ), auf das Recht auf Anhörung, das Recht auf Aktenzugang und die Begründungspflicht gemäß Art. 41 Abs. 2 der Charta gestützt war.
39. Im angefochtenen Urteil verwies das Gericht zunächst auf die Vorschriften über die Übernahme der Ausgaben für parlamentarische Assistenz und über die Rückforderung der hierbei zu Unrecht gezahlten Beträge(12 ) und stellte sodann fest, dass das Parlament TC nur einige der von diesem angeforderten Dokumente zur Verfügung gestellt habe(13 ), nämlich i) das in litauischer Sprache abgefasste Protokoll des Schlichtungsverfahrens zwischen ihm und A(14 ) sowie ii) die die Beendigung des Vertrags von A betreffenden Unterlagen(15 ).
40. Dagegen seien mit Schreiben vom 8. Januar 2021 die Anträge zu den anderen Kategorien von Dokumenten abgelehnt worden(16 ). Diese Ablehnung habe insbesondere i) eine Kopie „aller E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019“, auf die sich TC in seiner E‑Mail vom 22. September 2020 bezogen habe, ii) Kopien des von TC mit Vertretern des Parlaments über die Arbeit von A geführten Schriftverkehrs, iii) die vollständigen Akten der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen sei, und iv) die Personalakte von A beim Parlament(17 ) betroffen.
41. Hierzu führte das Gericht in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils aus, wenn ein Abgeordneter aufgefordert werde, dem Parlament zu beweisen, dass ein akkreditierter parlamentarischer Assistent für ihn im Rahmen seines Mandats tätig gewesen sei, könne dieser Abgeordnete aufgrund des Rechts, gehört zu werden, von dem betreffenden Organ verlangen, dass es die ihm vorliegenden Informationen übermittle, die relevant erschienen. Bei Erhalt eines solchen Antrags dürfe das Parlament die Herausgabe der angeforderten Daten nicht verweigern, ohne das Recht auf Anhörung zu verletzen, es sei denn, es stütze seine Weigerung auf Gründe, die zum einen in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls und zum anderen im Licht der geltenden Regeln als stichhaltig angesehen werden könnten.
42. Nach einer Prüfung der konkreten Umstände des Falles kam das Gericht zu dem Schluss, dass die vom Parlament in seinem Schreiben vom 8. Januar 2021 angeführten Gründe, aus denen TC der Zugang zu den oben in Nr. 40 genannten Kategorien von Dokumenten verweigert worden sei, nicht stichhaltig oder unzureichend gewesen seien. Da das Parlament seine Weigerung, Dokumente zu übermitteln, mit denen TC sein Recht, gehört zu werden, möglicherweise wirksam hätte ausüben können, nicht gebührend begründet habe, könne außerdem nicht ausgeschlossen werden, dass TC die Chance, sich in dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren zur Rückforderung der als Ausgaben für parlamentarische Assistenz gezahlten Beträge besser zu verteidigen, genommen worden sei(18 ).
43. Unter diesen Umständen gab das Gericht dem zweiten Klagegrund statt, soweit mit ihm eine Verletzung des Rechts auf Anhörung gerügt wurde. Ohne Prüfung der übrigen von TC vorgebrachten Klagegründe und Argumente erklärte das Gericht auch den angefochtenen Beschluss und die Zahlungsaufforderung für nichtig, soweit sie die Dienstbezüge, sozialen Kosten und Reisekosten für die Beschäftigung von A im Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 31. März 2016 in Höhe von 50 754,54 Euro betrafen(19 ).
IV. Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof
44. Mit seinem am 17. August 2023 eingereichten Rechtsmittel beantragt das Parlament,
– das angefochtene Urteil aufzuheben;
– den vor dem Gericht geführten Rechtsstreit endgültig zu entscheiden und den von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben;
– TC die im Verfahren sowohl vor dem Gericht als auch vor dem Gerichtshof entstandenen Kosten aufzuerlegen.
45. TC beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.
46. Am 28. November 2024 fand eine mündliche Verhandlung statt.
V. Rechtliche Würdigung
47. Das Parlament stützt sein Rechtsmittel auf fünf Rechtsmittelgründe:
– Mit dem ersten Grund macht es geltend, das Gericht habe den Gegenstand des Verfahrens im ersten Rechtszug und die vorbereitende Natur des Schreibens vom 8. Januar 2021, das Recht auf Anhörung sowie die ständige Rechtsprechung zu den Folgen eines Verfahrensmangels verkannt.
– Der zweite, der dritte und der vierte Grund betreffen die Feststellungen des Gerichts bezüglich i) der E‑Mails von und an TC aus den Jahren 2015, 2016 und 2019 sowie des Schriftverkehrs mit den Dienststellen des Parlaments über die Arbeit von A, ii) der Personalakte von A, einschließlich der Verwendung seines Zugangsausweises zum Parlament, und iii) der vollständigen Akten in der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist.
– Der fünfte Grund betrifft die Feststellung des Gerichts, dass TC allein aufgrund des Rechts auf Anhörung vom Parlament die Erteilung sämtlicher Auskünfte verlangen könne, die es ihm ermöglichten, seine Stellungnahme abzugeben.
48. Da mit dem fünften Rechtsmittelgrund die vom Gericht anerkannte Tragweite des Rechts auf Anhörung im Rahmen eines Verfahrens zur Rückforderung zu Unrecht finanzierter Ausgaben für parlamentarische Assistenz angefochten werden soll, werde ich mit der Prüfung dieses Rechtsmittelgrundes beginnen.
49. Diese Tragweite ist in der Tat die Prämisse, auf deren Grundlage das Gericht anschließend die Rechtmäßigkeit der Weigerung des Parlaments, die von TC erbetenen Informationen herauszugeben, geprüft und sodann seine Würdigung vorgenommen hat.
50. Da der erste Rechtsmittelgrund überdies hauptsächlich die Kohärenz der Argumentation des Gerichts bei der Beurteilung dieser Tragweite im ersten Rechtszug zum Gegenstand hat – insbesondere im Hinblick auf die fehlende Analyse der Relevanz der erbetenen Informationen für die Verteidigung von TC –, werde ich ihn zusammen mit dem fünften Rechtsmittelgrund prüfen.
51. Sollte schließlich die Prüfung des ersten und des fünften Rechtsmittelgrundes des Parlaments ergeben, dass diese Gründe durchgreifen, bräuchte der Gerichtshof die anderen Rechtsmittelgründe grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend würde ich den zweiten, den dritten und den vierten Rechtsmittelgrund nur hilfsweise prüfen.
A. Erster und fünfter Rechtsmittelgrund
52. Mit seinem ersten und seinem fünften Rechtsmittelgrund wendet sich das Parlament im Wesentlichen gegen die Feststellungen des Gerichts in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils.
53. Das Parlament macht insbesondere geltend, das Gericht habe ohne nähere Begründung festgestellt, dass das Recht auf Anhörung nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta es einem Parlamentsabgeordneten erlaube, von den Unionsorganen die Übermittlung aller Informationen zu verlangen, die für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Verwendung der Ausgaben für parlamentarische Assistenz relevant erschienen. Ein solches Recht lasse sich aber weder auf den Wortlaut dieser Bestimmung noch auf die Rechtsprechung der Unionsgerichte stützen. Schon das in Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta vorgesehene Recht auf Akteneinsicht biete einer betroffenen Person die Möglichkeit, im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens Zugang zu allen relevanten Informationen zu erhalten. Es gebe keine Lücke zwischen dem Recht auf Anhörung und dem Recht auf Akteneinsicht, die im Wege der Auslegung geschlossen werden müsste. Schließlich habe das Gericht die im angefochtenen Urteil definierte Tragweite des Rechts auf Anhörung vor allem insoweit inkonsequent angewandt, als es zu Beginn seiner Würdigung nicht geprüft habe, ob die von TC erbetenen Kategorien von Dokumenten für ihn im Rahmen des Rückforderungsverfahrens überhaupt relevant gewesen seien.
54. TC tritt dem Vorbringen des Parlaments entgegen. Weder im Schreiben vom 8. Januar 2021 noch im Verfahren vor dem Gericht habe das Parlament ihm das Recht abgesprochen, im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens Informationen zu erhalten. Daher rechtfertige das Parlament seine Weigerung, ihm diese Informationen zu übermitteln, mit dem fünften Rechtsmittelgrund aufgrund eines neuen Vorbringens, das vom Gericht nicht habe geprüft werden können und deshalb für unzulässig zu erklären sei. Im Übrigen gehöre das Recht, vom Parlament im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens Informationen zu erhalten, zu dem in Art. 41 der Charta verankerten allgemeinen Recht auf eine gute Verwaltung, das vom Parlament nicht beachtet worden sei.
55. Nach Art. 41 („Recht auf eine gute Verwaltung“) Abs. 1 der Charta hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Dieses Recht umfasst gemäß Abs. 2 dieses Artikels a) das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, und b) das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses.
56. Was das Recht auf Anhörung betrifft, so geht aus dem Wortlaut von Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta hervor, dass dieses Recht jeder Person die Möglichkeit garantiert, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen(20 ). Dies gilt auch dann, wenn die anwendbare Regelung ein solches Verfahrensrecht nicht ausdrücklich vorsieht(21 ), wodurch nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in erster Linie die betroffene Person in die Lage versetzt werden soll, Umstände vorzutragen, die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt einer Verwaltungsentscheidung sprechen(22 ). Dies erlaubt es auch der zuständigen Behörde, alle maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen, wenn sie eine Entscheidung erlässt, mit der ein unionsrechtliches Verwaltungsverfahren abgeschlossen wird(23 ).
57. Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta sieht hingegen ein Recht auf Akteneinsicht vor, das mit dem Recht der jeweiligen Person darauf verbunden ist, dass ihre Angelegenheiten von der Verwaltung unparteiisch und gerecht behandelt werden(24 ). Es betrifft Personen, gegen die ein Verfahren eingeleitet wurde, und verlangt, dass das jeweilige Organ der betroffenen Person die Möglichkeit gibt, alle in der Ermittlungsakte enthaltenen Dokumente zu prüfen, die für ihre Verteidigung relevant sein könnten, wodurch das Verständnis des Beweismaterials erleichtert wird, auf dessen Grundlage die Entscheidung getroffen werden soll. Durch die Akteneinsicht müssen diese Personen auch die Möglichkeit erhalten, die Gründe für dieses Verfahren zu erfahren, damit sie leichter Gegenargumente vorbringen können, wenn sie ihr Recht auf Anhörung wahrnehmen(25 ).
58. Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, sind sowohl das Recht auf Anhörung als auch das Recht auf Akteneinsicht ein Ausfluss des Grundrechts auf Verteidigung in Verwaltungsverfahren, das einen integralen Bestandteil der Unionsrechtsordnung darstellt(26 ).
59. Im vorliegenden Fall sollte der Gerichtshof meines Erachtens zunächst das Vorbringen zurückweisen, mit dem TC geltend macht, der fünfte Rechtsmittelgrund sei deshalb für unzulässig zu erklären, weil das Parlament vor dem Gericht TCs Recht auf Erteilung von Auskünften im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens nicht in Abrede gestellt habe. Hierzu genügt der Hinweis, dass das Gericht im angefochtenen Urteil in erster Linie geprüft hat, ob TC geltend machen konnte, dass das Parlament es zu Unrecht abgelehnt habe, die von ihm im Verfahren nach Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut erbetenen Auskünfte zu erteilen. Zu diesem Zweck hat das Gericht zuallererst den rechtlichen Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung des Parlaments festgelegt. Daher darf das Parlament im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels diesen Maßstab in Frage stellen und folglich rügen, dass das Urteil an einem Rechtsfehler leide, den der Gerichtshof im vorliegenden Fall zu prüfen hat.
60. Zweitens stützt sich die Feststellung des Gerichts in Rn. 90 des angefochtenen Urteils, wonach den Abgeordneten im Rahmen von Rückforderungsverfahren Zugang zu relevanten Beweisstücken zu gewähren ist, auf das Anhörungsrecht gemäß Art. 41 Abs. 2 der Charta. Dies wird durch die Rn. 131 und 132 des angefochtenen Urteils weiter untermauert, in denen das Gericht dem vom Kläger im ersten Rechtszug vorgebrachten Klagegrund stattgab, „soweit mit ihm eine Verletzung dieses Rechts] gerügt [wurde]“.
61. Angesichts dessen kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, wie es das Parlament tut, dass es ein „neues Recht auf Zugang zu Informationen“ geschaffen habe. Das Gericht begründet seine Feststellung nämlich damit, dass es mangels Erteilung der verlangten Auskünfte, mit deren Hilfe der Abgeordnete sein Recht auf Anhörung nach Ansicht des Gerichts möglicherweise hätte wirksam ausüben können, nicht auszuschließen war, dass ihm die Chance, sich besser zu verteidigen, genommen wurde. Diese Argumentation fügt sich in die Rechtsprechung des Gerichtshofs ein, der das Recht auf Anhörung als Bestandteil des allgemeineren Rechts auf Verteidigung in Verwaltungsverfahren entwickelt hat. Das Vorbringen des Parlaments ist daher zurückzuweisen.
62. Die Hauptfrage, die sich in der vorliegenden Rechtssache stellt, geht jedoch dahin, ob das in Art. 41 Abs. 2 der Charta garantierte Recht auf Anhörung das Parlament verpflichtet, sämtliche von einem seiner Mitglieder verlangten Auskünfte zu erteilen, die im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens wegen zu Unrecht erstatteter Ausgaben für parlamentarische Assistenz relevant erscheinen, es sei denn, es kann seine Weigerung stichhaltig begründen.
63. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass das Recht auf Anhörung, wie aus den Nrn. 56 und 57 der vorliegenden Stellungnahme hervorgeht, es einer Person ermöglicht, ihren Standpunkt zum Inhalt der Entscheidung darzulegen, die die Unionsbehörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zu treffen beabsichtigt. Dieser Standpunkt kann sogar in dem Vorschlag bestehen, die fragliche Entscheidung nicht zu erlassen. Auf jeden Fall darf die von der betroffenen Person geäußerte Meinung nicht nur auf abstrakten Aspekten beruhen, sondern muss sich auf die spezifischen Dokumente in der jeweiligen Verfahrensakte stützen(27 ). Begrifflich sind das Recht auf Anhörung und das Recht auf Akteneinsicht daher eng miteinander verbunden, was durch die Systematik von Art. 41 Abs. 2 der Charta und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Bestimmung bestätigt wird.
64. Damit das Recht auf Anhörung wirksam ausgeübt werden kann, muss folglich Zugang zu den Dokumenten gewährt werden, die in den verschiedenen Stadien des Verwaltungsverfahrens erfasst und zu den Akten genommen wurden(28 ). Eine Verletzung des Rechts auf Anhörung kann also nur festgestellt werden, wenn der Zugang zu den Dokumenten verweigert wird, die in diesen Akten enthalten sind, wobei natürlich gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta das berechtigte Interesse der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses zu wahren ist.
65. Hierbei ist zu beachten, dass in einem Verwaltungsverfahren die Aktenführung davon abhängt, wie die Beweislastverteilung speziell für dieses Verfahren geregelt ist. Beispielsweise bestehen die Akten bei einem Ordnungswidrigkeitsverfahren im Wesentlichen aus den Unterlagen, aufgrund deren dieses Verfahren eingeleitet wurde, sowie aus Unterlagen, die die zuständige Behörde nach ihren eigenen Ermittlungen eingeholt hat, denn diese Behörde trägt in ihrer endgültigen Entscheidung die Beweislast dafür, dass eine Zuwiderhandlung gegeben ist(29 ). In der Regel erstreckt sich die Akteneinsicht sowohl auf belastende als auch auf entlastende Beweise(30 ).
66. Dagegen tragen bei Rückforderungsverfahrens gemäß Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut die Mitglieder des Parlaments die Beweislast. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, die in Rn. 53 des angefochtenen Urteils zutreffend zitiert wird, müssen Abgeordnete, die beim Parlament eine Übernahme der Ausgaben für die Assistenz persönlicher Mitarbeiter beantragen, nachweisen, dass diese Ausgaben tatsächlich für Assistenzleistungen getätigt wurden, die für die Ausübung des Mandats erforderlich waren und damit in unmittelbarem Zusammenhang standen(31 ). Insbesondere hat ein solcher Abgeordneter auf eine entsprechende Aufforderung der zuständigen Stelle des Parlaments alle ihm zur Verfügung stehenden Beweise beizubringen, die geeignet sind, zu belegen, welche Arbeit sein Assistent tatsächlich geleistet hat und inwieweit diese Arbeit mit der Ausübung seines Mandats zusammenhängt(32 ).
67. Wie das Parlament in der mündlichen Verhandlung ohne Widerspruch seitens des Klägers im ersten Rechtszug bekräftigt hat, bestehen somit die Verwaltungsakten in einem Verfahren zur Rückforderung von Ausgaben für parlamentarische Assistenz neben den Unterlagen, aufgrund deren das Verfahren eingeleitet wurde, im Wesentlichen aus den Stellungnahmen des betroffenen Abgeordneten und den von ihm beigebrachten Beweisen. Diese Akten müssen auch alle zusätzlichen Daten enthalten, auf die das Parlament aus eigener Initiative seine endgültige Entscheidung stützt. Zur ersten Kategorie von Dokumenten hat der Parlamentsabgeordnete zwangsläufig Zugang, da sie von ihm selbst herrühren. Die zweite Kategorie von Dokumenten muss das Parlament vorbehaltlich der Einschränkungen im Hinblick auf Vertraulichkeit und Geschäftsgeheimnisse gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta zu den Akten nehmen. Es ist zu festzustellen, dass keines der im vorliegenden Fall umstrittenen Beweise in eine dieser Kategorien von Unterlagen fiel.
68. Natürlich gibt es eine weitere Kategorie von Dokumenten, deren Aufnahme in die Akten ein Parlamentsabgeordneter verlangen mag, und genau auf diese Kategorie bezieht sich die Meinungsverschiedenheit zwischen den Parteien im vorliegenden Fall. Dabei handelt es sich um Beweise, die ein Abgeordneter möglicherweise benötigt, um zu belegen, welche Arbeit sein parlamentarischer Assistent tatsächlich geleistet hat und inwieweit diese Arbeit mit der Ausübung seines Mandats zusammenhängt, die sich jedoch weiterhin im Besitz des Parlaments oder anderer Organe, Einrichtungen oder sonstiger Stellen der Union befinden.
69. In diesem Zusammenhang ist sogleich darauf hinzuweisen, dass der Abgeordnete auch in einer solchen Situation die getätigten Ausgaben für parlamentarische Assistenz zu rechtfertigen hat und hierfür beweispflichtig bleibt. Er muss also weiterhin auf Verlangen des Parlaments die verschiedenen Aufgaben erläutern, die sein Assistent bei der Erfüllung seiner parlamentarischen Pflichten ausgeführt hat. Allerdings darf der Abgeordnete seine Behauptungen durch Verweis auf Beweise untermauern, die dem Parlament vorliegen oder die dieses bei anderen Organen, Einrichtungen, oder sonstigen Stellen der Union anfordern kann.
70. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist, dass der Abgeordnete hinreichend genau angibt, welche konkreten Beweise er meint und inwiefern diese belegen können, dass die von dem parlamentarischen Assistenten getätigten Ausgaben tatsächlich seiner Unterstützung dienten und mit der Ausübung seines Mandats unmittelbar zusammenhingen. Dieser Anforderung ist nicht Genüge getan, wenn der Abgeordnete nur behauptet, die relevanten Beweise seien in breit gefächerten und allgemeinen Kategorien von Dokumenten zu finden, z. B. in allen während eines mehrjährigen Zeitraums produzierten E‑Mails oder in der gesamten Personalakte des betreffenden Assistenten, ohne dies näher zu präzisieren.
71. Andererseits muss das Parlament, wie es in der mündlichen Verhandlung anerkannt hat, diese Beweise zu den Akten nehmen, wobei es unparteiisch und gerecht im Einklang mit seinen Pflichten nach dem Grundsatz der guten Verwaltung zu handeln hat(33 ). Vorbehaltlich der Einschränkungen gemäß Art. 41 Abs. 2 der Charta muss es auch Zugang zu diesen Beweisen gewähren, insbesondere dann, wenn es nach seiner Prüfung zu dem Schluss kommt, die von dem Abgeordneten angeführten Beweise belegten nicht, welche Arbeit sein parlamentarischer Assistent tatsächlich geleistet habe und inwieweit diese Arbeit mit der Ausübung seines Mandats zusammenhänge(34 ).
72. Was den vorliegenden Fall betrifft, so stelle ich fest, dass die Würdigung des Gerichts in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils nicht der Auslegung von Art. 41 Abs. 2 der Charta entspricht, die ich in den vorstehenden Nummern dieser Schlussanträge vorschlage, insbesondere was nach Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut eingeleitete Rückforderungsverfahren betrifft. Nach meiner Ansicht hat das Gericht die Tragweite des Rechts auf Anhörung unzulässig erweitert, ohne die von den Abgeordneten im Rahmen dieser Verfahrensart zu tragende Beweislast gebührend zu berücksichtigen. Denn es hat das Parlament ohne Rechtsgrundlage dazu verpflichtet, dem in diesem Verfahren betroffenen Abgeordneten alle Auskünfte zu erteilen, die für dessen Stellungnahme relevant zu sein schienen, es sei denn, das Parlament konnte Gründe anführen, die eine Auskunftsverweigerung rechtfertigten.
73. Daher macht das Parlament aus meiner Sicht zu Recht geltend, dass das Gericht Art. 41 Abs. 2 der Charta verkannt hat und dass es im Rahmen seiner erstinstanzlichen Würdigung stattdessen in erster Linie hätte prüfen müssen, ob TC, um seiner Beweispflicht in dem gegen ihn eröffneten Rückforderungsverfahren nachzukommen, Zugang zu von ihm hinreichend genau bezeichneten Beweisen, nicht aber zu allgemeinen Kategorien von Dokumenten beantragt hatte. Bejahendenfalls hätte das Gericht die vom Parlament vorgenommene Beurteilung, ob diese Beweisstücke belegen konnten, dass die von TC getätigten Ausgaben für seinen Assistenten verwendet wurden und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats standen, konkret prüfen müssen. Da das Gericht keine derartige Würdigung vorgenommen hat, weist das angefochtene Urteil einen Rechtsfehler auf.
74. Infolgedessen ist meiner Ansicht nach dem ersten und dem fünften Rechtsmittelgrund stattzugeben.
75. Hier ist zu beachten, dass der Gerichtshof gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Entscheidung des Gerichts aufhebt, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Er kann die Sache auch zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
76. Da ich dem Gerichtshof vorschlage, dem ersten und dem fünften Rechtsmittelgrund des Parlaments stattzugeben, sind die Nrn. 2 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben(35 ), ohne dass es einer Prüfung des zweiten, des dritten und des vierten Rechtsmittelgrundes bedarf.
77. Soweit die letztgenannten Gründe nämlich gegen die Würdigung der Auskunftsersuchen von TC durch das Gericht gerichtet sind und diese Würdigung auf der in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils enthaltenen fehlerhaften Prämisse beruht, ist die daran anknüpfende Würdigung des Gerichts ebenfalls fehlerhaft.
78. Außerdem hätten diese Ersuchen angesichts der breit gefächerten Kategorien von Dokumenten, deren Offenlegung TC beantragt hat, keinesfalls dem Genauigkeitserfordernis genügt, das es – wie in Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge erörtert – erlaubt, Schriftstücke zu den Akten zu nehmen. Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, im vorliegenden Rechtsmittelverfahren den im ersten Rechtszug vorgebrachten zweiten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
79. Schließlich kann der Gerichtshof, soweit der Kläger im ersten Rechtszug seine Nichtigkeitsklage vor dem Gericht auf drei zusätzliche Klagegründe gestützt hat, die erstinstanzlich nicht geprüft wurden, mangels Entscheidungsreife vorliegend nicht selbst endgültig über diese Klagegründe entscheiden. In Bezug auf diese Klagegründe ist die Sache daher meines Erachtens an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.
B. Zweiter, dritter und vierter Rechtsmittelgrund
80. Obwohl die Begründetheit des ersten und des fünften Rechtsmittelgrundes für die Aufhebung des angefochtenen Urteils an sich ausreicht, möchte ich mich kurz zum zweiten, dritten und vierten Rechtsmittelgrund des Parlaments äußern, da sie zusätzliche Gründe enthalten, die meines Erachtens zu demselben Ergebnis führen.
81. Mit diesen drei Rechtsmittelgründen greift das Parlament die Würdigung des Gerichts in Bezug auf die verweigerte Offenlegung der einzelnen Kategorien von Informationen an, die TC im Rahmen des Rückforderungsverfahrens angefordert hatte, nämlich i) alle seine E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019, ii) seinen Schriftverkehr mit den Dienststellen des Parlaments über die Arbeit von A, iii) die Personalakte von A, einschließlich der Daten aus dessen Zugangsausweis zum Parlament, und iv) die Akten der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist. Da die Begründung des Gerichts zu einigen dieser Kategorien identisch ist, werde ich die Stichhaltigkeit dieser Begründung unter Zusammenfassung der entsprechenden Kategorien prüfen, wobei ich zunächst die Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil wiedergeben werde.
1. „Alle E ‑Mails“, Schriftverkehr und Daten aus dem Zugangsausweis von A
82. Zu der Weigerung, „alle E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019“ sowie den Schriftverkehr über die Arbeit von A zu übermitteln, stellte das Gericht im angefochtenen Urteil fest, dass das Parlament den Antrag von TC hauptsächlich mit der Begründung abgelehnt habe, nach seinen Richtlinien sei die Aufbewahrung von E‑Mails auf 90 Tage und in Ausnahmefällen auf ein Jahr begrenzt(36 ). Außerdem habe das Parlament TC mitgeteilt, dass die Einsätze der Sicherheitsbediensteten nicht offiziell registriert und die Daten in Verbindung mit den Zugangsausweisen für einen Zeitraum von höchstens vier Monaten gespeichert würden(37 ).
83. Hierzu führte das Gericht im Wesentlichen aus, dem Parlament sei seit Anfang 2016 bekannt gewesen, dass zwischen TC und A ein Konflikt darüber bestanden habe, ob A seine Tätigkeiten im Einklang mit den Vorschriften über die parlamentarische Assistenz ausgeübt habe. Das Parlament habe deshalb von diesem Zeitpunkt an sicherstellen müssen, dass die E‑Mails, die die genaue Art der Tätigkeiten von A belegen könnten, während der Dauer des Kündigungsverfahrens(38 ) sowie die Daten betreffend die Nutzung des Zugangsausweises von A während desselben Zeitraums(39 ) aufbewahrt würden. Das Gericht wies ferner das Vorbringen des Parlaments zurück, es obliege den Abgeordneten, ihre E‑Mails in persönlichen Dateien aufzubewahren, die eine Archivierung über einen unbestimmten Zeitraum ermöglichten(40 ).
84. Der Argumentation des Gerichts ist vor allem aus den nachstehenden Gründen nicht zu folgen.
85. Zunächst macht das Parlament meines Erachtens zu Recht geltend, dass die vom Gericht angeführten Gründe geeignet sind, den in Art. 6 Abs. 1 des Wahlakts und in Art. 2 des Abgeordnetenstatuts verankerten Grundsatz des freien Abgeordnetenmandats zu verletzen. Dieser Grundsatz, bei dem es sich um eine der fundamentalen Grundlagen für die Unabhängigkeit der Abgeordneten handelt, schließt jeden Eingriff u. a. der Dienststellen des Parlaments in die geschützte Sphäre der Abgeordneten aus.
86. Die Pflicht, die das Gericht im angefochtenen Urteil statuiert hat, veranlasst das Parlament jedoch offensichtlich dazu, in die Beziehungen zwischen einem Abgeordneten und dessen Assistenten einzugreifen. Um dieser Pflicht nachzukommen, müsste das Parlament nämlich den zwischen ihnen geführten Schriftverkehr prüfen, um zu beurteilen, welche Beweise dieser Abgeordnete gegebenenfalls im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens verwenden könnte. Das gilt auch für die andere Pflicht, die das Gericht dem Parlament auferlegt hat, nämlich die Pflicht, die erforderlichen Maßnahmen zur Aufbewahrung der Daten betreffend die Nutzung des Zugangsausweises eines Assistenten zu ergreifen.
87. Zwar werden, wie TC vorträgt, alle E‑Mails, die ein Abgeordneter verschickt und empfängt, auf den Servern des Parlaments gespeichert. Sie gehören jedoch rechtlich nicht zum institutionellen Bereich, sondern zum Bereich des Abgeordneten, der vor jedem Eingriff seitens der Dienststellen des Parlaments geschützt werden muss. Insoweit ist mit dem Parlament darauf hinzuweisen, dass nach der eindeutigen Regelung in Art. 4 des Abgeordnetenstatuts Schriftstücke und elektronische Aufzeichnungen, die ein Abgeordneter empfangen, verfasst oder verschickt hat, keine Dokumente des Parlaments sind, es sei denn, sie wurden gemäß der Geschäftsordnung eingereicht.
88. Andererseits steht für mich auch außer Frage, dass die Abgeordneten, da sie die Beweislast im Zusammenhang mit zu Unrecht finanzierten Ausgaben für parlamentarische Assistenz tragen(41 ), alle E‑Mails, die sie mit ihren Assistenten oder mit den Dienststellen des Parlaments ausgetauscht haben, aufbewahren müssen, damit sie im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens darauf zurückgreifen können. Eine andere Auslegung, wie sie im angefochtenen Urteil vorgenommen wird, würde nach meiner Ansicht die ständige Rechtsprechung in Frage stellen, wonach diese Beweislast tatsächlich von diesen Abgeordneten zu tragen ist.
89. Zuletzt möchte ich betonen: Auch wenn das Recht auf Anhörung so auszulegen wäre, dass das Parlament alle von einem Abgeordneten im Rahmen eines Rückforderungsverfahrens verlangten relevanten Informationen übermitteln müsste, könnte aus den in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a oder b der Charta verankerten Rechten nicht hergeleitet werden, dass das Parlament verpflichtet wäre, bereits vor Einleitung dieses Verfahrens eine Akte anzulegen.
90. Dazu genügt die Feststellung, dass gemäß Art. 68 der Durchführungsbestimmungen zum Abgeordnetenstatut ein Rückforderungsverfahren einzuleiten ist, wenn bestimmte Umstände beim Parlament Zweifel an der ordnungsgemäßen Verwendung der Ausgaben für parlamentarische Assistenz aufkommen lassen. Im vorliegenden Fall wurde das Rückforderungsverfahren gegen TC vom Parlament erst am 8. Juni 2020 eingeleitet, zu einem Zeitpunkt, als die angeforderten E‑Mails nicht mehr aufbewahrt und daher nicht mehr zu den Akten dieses Verfahrens genommen werden durften.
91. Daher macht das Parlament – ob es sich nun auf den Grundsatz des freien Mandats, den Grundsatz der Beweislastverteilung oder die in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a oder b der Charta verankerten Rechte beruft – zutreffend geltend, dass die Entscheidung des Gerichts, das Parlament hätte die E‑Mails von und an TC aus den Jahren 2015, 2016 und 2019, dessen Schriftverkehr mit den zuständigen Dienststellen des Parlaments über die Arbeit von A und die Daten betreffend den Zugangsausweis von A aufbewahren müssen, rechtsfehlerhaft war.
2. Personalakte von A und Akten in der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T ‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist
92. Zu As Personalakte und zu den Akten in der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist, stellte das Gericht im Wesentlichen fest, dass das Parlament eine Übermittlung dieser Schriftstücke deshalb abgelehnt habe, weil eine solche gegen die Verordnung 2018/1725 und gegen Art. 26 des Beamtenstatuts verstoßen hätte(42 ).
93. Was erstens die Verordnung 2018/1725 betrifft, so führte das Gericht aus, bei den von TC angeforderten Informationen könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a oder b der Verordnung 2018/1725 fielen, denn sie sollten TCs Verteidigung in dem gegen ihn eingeleiteten Rückforderungsverfahren dienen(43 ). Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten sei jedoch kein uneingeschränktes Recht, sondern müsse im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und insofern gegen andere Grundrechte abgewogen werden(44 ). Dementsprechend hätte das Parlament das Interesse von A, die ihn betreffenden Daten Dritten vorzuenthalten, und das Interesse von TC, sich sachdienlich im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Rückforderungsverfahrens zu äußern, gegeneinander abwägen müssen(45 ).
94. Was zweitens Art. 26 des Beamtenstatuts angeht, so stellte das Gericht fest, dass die Vertraulichkeit der Schriftstücke in As Personalakte TC, der im Übrigen als As Vorgesetzter einige von ihnen selbst verfasst habe, nicht entgegengehalten werden könne, soweit die Wahrnehmung seines Rechts auf Anhörung davon abhänge(46 ). Das Parlament habe TCs Interesse, Zugang zu bestimmten Schriftstücken in As Personalakte zu erhalten, um in dem gegen ihn eingeleiteten Rückforderungsverfahren sachdienlich Stellung nehmen zu können, zu Unrecht unter Berufung auf Art. 26 des Beamtenstatuts unberücksichtigt gelassen(47 ).
95. Auch hier hat das Gericht meines Erachtens Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2018/1725 und Art. 26 des Statuts verkannt und fehlerhaft angewandt.
96. Was die Begründung im Hinblick auf die Verordnung 2018/1725 betrifft, so sieht deren Art. 9 Abs. 1 vor, dass personenbezogene Daten an in der Union niedergelassene Empfänger, die nicht Organe oder Einrichtungen der Union sind, nur übermittelt werden, wenn a) der Empfänger nachweist, dass die Daten für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich sind, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Empfänger übertragen wurde, oder b) der Empfänger nachweist, dass die Übermittlung der Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich ist, und der Verantwortliche in Fällen, in denen Gründe für die Annahme vorliegen, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden könnten, nachweist, dass die Übermittlung der personenbezogenen Daten für diesen Zweck verhältnismäßig ist, nachdem er die unterschiedlichen widerstreitenden Interessen nachweislich gegeneinander abgewogen hat.
97. Aufgrund der Diskussionen in der mündlichen Verhandlung bin ich der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 dahin auszulegen ist, dass es tatsächlich „für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich“ sein könnte, wenn einem Abgeordneten personenbezogene Daten seines akkreditierten parlamentarischen Assistenten im Rahmen eines Verfahrens zur Rückforderung von Ausgaben für parlamentarische Assistenz übermittelt werden. Es dürfte unleugbar im öffentlichen Interesse liegen, dass der betreffende Abgeordnete solche Ausgaben erstattet, wenn sie beim Parlament zu Unrecht angefallen sind. In einer derartigen Situation liegt es aus meiner Sicht auch im öffentlichen Interesse, dass das Rückforderungsverfahren unter Wahrung der in Art. 41 der Charta verankerten Verteidigungsrechte durchgeführt wird.
98. Die Verteidigungsrechte eines Abgeordneten, gegen den ein Rückforderungsverfahren eingeleitet wurde, sind daher nur gewahrt, wenn ihm die personenbezogenen Daten seines akkreditierten parlamentarischen Assistenten übermittelt werden, die für die durch dieses Verfahren betroffenen Vorgänge von Bedeutung sind und eine Stellungnahme dieses Abgeordneten erfordern. Derartige Daten dürfen allerdings nur unter strikter Einhaltung der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 festgelegten Vorgaben übermittelt werden.
99. Die vorstehenden Erwägungen lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass der betreffende Abgeordnete eine allgemeine Offenlegung der personenbezogenen Daten seines Assistenten verlangen darf, ohne diese ausreichend zu präzisieren. Wie ich im Rahmen meiner Prüfung des ersten und des fünften Rechtsmittelgrundes ausgeführt habe, kann ein Abgeordneter, der aufgefordert wird, von ihm getätigte Ausgaben für parlamentarische Assistenz zu rechtfertigen, seine diesbezüglichen Erklärungen auf Beweise stützen, die sich im Besitz des Parlaments befinden. Allerdings muss der Abgeordnete die Beweise, auf die er sich bezieht, zuvor konkret benennen und kann sich nicht, wie in Nr. 70 dieser Schlussanträge dargelegt, auf die Behauptung beschränken, dass das relevante Beweismaterial als allgemeine Kategorie von Dokumenten in der betreffenden Personalakte zu finden sei.
100. Im vorliegenden Fall stellte das Gericht trotz des Wortlauts von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 fest, es gebe andere Situationen, in denen es gerechtfertigt sein könne, personenbezogene Daten im Besitz eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union an Dritte herauszugeben. Da diese Feststellung des Gerichts die Grenzen des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung überschreitet, ist das angefochtene Urteil insoweit rechtsfehlerhaft, als es die Würdigung der Personalakte von A sowie der Akten in der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist, betrifft.
101. Was das Beamtenstatut anbelangt, so geht aus dem angefochtenen Urteil hervor, dass TC das Parlament ersucht hatte, ihm die vollständige Personalakte von A zu übermitteln. Das Parlament lehnte diesen Antrag ab, weil eine solche Offenlegung nach seiner Ansicht gegen Art. 26 des Beamtenstatuts verstoßen würde.
102. Art. 26 des Beamtenstatuts sieht ausdrücklich vor, dass nur dem Beamten selbst, nicht aber Dritten, Einsicht in seine Personalakte gewährt werden darf. Die Personalakte eines Beamten oder sonstigen Bediensteten darf außerdem nur „in den Diensträumen der Verwaltung oder auf einem gesicherten Datenträger“ eingesehen und dem Gerichtshof der Europäischen Union nur dann vorgelegt werden, wenn ein den Beamten oder sonstigen Bediensteten betreffender Rechtsstreit anhängig ist.
103. Das Parlament war somit zu Recht der Ansicht, dass die in Art. 26 des Beamtenstatuts vorgesehenen Einschränkungen es daran hinderten, TCs Antrag stattzugeben.
104. Wie sich aus den Erwägungen in den vorstehenden Nrn. 99 und 100 ergibt, ist dem angefochtenen Urteil im Übrigen nicht zu entnehmen, dass TC im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, Dokumente angeführt hat, die sich in As Personalakte befinden und die belegen könnten, welche Arbeit A tatsächlich geleistet hat und inwieweit diese Arbeit mit der Ausübung des Abgeordnetenmandats von TC zusammenhing.
105. Daher hat das Gericht mit seiner Entscheidung, dass Art. 26 des Beamtenstatuts der Offenlegung von As Personalakte gegenüber TC nicht entgegenstehe, einen Rechtsfehler begangen.
106. Infolgedessen stelle ich fest, dass das Parlament zu Recht geltend macht, die spezielle Würdigung des Gerichts in Bezug auf die verweigerte Offenlegung der einzelnen Kategorien von Informationen, die TC im Rahmen des Rückforderungsverfahrens angefordert hatte – nämlich i) alle seine E‑Mails aus den Jahren 2015, 2016 und 2019, ii) seinen Schriftverkehr mit den Dienststellen des Parlaments über die Arbeit von A, iii) die Personalakte von A, einschließlich der Daten aus dessen Zugangsausweis zum Parlament, und iv) die Akten der Rechtssache, in der das Urteil L/Parlament (T‑59/17, EU:T:2019:140) ergangen ist –, weise einen Rechtsfehler auf.
107. Deshalb ist dem zweiten, dem dritten und dem vierten Rechtsmittelgrund stattzugeben.
VI. Ergebnis
108. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof unter Verweis auf meinen Hauptvorschlag in den vorstehenden Nrn. 74 und 79 vor,
– Nr. 2 und Nr. 3 des Tenors des Urteils vom 7. Juni 2023, TC/Parlament (T‑309/21, EU:T:2023:315), aufzuheben;
– den zweiten Klagegrund in der Rechtssache T‑309/21 zurückzuweisen;
– die Sache zur Entscheidung über den dritten, den vierten und den fünften Klagegrund in der Rechtssache T‑309/21 an das Gericht zurückzuverweisen;
– die Kostenentscheidung vorzubehalten.