C-417/23 – Slagelse Almennyttige Boligselskab Afdeling Schackenborgvænge

C-417/23 – Slagelse Almennyttige Boligselskab Afdeling Schackenborgvænge

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:98

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 13. Februar 2025(1)

Rechtssache C-417/23

Slagelse Almennyttige Boligselskab,

Afdeling Schackenborgvænge

gegen

MV,

EH,

LI,

AQ und LO,

Beigeladene:

BL – Danmarks Almene Boliger,

Institut for Menneskerettigheder,

und

XM,

ZQ,

FZ,

DL,

WS,

JI,

PB,

VT,

YB,

TJ,

RK

gegen

Social-, Bolig- og Ældreministeriet,

Beigeladene:

Institut for Menneskerettigheder,

FN’s særlige rapportør E. Tendayi Achiume,

FN’s særlige rapportør Blakrishnan Rajagopa

(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret [Landgericht für Ostdänemark, Dänemark])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 2000/43/EG — Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft — Nationale Rechtsvorschrift über Verpflichtung zum Erlass von Entwicklungsplänen für bestimmte, als ‚Parallelgesellschaften‘ bezeichnete Wohngebiete — Kriterium ‚Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern‘ — Begriffe ‚ethnische Herkunft‘, ‚unmittelbare Diskriminierung‘ und ‚mittelbare Diskriminierung‘ “

I.      Einleitung

1.        Der Gerichtshof hat in der vorliegenden Rechtssache bestimmte Aspekte der Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft(2) auszulegen. Insbesondere hat der Gerichtshof Gelegenheit, den Begriff der „ethnischen Herkunft“ in dieser Richtlinie näher zu bestimmen und die Begriffe der unmittelbaren und der mittelbaren Diskriminierung voneinander abzugrenzen.

2.        Die Vorlage geht zurück auf mehrere Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten in Dänemark über nationale Rechtsvorschriften, die die Verpflichtung zum Erlass von Entwicklungsplänen für Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens in bestimmten Wohngebieten, sogenannten „Parallelgesellschaften“ (früher: „Ghettos“), enthalten; diese werden so genannt, weil die Mehrzahl der Bewohner in diesen Gebieten „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ sind. Das Urteil des Gerichtshofs in dieser Rechtssache ist auch für mehrere weitere Verfahren von Bedeutung, die vor anderen dänischen Gerichten(3) anhängig sind.

II.    Sachverhalt, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

A.      Maßgebliche dänische Rechtsvorschriften

3.        Im Jahr 2010 fügte das Königreich Dänemark § 61a in das Almenboliglov (Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen)(4) ein. Dieses Gesetz wurde in der Folge noch zweimal geändert, zunächst im Jahr 2018, als die Regelung, um die es in den der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegenden Fällen geht, erlassen wurde, und dann im Jahr 2021, als bestimmte, hauptsächlich terminologische Änderungen eingeführt wurden (im Folgenden: Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen). Der Begriff „Parallelgesellschaft“ ersetzte den Begriff „Ghetto“, während der Begriff „Umgestaltungsgebiet“ anstelle des früheren Begriffs „hartes Ghettogebiet“ eingeführt wurde.

4.        Die für die Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren maßgeblichen Rechtsvorschriften sind die §§ 61a, 168a und 168b des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen.

5.        In § 61a werden drei Arten von Gebieten des öffentlichen Wohnungswesens unterschieden.

6.        Erstens: Ein „gefährdetes Wohngebiet“ ist definiert als ein Gebiet, in dem mindestens zwei der folgenden vier Kriterien (im Folgenden: sozioökonomische Kriterien) erfüllt sind:

„1.      Der Anteil der Bewohner im Alter von 18 bis 64 Jahren, die weder auf dem Arbeitsmarkt noch in der Ausbildung sind, liegt über 40 %, berechnet als Durchschnitt der letzten zwei Jahre.

2.      Der Anteil der Bewohner, die wegen Verstößen gegen das Strafgesetzbuch, das Waffengesetz oder das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurden, ist mindestens dreimal so hoch wie der nationale Durchschnitt, berechnet als Durchschnitt der letzten zwei Jahre.

3.      Der Anteil der Bewohner zwischen 30 und 59 Jahren, die nur über eine Grundschulbildung verfügen, liegt bei über 60 %.

4.      Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der Steuerzahler im Alter von 15 bis 64 Jahren in dem Gebiet, mit Ausnahme derjenigen, die eine Ausbildung anstreben, beträgt weniger als 55 % des durchschnittlichen Bruttoeinkommens derselben Gruppe in der Region.“(5)

7.        Zweitens: Eine „Parallelgesellschaft“ (früher: „Ghetto“) ist definiert als ein Wohngebiet, das – ähnlich wie ein „gefährdetes Wohngebiet“ – zwei der sozioökonomischen Kriterien erfüllt, in dem aber außerdem mehr als 50 % der Bewohner „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ sind.(6)

8.        Drittens: Ein „Umgestaltungsgebiet“ (früher „hartes Ghetto“) ist definiert als ein Gebiet, das in den letzten fünf Jahren die Kriterien der Parallelgesellschaft erfüllt hat(7).

9.        Das zuständige Ministerium veröffentlicht jedes Jahr am 1. Dezember eine Liste dieser verschiedenen Wohngebiete(8).

10.      Die Begriffe „westlich“ und „nicht-westlich“ werden im Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen nicht definiert. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sie der Danmarks Statistik (Dänemarks Statistik) entnommen sind und von dieser zu statistischen Zwecken ausgearbeitet wurden. Danach gilt:

„Die westlichen Länder umfassen die EU, Andorra, Australien, Island, Kanada, Liechtenstein, Monaco, Neuseeland, Norwegen, San Marino, Schweiz, USA, Vatikanstaat und Vereinigtes Königreich.

Die nicht-westlichen Länder umfassen die europäischen Länder Albanien, Belarus, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien, Kosovo, Mazedonien, Moldawien, Montenegro, Russland, Serbien, Sowjetunion, Türkei und Ukraine. Alle Länder in Afrika, Süd- und Mittelamerika sowie Asien. Alle Länder in Ozeanien (außer Australien und Neuseeland) sowie staatenlose Personen“.

11.      Wie das vorlegende Gericht weiter ausführt ist ein „Einwanderer“ eine Person, die im Ausland geboren wurde und von deren Elternteilen ebenfalls keiner in Dänemark geboren wurde oder die dänische Staatsangehörigkeit besitzt. Ein „Nachkomme“ ist eine Person, die in Dänemark geboren wurde, deren Elternteile aber beide nicht in Dänemark geboren wurden und nicht die dänische Staatsangehörigkeit besitzen oder deren beide Elternteile, selbst wenn sie in Dänemark geboren wurden und die dänische Staatsangehörigkeit erworben haben, auch ihre ausländische Staatsangehörigkeit behalten haben.

12.      Für die als „Umwandlungsgebiete“ ausgewiesenen Gebiete schreibt das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen die Durchführung bestimmter Maßnahmen vor. So sieht § 168a Abs. 1 des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen vor, dass die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, die Eigentümer eines solchen Gebiets sind, gemeinsam mit dem Gemeinderat einen Entwicklungsplan zu erstellen haben. Der Entwicklungsplan unterliegt der Genehmigung des Sozial-, Bolig- og Ældreministeriet (Ministerium für Soziales, Wohnungsbau und Senioren, Dänemark).

13.      Nach § 168b Abs. 1 des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen müssen soziale Wohnungsbaugesellschaften und der Gemeinderat im Entwicklungsplan darlegen, wie der Anteil der Wohneinheiten des öffentlichen Wohnungswesens in den Umwandlungsgebieten bis zum 1. Januar 2030 auf 40 % verringert wird.

14.      Um dieses Ziel zu erreichen, kann der Entwicklungsplan u. a. den Verkauf von Grundstücken an private Bauträger, den Abriss oder die Umwandlung von Familienwohnungen in Wohnungen für junge Menschen vorsehen. In derartigen Fällen ist der Mietvertrag der Vormieter zu beenden. Nach dem Gesetz ist der Gemeinderat verpflichtet, eine Lösung für die Unterbringung dieser Mieter zu finden und für ihre Kosten aufzukommen.

B.      Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15.      Die Rechtsstreitigkeiten in den Ausgangsverfahren betreffen zwei verschiedene Umwandlungsgebiete – das Gebiet Ringparken, das zur Gemeinde Slagelse gehört, und das Gebiet Mjølnerparken, das in Kopenhagen (Dänemark) liegt.

16.      Ringparken steht im Eigentum der Wohnungsbaugesellschaft Slagelse Almennyttige Boligselskab (im Folgenden: SAB)(9). Es wurde mit Wirkung vom 1. Dezember 2018 als „hartes Ghettogebiet“ (jetzt „Umwandlungsgebiet“) ausgewiesen, weil dieses Wohngebiet alle vier sozioökonomischen Kriterien erfüllte und weil darüber hinaus 55,6 % seiner Bewohner der Kategorie „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ angehörten.

17.      Im Einklang mit dem Entwicklungsplan für dieses Gebiet beendete SAB am 17. Februar 2020 17 Mietverträge in Schackenborgvænge(10). Die Vertragsbeendigungen erfolgten gemäß den genehmigten Kriterien, und die Auswahl der Mieter, deren Mietvertrag beendet wurde, erfolgte den Angaben zufolge nicht danach, ob sie „Einwanderer oder ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ gewesen seien(11). Den Mietern wurde eine dauerhafte Wohnmöglichkeit angeboten(12).

18.      Die ersten vier Rechtssachen betreffen fünf Mieter, die der Beendigung ihrer Mietverträge widersprachen. SAB erhob daher beim zuständigen Gericht Klage gegen diese Mieter auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Beendigung ihrer Mietverträge(13).

19.      Das fünfte Verfahren betrifft das von der Wohnungsbaugesellschaft Bo-Vita verwaltete Umgestaltungsgebiet Mjølnerparken in Kopenhagen(14).

20.      Am 1. Dezember 2018 wurde Mjølnerparken als „hartes Ghettogebiet“ (jetzt „Umgestaltungsgebiet“) ausgewiesen, weil es drei der vier sozioökonomischen Kriterien erfüllte und weil etwa 80 % der Bewohner in diesem Gebiet zur Kategorie „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ gehörten(15).

21.      Auf dieser Grundlage erstellte Bo-Vita am 8. Mai 2019 einen Entwicklungsplan, der am 10. September 2019 vom zuständigen Ministerium genehmigt wurde. Der Plan beinhaltete den Verkauf bestimmter Wohnblöcke. Dementsprechend war es Aufgabe von Bo-Vita, die Mietverträge mit den Mietern der betreffenden Wohnblöcke zu beenden, wobei den Mietern eine neue Wohnmöglichkeit angeboten wurde.

22.      Am 27. Mai 2020 erhoben elf Bewohner von Mjølnerparken Klage gegen das zuständige Ministerium mit der Begründung, dass dessen Genehmigung des Entwicklungsplans für Mjølnerparken ungültig sei, und zwar u. a., weil der Plan auf der Rechtsgrundlage des § 61a Abs. 4 des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen erlassen worden sei, in dem Umgestaltungsgebiete definiert würden. Das Ministerium beantragte die Abweisung der Klage.

23.      Diese fünf Rechtssachen wurden an das Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark) zur Entscheidung in erster Instanz verwiesen, da davon ausgegangen wurde, dass die Rechtssachen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen.

24.      Dieses Gericht hat Zweifel, ob die nationale Regelung mit der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vereinbar ist.

25.      In seiner Darstellung des Hintergrundes der Rechtssache weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die dänische Regierung vor den Änderungen von 2018 ein Strategiepapier mit dem Titel „Ét Danmark uden parallelsamfund – Ingen ghettoer i 2030“ (16) („Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften – Keine Ghettos im Jahr 2030“) erarbeitet habe, in dem das Bestreben nach einem kohäsiven Dänemark „ohne Parallelgesellschaften“ für Menschen mit nicht westlichem Hintergrund bekräftigt werde. Aus der Vorlageentscheidung geht ferner hervor, „dass die Hauptherausforderung in [Parallelgesellschaften] in der mangelnden Integration von Einwanderern und ihren Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern liegt“.

26.      Unter diesen Umständen hat das Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark) dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist der Begriff „ethnische Herkunft“ bzw. die Wendung „einer ethnischen Gruppe angehören“ in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft dahin auszulegen, dass sie unter Umständen wie den hier vorliegenden – wenn nach dem dänischen Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen in sogenannten Umgestaltungsgebieten der Anteil an Sozialwohnungen für Familien verringert werden soll und es eine Voraussetzung für die Einstufung als Umgestaltungsgebiet ist, dass in dem Wohngebiet mehr als 50 % „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ leben – eine Gruppe von Personen erfassen, die als „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ definiert wird?

2.      Falls Frage 1 ganz oder teilweise zu bejahen ist: Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b dahin auszulegen, dass die in der Rechtssache beschriebene Regelung eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung darstellt?

C.      Verfahren in der vorliegenden Rechtssache

27.      Schriftliche Erklärungen sind beim Gerichtshof eingereicht worden von SAB, XM u. a., BL – Danmarks Almene Boliger (BL – Öffentliches Wohnungswesen Dänemarks; im Folgenden: BL), dem Institut für Menneskerettigheder (Dänisches Institut für Menschenrechte), den VN-Sonderberichterstattern E. T. Achiume und B. Rajagopa, der dänischen Regierung, der spanischen Regierung und der Europäischen Kommission.

28.      Am 30. September 2024 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der SAB, MV u. a., XM u. a., BL, das dänische Institut für Menschenrechte, die VN-Sonderberichterstatter E. T. Achiume und B. Rajagopa, die dänische Regierung und die Kommission Erklärungen abgegeben haben.

III. Würdigung

A.      Gliederung der vorliegenden Schlussanträge

29.      Der Gerichtshof ist in der vorliegenden Rechtssache aufgerufen, die Richtlinie über Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft unter den besonderen Umständen, die sich aus dem dänischen Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen ergeben, auszulegen.

30.      Dieses Gesetz verpflichtet die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, im Einvernehmen mit den jeweiligen lokalen Behörden Entwicklungspläne zu erlassen, die darauf abzielen, die Zahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens in den als Umgestaltungsgebiete (oder gemäß der früheren Fassung desselben Gesetzes „harte Ghettos“) ausgewiesenen Wohngebieten auf 40 % zu senken. Diese Gebiete unterscheiden sich von anderen Wohngebieten mit einer vergleichbar benachteiligten sozioökonomischen Situation dadurch, dass sie zu mehr als 50 % von Personen bewohnt werden, die als „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ bezeichnet werden.

31.      In den beiden für die beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten relevanten Umgestaltungsgebieten – Ringparken (in Slagelse) und Mjølnerparken (in Kopenhagen) – führten die Entwicklungspläne zur einseitigen Beendigung einer Reihe von Mietverträgen für Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens.

32.      Sind derartige Konsequenzen wie die, die sich aus dem Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen ergeben, als Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft einzustufen, die gegen die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft verstößt?

33.      Mit dieser Richtlinie sollen Diskriminierungen aus nur zwei Gründen beseitigt werden: Rasse und Ethnie; sonstige Verbotsgründe werden im Unionsrecht durch andere Richtlinien abgedeckt(17).

34.      Diese Richtlinie ist daher nur anwendbar, wenn die Unterscheidung zwischen westlichen und nicht westlichen Einwanderern und ihren Nachkommen als auf dem Kriterium der „ethnischen Herkunft“ beruhend anzusehen ist. Verkürzend bezeichne ich diese Unterscheidung als das „Kriterium: westliche/nicht-westliche“.

35.      Ich werde dem Gerichtshof vorschlagen, dass das Kriterium westliche/nicht westliche tatsächlich unter den Begriff der „ethnischen Herkunft“ zu fassen ist. Auf dieser Grundlage werde ich weiter vorschlagen, dass dies zu der Schlussfolgerung führt, dass die sich daraus ergebende Diskriminierung eine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Meine Analyse gliedert sich wie folgt.

36.      In Abschnitt C werde ich in Beantwortung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts darlegen, warum die Unterscheidung zwischen Kriterium westliche/nicht westliche als ein Kriterium verstanden werden sollte, das auf dem Kriterium der ethnischen Herkunft beruht.

37.      In Abschnitt D und in Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts werde ich darlegen, dass die benachteiligende Behandlung, die sich aus den betreffenden Rechtsvorschriften auf der Grundlage eines solchen Kriteriums ergibt, einen Fall von unmittelbarer Diskriminierung darstellt. Dies gilt, wie ich noch erläutern werde, ungeachtet der Tatsache, dass die Auswahl der Personen, deren Mietverträge im Rahmen der Entwicklungspläne beendet wurden, nicht auf dem Kriterium westliche/nicht westliche beruht. Für den Fall, dass der Gerichtshof meiner Meinung nicht folgen sollte, werde ich alternative Argumente auf der Grundlage einer mittelbaren Diskriminierung darlegen.

38.      Bevor ich mich mit der Analyse der oben genannten Fragen beschäftige, werden unter Abschnitt B zwei Vorfragen zur Anwendbarkeit der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft auf die Umstände der vorliegenden Fälle behandelt.

B.      Vorfragen zum Geltungsbereich der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft

1.      Unter welchen Buchstaben von Art. 3 Abs. 1 der Antidiskriminierungsrichtlinie ist die vorliegende Rechtssache einzuordnen: Buchst. e, f oder h?

39.      Die erste Vorfrage, auf die die Kommission hingewiesen hat, betrifft die Frage, ob das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen, wie es in der vorliegenden Rechtssache in Rede steht, in den Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft fällt, und zwar in Bezug auf Buchst. e – Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, Buchst. f – soziale Vergünstigungen, oder Buchst. h –Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

40.      Die Kommission ist der Auffassung, dass das öffentliche Wohnungswesen eine Form der sozialen Vergünstigung darstelle und dass die vorliegende Rechtssache daher in den Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft falle.

41.      Nach den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung durch BL und die Mieter in beiden Ausgangsverfahren – in denen es um zwei verschiedene Gebiete des öffentlichen Wohnungswesens geht – und nach Einsichtnahme in die Rechtsvorschriften über das öffentliche Wohnungswesen in Dänemark(18) bin ich jedoch der Ansicht, dass das öffentliche Wohnungswesen eine Dienstleistung ist und daher von Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft erfasst wird.

42.      Die Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens machen 20 % der Gesamtzahl der Haushalte in Dänemark aus und bieten Wohnraum für rund eine Million Menschen. Die Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens für Familien werden von den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften gebaut und vermietet. Es gibt fast 700 solcher Wohnungsbaugesellschaften unterschiedlicher Größe, die über städtische Gebiete und ländliche Bezirke verteilt sind. Es handelt sich um gemeinnützige Vereinigungen, deren Ziel es ist, den Einwohnern von Dänemark bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Eine Einkommensgrenze für den Zugang zu diesen Wohnungen gibt es nicht, und jeder, der über 15 Jahre alt ist, kann sich (gegen eine Gebühr) in die Wartelisten eintragen lassen. Die Wohnungsmiete ist niedriger als der Marktpreis, da sie ausschließlich zur Deckung der Kosten für den Betrieb der Wohneinheiten dient und zusätzlich Rückstellungen für die Instandhaltung enthält. Mieter zahlen jedoch den vollen Mietpreis für die Nutzung dieser Wohnungen.

43.      Aufgrund dieser Merkmale des dänischen öffentlichen Wohnungswesens bin ich der Ansicht, dass die Umstände der vorliegenden Rechtssache in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der Antidiskriminierungsrichtlinie fallen, der sich auf die Bereitstellung von „Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum“, bezieht.

44.      Diese Ansicht wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft bestätigt. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission enthielt einen Verweis auf „Zugang zu Waren und Dienstleistungen“, ohne „Wohnen“ ausdrücklich zu erwähnen(19). Einige Mitgliedstaaten erhoben Einwände gegen die Einbeziehung von Waren und Dienstleistungen in den Geltungsbereich dieser Richtlinie. Es ist darauf hinzuweisen, dass die parallel verabschiedete Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie, die andere Verbotsgründe – Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung – betraf, den Zugang zu Waren und Dienstleistungen nicht in ihren Geltungsbereich einbezog(20). Im Rahmen der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft kam es zu einer Kompromisslösung, die darin bestand, Waren und Dienstleistungen, die „der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“, einzubeziehen. Was den Zusatz „einschließlich von Wohnraum“ betrifft, so war diese Formulierung vom Europäischen Parlament vorgeschlagen(21) und in den geänderten Vorschlag der Kommission aufgenommen worden(22). Nachdem man sich darauf geeinigt hatte, die „Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“, in den Geltungsbereich der Richtlinie einzubeziehen, „war es dann kein Problem mehr, die Klarstellung zu erreichen, dass auch das Wohnungswesen unter die Definition von Gütern und Dienstleistungen fällt“(23).

2.      Zur Bedeutung von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft

45.      Die zweite Vorfrage, die in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen worden ist, betrifft die Auslegung des Einleitungssatzes von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft, der mit den folgenden Worten beginnt: „Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für …“(24).

46.      Genauer gesagt: Da es im vorliegenden Fall um nationale Rechtsvorschriften über das öffentliche Wohnungswesen geht, also um einen Politikbereich, für den die Verträge keine Regelungskompetenz der Union vorsehen, wirft die vorgelegte Frage die allgemeinere verfassungsrechtliche Frage auf, ob die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft auf eine solche Politik anwendbar sein kann, ohne in die nationalen Zuständigkeiten einzugreifen.

47.      Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Einleitungssatz von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft den Wortlaut von Art. 19 AEUV widerspiegelt, der die Rechtsgrundlage ist, auf der diese Richtlinie erlassen wurde(25).

48.      Diese Rechtsgrundlage verleiht dem Rat der Europäischen Union die Zuständigkeit, Rechtsakte zu erlassen, um u. a. Diskriminierungen aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu bekämpfen. Für derartige Rechtsvorschriften ist Einstimmigkeit im Rat und die Zustimmung des Parlaments erforderlich. Im Einleitungssatz von Art. 19 AEUV heißt es, dass ein solcher Rechtsakt „[u]nbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge … im Rahmen der durch sie auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ erlassen wird(26).

49.      Diese Bestimmung kann als Reaktion der Mitgliedstaaten als den „Herren der Verträge“ auf das Gutachten 2/94(27) gesehen werden, in dem der Gerichtshof die Auffassung vertreten hat, dass die Europäische Gemeinschaft, so wie sie nach dem EG-Vertrag bestand, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht beitreten könne, da ihr die Verträge in ihrer damaligen Fassung keine Zuständigkeit im Bereich der Menschenrechte verliehen hätten.

50.      Es wurde daher Art. 19 AEUV (seinerzeit Art. 13 EG) in die Verträge aufgenommen, um der Union eine Zuständigkeit zu übertragen, die es ihr ermöglicht, Diskriminierungen aktiv zu bekämpfen.

51.      Diese horizontale Zuständigkeit zielte jedoch nicht darauf ab, die Bereiche auszuweiten, in denen die Union bereits gesetzgebend tätig werden konnte, sondern darauf, eine „Menschenrechtskompetenz“ einzuführen, die die Union ermächtigt, innerhalb des Geltungsbereichs des Unionsrechts, wie er in den Verträgen definiert ist, Diskriminierung zu bekämpfen.

52.      Bedeutet die Tatsache, dass die Politik im Bereich des Wohnungswesens kein durch die Verträge auf die Union übertragener Zuständigkeitsbereich ist, dass die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft nicht auf nationale Rechtsvorschriften über das öffentliche Wohnungswesen anwendbar ist?

53.      Eine solche Auslegung von Art. 19 AEUV und des Einleitungssatzes von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie betreffend Rasse und ethnische Herkunft wäre meiner Meinung nach zu eng und würde die Anwendung dieser Richtlinie sowie anderer Rechtsakte der Union mit ähnlichem Wortlaut(28) auf zahlreiche Bereiche des nationalen Rechts ausschließen.

54.      Wie oben erläutert (siehe Nrn. 43 ff. der vorliegenden Schlussanträge), ist das öffentliche Wohnungswesen in Dänemark eine entgeltliche Dienstleistung im Sinne der Verträge. Als solche fällt das öffentliche Wohnungswesen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts.

55.      In dieser Hinsicht ist es ständige Rechtsprechung, dass selbst in den Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten Regelungsbefugnisse behalten haben, ihre Regelungsmöglichkeiten durch den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen der Union begrenzt sind. Im Bereich der Bildung, der ebenfalls in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, hat der Gerichtshof beispielsweise festgestellt, dass das Unionsrecht die Befugnisse der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Bildungsinhalte und die Gestaltung der Bildungssysteme zwar nicht einschränkt, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnisse jedoch das Unionsrecht beachten müssen(29).

56.      Ebenso steht es den Mitgliedstaaten frei, Regelungen für ein öffentliches Wohnungswesen einzuführen – oder dies nicht zu tun –und zu entscheiden, in welcher Form und für welche Personen die öffentlich gebauten Wohnungen angeboten werden. Die Vorschriften für das öffentliche Wohnungswesen dürfen jedoch, wenn sie erlassen werden, nicht aus Gründen diskriminieren, die durch das Antidiskriminierungsrecht der Union verboten sind, für dessen Erlass die Union auf der Grundlage von Art. 19 AEUV zuständig ist. Das Unionsrecht schränkt daher die Wahlmöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer Politik im Bereich des öffentlichen Wohnungswesens in gewissem Maße ein – insbesondere können sie keine Politik im Bereich des öffentlichen Wohnungswesens beschließen, die eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft beinhaltet. Dadurch, dass eine solche Grenze vorgeschrieben wird, erwirbt die Union jedoch keine Zuständigkeit für das öffentliche Wohnungswesen, d. h., sie kann nicht bestimmte Arten einer Wohnungspolitik ersetzen oder den Mitgliedstaaten vorschreiben.

57.      Indem sie der Union die Befugnis gegeben haben, Diskriminierungen „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ zu bekämpfen, akzeptieren die Mitgliedstaaten, dass die gemeinsam vereinbarte Gleichstellungspolitik auch ihren Regulierungsentscheidungen im Bereich der Wohnungspolitik Grenzen setzt. Mit anderen Worten: Mit dem Erlass der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft, die auf das Wohnungswesen Anwendung findet, hat die Union im Rahmen der ihr durch Art. 19 AEUV übertragenen Befugnisse gehandelt und sich selbst keine neuen Regelungsbefugnisse zugelegt.

58.      Demgemäß findet die Richtlinie betreffend Rasse und ethnische Herkunft auf die nationalen Rechtsvorschriften über das öffentliche Wohnungswesen Anwendung, auch wenn die Mitgliedstaaten gleichwohl ihre Zuständigkeit für die Regelung des öffentlichen Wohnungswesens in ihrem Hoheitsgebiet behalten.

C.      „Ethnische Herkunft“ als Verbotsgrund

59.      Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Richtlinie betreffend Rasse und ethnische Herkunft eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft im Bereich des öffentlichen Wohnungswesens verbietet.

60.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Unterscheidung zwischen „westlichen“ und „nicht-westlichen“ Einwanderern und ihren Nachkommen eine Unterscheidung nach der ethnischen Herkunft im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

61.      SAB macht geltend, dass der Begriff „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ nicht auf der ethnischen Herkunft, sondern auf der Staatsangehörigkeit beruhe, die gemäß Art. 3 Abs. 2 vom Geltungsbereich der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft ausgeschlossen sei.

62.      Die dänische Regierung bestreitet ebenfalls, dass dieser Begriff an die ethnische Herkunft anknüpfe. Dieser Begriff sei vielmehr so weit gefasst, dass er nicht geeignet sei, Personen einer bestimmten Ethnie zu betreffen.

63.      Demgegenüber machen die Mieter in den beiden Umgestaltungsgebieten, die an den Ausgangsverfahren vor dem vorlegenden Gericht beteiligt sind, das dänische Institut für Menschenrechte, die VN-Sonderberichterstatter, die spanische Regierung und die Kommission allesamt im Wesentlichen geltend, dass die Gruppe „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ als Unterscheidungsmerkmal aufgrund ihrer ethnischen Herkunft anzusehen sei.

1.      Wortlaut, Kontext und Zweck der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft

64.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft keine Definition oder sonstige Angaben darüber enthält, was unter „ethnischer Herkunft“ zu verstehen ist.

65.      In Ermangelung einer gesetzlichen Definition kann man sich am üblichen Sinn des Wortes „ethnisch“, „Ethnie“ oder „ethnische Herkunft“ im gewöhnlichen Sprachgebrauch orientieren(30). Eine kurze Durchsicht der im Internet verfügbaren Wörterbücher zeigt, dass sich dieses Wort auf eine Gruppe von Menschen bezieht, die durch bestimmte gemeinsame Merkmale verbunden sind. Allerdings unterscheiden sich diese Merkmale in den Definitionen der einzelnen Wörterbücher(31). Genannt werden häufig eine gemeinsame Kultur, Tradition, Sprache, Geschichte, Rasse oder Religion. Darüber hinaus wird in den Definitionen der Wörterbücher häufig „usw.“ hinzugefügt, was darauf hinweist, dass auch andere Merkmale von Bedeutung sein können(32).

66.      In Bezug auf den Kontext, in dem die Worte „ethnische Herkunft“ vorkommen, ist festzustellen, dass das Diskriminierungsverbot auf dieser Grundlage in dem Rechtsakt behandelt wird, der gleichzeitig das Diskriminierungsverbot aufgrund der rassischen Herkunft behandelt. Hilft dies zu verstehen, was Ethnie bedeutet?

67.      Die gemeinsame und austauschbare Verwendung der beiden Begriffe „Rasse“ oder „ethnische Herkunft“ ist offenbar ein Ergebnis dessen, wie sich das Verständnis für diese Art von Diskriminierung entwickelt hat. Nach Ansicht von Wissenschaftlern wurde der Begriff „Rassismus“ in der kritischen Auseinandersetzung mit früheren wissenschaftlichen Theorien über „Rasse“ entwickelt, mit denen versucht wurde, die Menschen in eine Reihe biologisch unterschiedlicher „Rassen“ einzuordnen(33).

68.      Der Unionsgesetzgeber stellt in der Richtlinie betreffend Rasse und ethnische Herkunft ausdrücklich klar, dass die Union derartige Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, ausdrücklich zurückweist(34). Er verwendet den Begriff der Rasse jedoch weiterhin, dabei wird aber im Gegensatz zu früheren Rechtsinstrumenten(35) auch der Begriff „ethnische Herkunft“ hinzugefügt, möglicherweise um die Bindung dieser Begriffe an soziale Gebilde und nicht an bestimmte ererbte Merkmale herauszustellen.

69.      Daher ist der Begriff „ethnische Herkunft“ in der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft zusammen mit dem Begriff „Rasse“ in dem Sinne zu lesen, dass er sich auf ein soziales Gebilde bezieht – eine Wahrnehmung in einer bestimmten Gesellschaft von der Existenz einer Gruppe, die auf der Grundlage bestimmter soziokultureller Merkmale wie Sprache, Literatur, Musik, Bräuche und Ähnlichem als verschieden erkennbar ist.

70.      Schließlich besteht der Zweck der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft darin, einen Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu schaffen, um den Grundsatz der Gleichheit zu verwirklichen. Nach Art. 2 EUV gehört die Gleichstellung zu den Grundwerten der Europäischen Union. Da diese Richtlinie somit einen der Grundwerte der Europäischen Union umsetzt, sollte der Begriff der „ethnischen Herkunft“ weit ausgelegt werden(36).

71.      Wie im zwölften Erwägungsgrund erläutert ist es das Ziel der Antidiskriminierungsrichtlinie, „die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften zu gewährleisten, die allen Menschen – ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – eine Teilhabe ermöglichen“.

72.      Zudem beziehen sich mehrere Erwägungsgründe der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft auf die Initiativen des Europäischen Rates, des Rates und der Kommission zur Bekämpfung von „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“(37). Die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit ist daher ein Element der Entwicklung toleranter Gesellschaften(38), und der Begriff der „ethnischen Herkunft“ sollte im Sinne dieses Ziels der Richtlinie verstanden werden.

73.      In diesem Zusammenhang ist der Begriff der „ethnischen Herkunft“ so zu verstehen, dass er sich auf die Wahrnehmung einer Person oder einer Gruppe von Personen als Fremde oder Ausländer bezieht. In dieser Weise ist die Unterscheidung nach der „ethnischen Herkunft“ als eine Aufteilung in „wir“ und „sie“ zu verstehen, wobei die Trennungslinie von bestimmten physischen und soziokulturellen Merkmalen abhängt oder zumindest von der Wahrnehmung, dass es bei diesen Merkmalen Unterschiede gibt.

74.      Die Entwicklung einer Gesellschaft, die gegenüber ethnischen Unterschieden tolerant ist, impliziert die Anerkennung gleicher Rechte für „sie“ trotz des Glaubens oder der Wahrnehmung, dass „sie“ andere Eigenschaften haben als „wir“.

2.      Einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs

a)      Urteile CHEZ und Jyske Finans – die Merkmale der Ethnie

75.      Zur Auslegung des Begriffs „ethnische Herkunft“ gibt es wenig Rechtsprechung des Gerichtshofs. Wenn ich mich nicht täusche, hat sich der Gerichtshof in nur zwei Rechtssachen unmittelbar mit der Bedeutung dieses Begriffs befasst, und zwar in den Urteilen CHEZ und Jyske Finans(39).

76.      Die wegweisende Rechtssache im Bereich der ethnischen Diskriminierung ist das Urteil CHEZ. Der Fall ergab sich aus einer Situation, in der ein bulgarischer Stromversorger Stromzähler in einer Höhe von über 6 m in einem Wohngebiet anbrachte, das überwiegend von Personen mit Roma-Herkunft bewohnt wurde, obschon es gängige Praxis war, sie in einer Höhe von unter 2 m anzubringen. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass Personen mit Roma-Herkunft bei diesem Sachverhalt als eine ethnische Gruppe anzusehen sind(40).

77.      Für diese Schlussfolgerung ging der Gerichtshof von einem allgemeineren Verständnis des Begriffs der Ethnie aus: „Der Begriff der ethnischen Herkunft, der auf dem Gedanken beruht, dass gesellschaftliche Gruppen insbesondere durch eine Gemeinsamkeit der Staatsangehörigkeit, Religion, Sprache, kulturelle und traditionelle Herkunft und Lebensumgebung gekennzeichnet sind, erfasst nämlich auch die Gemeinschaft der Roma.“(41)

78.      Aus der in diesem Urteil verwendeten Definition geht hervor, dass unter dem Begriff „Ethnie“ Personen auf der Grundlage mehrerer gemeinsamer Merkmale zusammengefasst werden, von denen einige als verbotene Diskriminierungsgründe anzusehen sind (Religion und unter bestimmten Umständen auch die Staatsangehörigkeit), andere dagegen nicht (Sprache, kulturelle und traditionelle Herkunft und Lebensumgebung).

79.      Ganz ähnlich wie bei der oben dargestellten allgemeinen oder lexikalischen Bedeutung des Wortes „ethnisch“ sind die im Urteil CHEZ genannten Merkmale weder erschöpfend aufgezählt (der Gerichtshof verwendet den Ausdruck „insbesondere“) noch ist die Erfüllung aller dieser Kriterien erforderlich, um eine Unterscheidung aufgrund der Ethnie als gegeben anzusehen.

80.      Es gibt jedoch ein Merkmal, nach dem Menschen häufig eingruppiert werden, das von der Antidiskriminierungsrichtlinie nicht erfasst wird, nämlich die Staatsangehörigkeit(42). Wie aus der oben zitierten Definition aus dem Urteil CHEZ(43) hervorgeht, kann gleichwohl auch die Staatsangehörigkeit berücksichtigt werden, um festzustellen, ob eine bestimmte Unterscheidung auf dem Kriterium der „Ethnie“ beruht, und zwar dann, wenn sie nur ein Faktor, aber nicht der einzige, ist, auf dem eine unterschiedliche Behandlung beruht.

81.      Im Urteil Jyske Finans hat der Gerichtshof bestätigt, dass die im Urteil CHEZ enthaltene Liste von Ethnie-Merkmalen nicht erschöpfend ist. Er hat festgestellt, dass auch das Geburtsland(44) ein Merkmal für die Ethnie einer Person sein kann, auch wenn dieses Merkmal im Urteil CHEZ nicht erwähnt worden war(45). Gleichzeitig hat der Gerichtshof jedoch festgestellt, dass die Ethnie einer Person nicht auf der Grundlage eines einzigen Kriteriums, sondern auf einer ganzen Anzahl von Merkmalen beruht, von denen einige objektiv und andere subjektiv sind(46). Daher kann der Geburtsort zu dem Schluss führen, dass eine Person aufgrund ihrer ethnischen Herkunft anders behandelt wird, reicht aber nicht aus, um diesen Schluss zu rechtfertigen.

82.      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Jyske Finans erwähnt, dass die Merkmale der Ethnie objektiv und subjektiv sein können, doch hat er dazu keine weiteren Ausführungen gemacht. Die vom Gerichtshof in den Urteilen CHEZ und Jyske Finans genannten Faktoren sind allesamt objektive Faktoren. Es kann auch subjektive Faktoren geben, die zum Begriff der Ethnie beitragen, wie z. B. die Wahrnehmung der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, aber diese Faktoren wurden in keinem der beiden Urteile erwähnt(47). Subjektive Faktoren legen „ethnische Grenzen“ fest, die zum Einschluss in eine Gruppe oder zum Ausschluss aus einer Gruppe führen(48). So kann die Wahrnehmung einer ethnischen Gruppe, dass bestimmte Personen nicht zu dieser Gruppe gehören, ein Element für die Schlussfolgerung sein, dass die unterschiedliche Behandlung durch die ethnische Herkunft begründet ist.

b)      Urteil Feryn Homogenität der weniger günstig behandelten Gruppe

83.      In der Rechtssache CHEZ handelt es sich bei der ethnischen Gruppe, die weniger günstig behandelt wurde, um eine als homogen wahrgenommene konkrete ethnische Gruppe(49).

84.      In der vorliegenden Rechtssache besteht die Gruppe der „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ nicht aus Personen, die objektiv durch dieselbe Geschichte, Kultur, Religion, Sprache, denselben Herkunftsort oder durch ihre subjektive Wahrnehmung der Zugehörigkeit zu ein und derselben ethnischen Gruppe verbunden sind. Hier sind „nicht-westliche“ Personen solche Personen, die aus einem beliebigen Land der Welt nach Dänemark eingewandert sind, mit Ausnahme der Länder, die als westlich gelten. Nach Angaben der dänischen Regierung stellen die Länder, aus denen diese Gruppe kommt, die Heimat von 88 % der Weltbevölkerung dar.

85.      Denn im Gegensatz zur Roma-Gemeinschaft in Bulgarien, die im Urteil CHEZ (zumindest in der Wahrnehmung) eine ethnische Gruppe darstellt, bilden die „nicht-westlichen“ Personen eine ethnisch verschiedenartig zusammengesetzte Gruppe.

86.      Was dieser Gruppe gemeinsam ist, ist nämlich nicht eine Gemeinsamkeit von Merkmalen, die die „Ethnie“ innerhalb der Gruppe begründet, sondern vielmehr die Wahrnehmung des dänischen Gesetzgebers, dass diese Gruppe nicht die Merkmale der anderen Gruppe, nämlich die der „westlichen“ Personen, besitzt. Die Gruppe wird also im Wege der Ausgrenzung von „nicht-westlichen“ Personen aus der Gruppe der „westlichen“ Personen gebildet.

87.      Meines Erachtens beruht diese im dänischen Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen vorgenommene Unterscheidung auf der Annahme, dass „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ sich schwerer in die dänische Gesellschaft integrieren als Einwanderer und ihre Nachkommen aus westlichen Ländern. Diese Annahme ist von der dänischen Regierung im vorliegenden Verfahren, allerdings ohne nähere Angabe von Einzelheiten, bestätigt worden.

88.      Diese Haltung beruht, wie von der Kommission dargelegt, auf der Vorstellung, dass Einwanderer und ihre Nachkommen aus westlichen Ländern und dänische Bürger eine ähnliche Kultur, Tradition und religiöse Überzeugung teilten. Dies sei der Grund dafür, dass sie eine homogene ethnische Gruppe bildeten, die sich von der Gruppe der Einwanderer und ihrer Nachkommen aus nicht westlichen Ländern unterscheide, weshalb es für die Mitglieder der „westlichen“ Gruppe, im Gegensatz zu den Mitgliedern der „nicht-westlichen“ Gruppe, keine Integrationsprobleme gebe.

89.      In Bezug auf die ethnische Herkunft wird die „nicht-westliche“ Gruppe also negativ definiert – als eine Gruppe, die bestimmte ethnische Merkmale nicht besitzt, und nicht als eine Gruppe, die bestimmte gemeinsame ethnische Merkmale besitzt. Diese auf Ausgrenzungsgründen beruhende Definition ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen auf der Grundlage des Kriteriums der „ethnischen Herkunft“ erfolgt.

90.      Die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Frage, die im Verhältnis zum Urteil CHEZ eine neue ist, besteht darin, ob die Diskriminierung aller anderen Ethnien mit Ausnahme der in der betreffenden Gesellschaft vorherrschenden Ethnie ebenfalls von der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft erfasst wird.

91.      In dieser Hinsicht teile ich den Standpunkt der Kommission, die der Auffassung ist, dass diese Richtlinie nicht nur Situationen erfasse, in denen eine bestimmte ethnische Gruppe weniger günstig behandelt werde, sondern auch Situationen, in denen verschiedene Gruppen benachteiligt würden, wenn das dafür ausschlaggebende Kriterium die „ethnische Herkunft“ dieser Gruppe sei. Eine gegenteilige Auslegung würde die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft unterlaufen.

92.      Wenn die „Ethnie“ als eine Unterteilung in „wir“ und „sie“ verstanden wird und wenn die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft so interpretiert wird, dass sie darauf abzielt, „ihnen“ in „unseren“ Gesellschaften die gleichen Rechte zu gewährleisten, dann muss die Richtlinie, um ihrem Zweck gerecht zu werden, immer dann anwendbar sein, wenn Personen allein aufgrund ihrer wahrgenommenen ethnischen „Andersartigkeit“ weniger günstig behandelt werden.

93.      Der Gerichtshof hat, wenn auch nicht ausdrücklich, bereits anerkannt, dass es sich bei der benachteiligten Gruppe nicht um eine ethnisch homogene Gruppe handeln muss. In der Rechtssache Feryn(50) ergab sich der Rechtsstreit aus der Erklärung eines Arbeitgebers in Belgien, er werde keine „Allochthonen“, im Gegensatz zu „Autochthonen“, einstellen (das niederländische Wort „allochtonen“ wurde in der deutschen Fassung des Urteils des Gerichtshofs mit „Menschen fremder Herkunft“ übersetzt). Eine Nichtregierungsorganisation verklagte den Arbeitgeber und stellte vor dem belgischen Gericht einen Antrag auf Feststellung der Diskriminierung. Die zentrale Rechtsfrage, die der Gerichtshof in dieser Rechtssache zu klären hatte, war, ob in einer Situation, in der es kein Opfer einer derartigen Diskriminierung gibt, dennoch eine Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft vorliegen kann.

94.      Im Urteil Feryn haben weder der Gerichtshof noch eine der Parteien die Frage aufgeworfen, ob die weniger günstig behandelte Gruppe – die „Allochtonen“ – aufgrund der Ethnie als eine Gruppe anzusehen sei. Wie in der vorliegenden Rechtssache handelte es sich auch bei den „Allochtonen“ nicht um eine ethnisch homogene Gruppe. Die Erklärung des Arbeitgebers diskriminierte vielmehr alle „Ausländer“ im Gegensatz zu „Autochthonen“ bzw. einer Gruppe von Menschen, die nicht als fremd galten.

95.      Der Gerichtshof hat demnach stillschweigend angenommen, dass die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft auch dann Anwendung findet, wenn es sich bei der diskriminierten Gruppe nicht um eine ethnisch homogene Gruppe handelt, die weniger günstige Behandlung aber dennoch auf dem Kriterium der „ethnischen Herkunft“ beruht(51).

96.      Meines Erachtens bestätigen daher der Zweck der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Schlussfolgerung, dass die weniger günstig behandelte Gruppe nicht notwendigerweise eine homogene Gruppe sein muss, solange die betreffenden Personen auf der Grundlage von Kriterien, die zur Bestimmung der ethnischen Herkunft verwendet werden, als zu dieser Gruppe gehörig angesehen werden.

3.      Das Kriterium „westliche/nicht-westliche“ in den dänischen Rechtsvorschriften beruht auf dem Kriterium der ethnischen Herkunft

97.      In der vorliegenden Rechtssache werden „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ in eine andere Gruppe eingeordnet als Einwanderer und ihre Nachkommen aus westlichen Ländern, und zwar auf der Grundlage mehrerer Faktoren, die darauf hindeuten, dass es die wahrgenommene ethnische Herkunft ist, die zu einer Unterscheidung führt: Staatsangehörigkeit, Geburtsort und Abstammung.

98.      Eine Person gehört der erstgenannten Gruppe an, wenn ihre Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern nicht die dänische oder die eines westlichen Landes ist, wenn ihr Geburtsort nicht in Dänemark oder in einem der westlichen Länder ist und wenn ihre Abstammung, die durch den Geburtsort ihres Elternteils/ihrer Eltern nachgewiesen wird, nicht dänisch oder von einem der westlichen Länder ist. Wie das dänische Institut für Menschenrechte feststellt, kann es vorkommen, dass in Dänemark geborene Kinder von Einwanderern und ihren Nachkommen aus nicht westlichen Ländern über mehrere Generationen hinweg in der Gruppe der „nicht-westlichen“ Personen verbleiben, wenn keiner der beiden Elternteile dänischer Staatsbürger ist oder in Dänemark geboren wurde, auch wenn diese Kinder selbst die dänische Staatsbürgerschaft erwerben.

99.      Daher ist das Kriterium, auf dessen Grundlage das dänische Recht zwischen „westliche“ und „nicht-westliche“ unterscheidet, das der „ethnischen Herkunft“, so dass die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft anwendbar ist.

100. Es ist meines Erachtens auch von Bedeutung, dass der dänische Gesetzgeber diese Unterteilung offenbar selbst als eine Unterteilung aufgrund der Ethnie verstanden hat. Das vorlegende Gericht hat in seiner Vorlageentscheidung auf die vorbereitenden Unterlagen zu den Änderungen des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen von 2018 verwiesen, die darauf schließen lassen, dass die fraglichen Rechtsvorschriften auf der Prämisse beruhen, dass „nicht-westliche“ eine ethnische Charakterisierung ist(52).

101. Dass die „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht westlichen Ländern“ eigentlich keine homogene ethnische Gruppe darstellen, ist nicht von Bedeutung, wenn das Kriterium dafür, dass sie in diese Gruppe eingeordnet werden, das der ethnischen Herkunft ist.

102. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch mehrere internationale Organisationen wie der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen die Auffassung vertreten, dass die Einführung der Kategorie „nicht-westliche“ Migranten in der dänischen Gesetzgebung eine Diskriminierung u. a. aufgrund der ethnischen Herkunft darstelle(53).

103. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass die Unterscheidung zwischen „westlichen“ und „nicht-westlichen“ Einwanderern und ihren Nachkommen auf der ethnischen Herkunft beruht.

104. Dies führt mich zu der nächsten Frage, nämlich ob das dänische Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen diskriminierend ist und, wenn ja, ob es sich dabei um eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung handelt.

D.      Unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung

105. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Unterscheidung „westliche/nicht westliche“ eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung darstellt.

106. Diskriminierung bedeutet zunächst einmal, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen benachteiligt wird.

107. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine solche Benachteiligung unmittelbar auf der ethnischen Herkunft beruht. Um eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft festzustellen, muss nachgewiesen werden, dass eine Person (oder eine Gruppe von Personen) beruhend auf dem Kriterium der  ethnischen Herkunft eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person (oder Gruppe von Personen)(54).

108. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn die Benachteiligung einer ethnischen Gruppe auf eine dem Anschein nach neutrale Maßnahme zurückzuführen ist(55).

109. Es ist nicht immer einfach oder eindeutig zu erkennen, ob eine Situation eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung darstellt(56).

110. Ist festzustellen, dass eine Regelung oder Praxis zu einer unmittelbaren Diskriminierung führt, so hat dies vor allem zur Folge, dass eine derartige Regelung oder Praxis grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden kann und damit automatisch verboten ist. Eine weniger günstige Behandlung aus einem der Verbotsgründe ist grundsätzlich nur in Situationen möglich, die in Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen sind. Die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft enthält eine solche Möglichkeit nur für den Fall, dass eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar auf der Rasse oder der ethnischen Herkunft beruht, eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt(57). Die Sachlage im vorliegenden Fall ist nicht auf eine derartige Situation zurückzuführen.

111. Ganz im Gegenteil: Es kann eine mittelbare Diskriminierung vorliegen, wenn die dem Anschein nach neutrale Regelung, die eine ethnische Gruppe im Vergleich zu einer anderen besonders benachteiligt, sich tatsächlich als eine neutrale Regelung darstellt. Zu diesem Ergebnis kann man kommen, wenn eine solche Regelung einen legitimen Grund hat, der nichts mit der Ethnie zu tun hat und der in verhältnismäßiger Weise verfolgt wird.

112. In der vorliegenden Rechtssache ist unstrittig, dass die Personen, deren Mietverträge beendet wurden, nicht auf der Grundlage des Kriteriums „westliche/nicht-westliche“ ausgewählt wurden. Vielmehr wurden in den für jedes Umgestaltungsgebiet beschlossenen Entwicklungsplänen eigene Kriterien festgelegt – so wurden beispielsweise die Mieter, deren Mietverträge in Ringparken beendet wurden, auf der Grundlage von Ausschlusskriterien für Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens in Umgestaltungsgebieten ausgewählt, d. h. anhand ihrer strafrechtlichen Verurteilungen in den letzten sechs Monaten oder der Höhe ihres Einkommens.

113. Tatsächlich sind einige der Personen, deren Mietverträge in Mjølnerparken beendet wurden, dänische Staatsbürger, die nicht der Gruppe der „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ im Sinne der dänischen Rechtsvorschriften zugerechnet werden können.

114. Die Tatsache, dass es sich bei den Opfern einer entweder unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung auch um Personen handelt, die keine „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ sind, ändert jedoch nichts an der Möglichkeit, dass eine ethnische Diskriminierung gegeben ist.

115. Der Gerichtshof hat hierzu im Urteil CHEZ nähere Ausführungen gemacht. Eine Person, die Opfer einer Diskriminierung ist und die vor einem Gericht um Rechtsschutz nachsucht, muss nicht zwangsläufig der ethnischen Gruppe angehören, die weniger günstig behandelt wird. Es kann sein, dass diese Person ein indirekter Leidtragender des Rückgriffs auf das Merkmal der ethnischen Herkunft ist, das bei der Entscheidungsfindung oder bei der Gesetzgebung zum Tragen gekommen ist. In der Rechtssache CHEZ war der von der Diskriminierung Betroffene eine Person, die nicht der Ethnie der Roma angehörte, aber in einem Wohngebiet lebte, in dem die Stromzähler deswegen in einer ungewöhnlichen Höhe angebracht worden waren, weil das Gebiet überwiegend von Personen mit Roma-Herkunft bewohnt wurde. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung „nicht für eine bestimmte Kategorie von Personen, sondern nach Maßgabe der in … Art. 1 [der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft] genannten Gründe anwendbar ist, so dass er auch für Personen zu gelten hat, die zwar nicht selbst der betreffenden Rasse oder Ethnie angehören, aber gleichwohl aus einem dieser Gründe weniger günstig behandelt werden oder in besonderer Weise benachteiligt werden“(58).

116. In gleicher Weise können sich auch dänische Staatsangehörige oder Einwanderer und ihre Nachkommen aus westlichen Ländern auf das in der Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft vorgesehene Verbot der ethnischen Diskriminierung berufen, wenn sie aufgrund der Anwendung des ethnischen Kriteriums oder eines dem Anschein nach neutralen Kriteriums benachteiligt wurden, das allerdings überwiegend Personen betrifft, die der Gruppe der „nicht-westlichen“ Personen angehören.

117. Eine weitere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärte Frage von Bedeutung für die vorliegende Rechtssache ist, dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen kann, wenn es kein Opfer der Diskriminierung als solches gibt. Nach dem Urteil Feryn genügt es, dass die Anwendung des ethnischen Kriteriums für manche Personen zu einer weniger günstigen Behandlung führen könnte(59).

118. Das bedeutet, dass eine Diskriminierung auch im Wege von abstrakten Normenkontrollverfahren festgestellt werden kann, wie sie von elf Mietern des Wohngebiets Mjølnerparken eingeleitet wurden.

119. Zu klären bleibt, ob die Benachteiligung, d. h. die Gefahr der einseitigen Beendigung von Mietverträgen, auf der Anwendung des ethnischen Kriteriums „westliche/nicht-westliche“ beruht oder auf einer ethnisch neutralen Regelung, aufgrund deren die Personen, deren Mietverträge beendet wurden, ausgewählt wurden (unter Bezugnahme auf ihre Kriminalität oder Armut). Im ersteren Fall würde es sich bei der in Rede stehenden Diskriminierung um eine unmittelbare Diskriminierung handeln. Im letzteren Fall wäre die Diskriminierung als eine mittelbare Diskriminierung einzustufen, wenn sie mehrheitlich Personen einer ethnischen Gruppe (im vorliegenden Fall „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“) betrifft und nicht gerechtfertigt ist.

120. Meiner Ansicht nach gibt es zwei Gründe für die Annahme, dass die durch die dänischen Rechtsvorschriften geschaffene Situation eine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wie ich nachstehend darlegen werde. Für den Fall, dass der Gerichtshof meine Auffassung jedoch nicht teilt, werde ich eine alternative Lösung vorschlagen, wonach die Situation als mittelbare Diskriminierung anzusehen sein könnte.

1.      Unmittelbare Diskriminierung

121. Für die Feststellung einer unmittelbaren Diskriminierung muss die weniger günstige Behandlung unmittelbar auf der ethnischen Herkunft beruhen.

122. Die weniger günstige Behandlung setzt eine Vergleichsperson voraus – eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt oder erfahren würde.

123. Worin liegt im vorliegenden Fall die weniger günstige Behandlung, und wer ist eine Vergleichsperson?

124. Meiner Ansicht nach gibt es in der vorliegenden Rechtssache auf zwei Ebenen eine Benachteiligung.

125. Der erste und offensichtliche Ausdruck einer Benachteiligung ist die einseitige Beendigung oder die Möglichkeit einer solchen einseitigen Beendigung von Mietverträgen für Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens.

126. Die zweite, weniger sichtbare Erscheinungsform einer Benachteiligung besteht in der Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe.

127. Ich werde beide Erscheinungsformen der unmittelbaren Diskriminierung nacheinander behandeln.

a)      Einseitige Beendigung der Mietverträge

128. Die fraglichen Entwicklungspläne haben dazu geführt oder könnten dazu führen, dass Mietverträge für Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens beendet werden, wodurch die Mieter ihre Wohnungen verlieren.

129. Gemäß Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist das Recht auf Achtung der Wohnung ein im Unionsrecht garantiertes Grundrecht. Der Gerichtshof hat, gestützt auf die Rechtsprechung des EGMR(60), die Bedeutung dieses Grundrechts anerkannt und insbesondere festgestellt, dass der Verlust der Familienwohnung einen erheblichen Eingriff in dieses Recht darstellt, da er die Familie des Betroffenen in eine besonders gefährdete Lage versetzt(61).

130. Im vorliegenden Verfahren ist vorgetragen worden, dass die betreffenden Mieter ihr Zuhause nicht verloren hätten bzw. nicht verlieren würden, da die Wohnungsbaugesellschaft gesetzlich verpflichtet sei, eine andere angemessene Wohnung anzubieten.

131. Es erübrigt sich, auf die Frage einzugehen, inwieweit dieses Recht auf Umsiedlung in der Praxis beachtet wird, was in jedem Fall vom nationalen Gericht festzustellen wäre, es genügt vielmehr, zu sagen, dass die Möglichkeit der Umsiedlung bei der Frage der unterschiedlichen Behandlung keine Rolle spielt.

132. Das heißt: Die maßgeblichen Vergleichspersonen für die Feststellung, ob eine weniger günstige Behandlung im vorliegenden Fall gegeben ist, sind also die Mieter von Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens in anderen gefährdeten sozialen Wohngebieten, wie sie in § 61a Abs. 1 des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen definiert sind. Diese Gebiete sind vergleichbar, da sie ebenso wie die Umgestaltungsgebiete zwei oder mehr der sozioökonomischen Kriterien (in Bezug auf Kriminalität, Arbeitslosigkeit, niedriges Einkommen und mangelnde Bildung) erfüllen. Die Mieter in gefährdeten Gebieten sind jedoch im Gegensatz zu den Bewohnern von Umgestaltungsgebieten nicht dem Risiko ausgesetzt, ihre Wohnung zu verlieren. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gebieten besteht darin, dass die Bevölkerung der gefährdeten Gebiete zu weniger als 50 % aus Einwanderern und ihren Nachkommen aus nicht westlichen Ländern besteht.

133. Daraus folgt: Auch wenn Mietern in Umgestaltungsgebieten eine angemessene Umsiedlung angeboten wird, werden sie dennoch gegenüber Mietern in vergleichbaren Gebieten, deren Bevölkerung mehrheitlich „westliche“ Bewohner sind, weniger günstig behandelt. Erstere laufen Gefahr, dass ihr Mietvertrag beendet wird, während Letztere einem solchen Risiko überhaupt nicht ausgesetzt sind.

134. Die Struktur der dänischen Rechtsvorschriften, die die Wohnungsbaugesellschaften und die lokalen Behörden zum Erlass von Entwicklungsplänen verpflichtet, ihnen aber die Entscheidung über die einzelnen Maßnahmen überlässt, die zu einer Verringerung der Zahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens führen, vermittelt den Eindruck, dass der „Schuldige“ für die Beendigung von Mietverhältnissen der konkrete Entwicklungsplan und nicht das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen ist.

135. Dennoch sind beide meiner Meinung nach nicht voneinander zu trennen. Gäbe es keine Unterscheidung zwischen gefährdeten Gebieten und Parallelgesellschaften auf der Grundlage des ethnischen Kriteriums, wären die Mieter in Parallelgesellschaften – die die Kriterien in den letzten fünf Jahren erfüllt haben – nicht dem Risiko ausgesetzt, ihre Wohnung zu verlieren. Anders ausgedrückt: Wenn auch für gefährdete Gebiete Entwicklungspläne erforderlich wären, bestünde auch keine weniger günstige Behandlung. Es war jedoch gerade das im Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen verwendete ethnische Kriterium, das zu der unterschiedlichen Behandlung geführt hat.

136. Wie der Gerichtshof im Urteil CHEZ festgestellt hat, „[genügt] es für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der [Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft] …, dass diese ethnische Herkunft [der Roma] für die Entscheidung, die genannte Behandlung einzuführen, auschlaggebend war“(62).

137. In der vorliegenden Rechtssache ist die Tatsache der nicht westlichen ethnischen Herkunft der Mieter ausschlaggebend für die Verpflichtung zum Erlass von Entwicklungsplänen. Mit der Verpflichtung zum Erlass eines solchen Plans wird das Risiko des Verlusts der Wohnung geschaffen, und dies ist es, wodurch die Mieter in den Umgestaltungsgebieten weniger günstig gestellt sind als die Mieter in den gefährdeten Gebieten.

138. Noch deutlicher als in der Rechtssache CHEZ, in der sich das bulgarische Unternehmen nicht ausdrücklich auf ein ethnisches Kriterium berief, stützen sich die betreffenden dänischen Rechtsvorschriften ausdrücklich auf die ethnische Unterscheidung zwischen westlichen und nicht westlichen Bewohnern.

139. Die Ungleichbehandlung besteht also wegen des ethnischen Kriteriums, was ein eindeutiger Fall von unmittelbarer Diskriminierung ist.

140. Zur Feststellung einer unmittelbaren Diskriminierung ist es meines Erachtens auch nicht erforderlich, dem dänischen Gesetzgeber eine Diskriminierungsabsicht zu unterstellen(63). Es genügt, dass die weniger günstige Behandlung auf ein ethnisches Kriterium zurückzuführen ist.

141. Diese Auffassung wird ebenfalls durch die Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil CHEZ gestützt, wonach „eine Maßnahme, die zu einer Ungleichbehandlung führt, eine ‚unmittelbare Diskriminierung‘ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der [Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft] darstellt, wenn sie aus Gründen eingeführt wurde, die mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft zusammenhängen“(64).

142. Nach den Angaben der dänischen Regierung ist das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen eine Initiative, um eine bessere Integration von Einwanderern und ihren Nachkommen aus nicht westlichen Ländern in die dänische Gesellschaft zu ermöglichen und zu fördern. Gegen diese Absicht ist nichts einzuwenden.

143. Man kann auch nichts dagegen einwenden, wenn die Feststellung wissenschaftlich belegt ist, dass Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht westlichen Ländern größere Schwierigkeiten haben, sich in die dänische Gesellschaft zu integrieren als Einwanderer und ihre Nachkommen aus westlichen Ländern(65). In dieser Hinsicht kann man der Kommission nur zustimmen, dass es in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft keine Tabuthemen geben darf. Die Anerkennung der Existenz einer strukturellen Benachteiligung einer ethnischen Gruppe innerhalb einer bestimmten Gesellschaft ist in der Tat ein notwendiger Schritt zur Erreichung echter Gleichheit(66).

144. Nach meinem Verständnis zielt das Gleichstellungsrecht der Union darauf ab, wirkliche – und nicht nur formale – Gleichheit herzustellen(67). Deshalb besagt die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft beispielsweise, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur bedeutet, dass es keine unmittelbare Diskriminierung, sondern auch keine mittelbare Diskriminierung geben darf. Strukturelle Diskriminierung ist eine Form der mittelbaren Diskriminierung, die nur schwer zu beseitigen ist.

145. Erkannte strukturelle Ungleichheiten können jedoch nicht dadurch gelöst werden, dass man die ethnische Gruppe diskriminiert, die sich bereits in einer recht schwierigen Lage befindet. Die unionsrechtlichen Vorschriften zur Gleichstellung der Geschlechter, ebenso wie die Richtlinie betreffend Rasse oder ethnische Herkunft, erlauben positive Maßnahmen gegenüber solchen inhärenten Ungleichheiten(68). Die Mitgliedstaaten können also Maßnahmen ergreifen, um Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft auszugleichen. Zwar dürfen solche Maßnahmen der benachteiligten Gruppe zugutekommen, ohne dass gleichzeitig eine andere Gruppe/andere Gruppen davon profitieren, doch dürfen positive Maßnahmen nicht zu einer Diskriminierung der benachteiligten Gruppe führen, selbst wenn angenommen wird, dass dies langfristig für diese Gruppen von Vorteil sein könnte.

146. Es gibt den Spruch: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Die Bemühung um eine Diversifizierung der Wohngebiete ist sicherlich eine gute Absicht. Eine solche Diversifizierung kann jedoch nicht dadurch erreicht werden, dass eine bereits benachteiligte ethnische Gruppe in eine weniger günstige Lage gerät. Im vorliegenden Fall führen die dänischen Rechtsvorschriften jedoch zu einer solchen weniger günstigen Behandlung der benachteiligten Gruppe.

b)      Stigmatisierung

147. Damit komme ich zu dem zweiten Grund, warum das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen als unmittelbar diskriminierend anzusehen ist: die Stigmatisierung(69).

148. Unter Stigmatisierung verstehe ich in dieser Erörterung den Fall, dass Mitgliedern einer ethnischen Gruppe allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit oder wahrgenommenen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sozial vorwerfbare Eigenschaften zugeschrieben werden.

149. Im Urteil CHEZ hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der beleidigende und stigmatisierende Charakter der in dieser Rechtssache in Rede stehenden Praxis, bei der davon ausgegangen wurde, dass alle Mitglieder einer ethnischen Gruppe potenzielle Täter illegaler Handlungen seien, ein Grund für die Feststellung einer weniger günstigen Behandlung darstellt(70).

150. Ebenso können Rechtsvorschriften als diskriminierend aufgrund der ethnischen Herkunft angesehen werden, wenn sie auf verallgemeinernden Klischees und Vorurteilen über eine ethnische Gruppe beruhen(71).

151. Hierzu führt die Vorlageentscheidung einige Aussagen aus den Vorarbeiten zum Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen an(72). In dem Vorschlag für eine Legaldefinition von Ghettos aus dem Jahr 2010 hieß es, dass drei Kriterien zur Definition eines Ghettos herangezogen werden sollten: der Anteil der Einwanderer und ihrer Nachkommen aus nicht westlichen Ländern, Arbeitslosigkeit und strafrechtliche Verurteilungen. Es wurde weiter ausgeführt, dass jedes dieser drei Kriterien, und damit das Kriterium „nicht-westliche“ als solches zeige, dass es dort ein soziales Problem gebe. Im Strategiepapier der dänischen Regierung (oben in Nr. 25 angeführt) wurde angemerkt, dass sich unter den nicht westlichen Bewohnern Parallelgesellschaften, d. h. Enklaven von Personen, die nicht aktiv an der dänischen Gesellschaft teilnehmen, gebildet hätten. Diesem Papier zufolge brachten sich diese Personen nicht in die dänische Gesellschaft und den Arbeitsmarkt ein und versuchten auch nicht, sich aktiv einzubringen; sie hielten sich nicht an die dänischen Werte, z. B. würden Frauen gegenüber Männern als minderwertig angesehen, und die soziale Kontrolle sowie die fehlende Gleichberechtigung setzten der individuellen Meinungsfreiheit enge Grenzen(73). Es gehe also um die „Negativspirale der Gegenkultur“, wie es in dem Strategiepapier heißt.

152. Durch die Verallgemeinerung der in Dänemark als negativ und inakzeptabel empfundenen Eigenschaften auf alle Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht westlichen Ländern beruht das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen nicht nur auf Vorurteilen, sondern trägt auch zur Aufrechterhaltung dieser Stereotypenbildung und Stigmatisierung bei.

153. Auch scheint es keine Beweise für die Existenz von Parallelgesellschaften oder für ihre Entstehung ausschließlich unter nicht westlichen Einwanderern zu geben(74). Dies zu prüfen, ist allerdings Sache des nationalen Gerichts. Jedoch hat die dänische Regierung in der mündlichen Verhandlung, als sie gebeten wurde, die Kriterien zu beschreiben, aufgrund deren festgestellt wird, dass eine Person nicht in die dänische Gesellschaft integriert ist, die sozioökonomischen Kriterien, die die gefährdeten Gesellschaften definieren, sowie die mangelnde Kenntnis der dänischen Sprache angeführt. Diese Kriterien allein bedeuten noch nicht, dass sich Personen in einer solchen Lage nicht in die dänische Gesellschaft integrieren „wollen“ oder dass nur „nicht-westliche Einwanderer und ihre Nachkommen“ solche Integrationsprobleme haben.

154. Auch internationale Organisationen haben auf das stigmatisierende Potenzial des dänischen Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen hingewiesen. So hat der VN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung seine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Begriffe „westliche“ und „nicht-westliche“, wie sie in diesen Rechtsvorschriften und in der dänischen Politik verwendet würden, zu einer Marginalisierung und Stigmatisierung der als „nicht-westlich“ eingestuften Personen führen und eine Unterscheidung zwischen denjenigen, die als „echte Dänen“ gelten, und den „anderen“ schaffen könnten(75). Bei der Bewertung des „Plans für eine parallele Gesellschaft“ kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Hinzufügung eines diskriminierenden ethnischen und rassischen Elements in den Gesetzen zu einer Stigmatisierung in verschiedenen Lebensbereichen wie Beschäftigung, Wohnen und Zugang zu Dienstleistungen führen könne(76).

155. In ähnlicher Weise stellte der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fest, dass das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen „nicht nur zu einer Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und der Staatsangehörigkeit führt, sondern auch zu einer weiteren Ausgrenzung der Bewohner [aus nicht westlichen Ländern]“(77).

156. Die dänischen Rechtsvorschriften, die erlassen wurden, um Einwanderern und ihren Nachkommen aus nicht westlichen Ländern die Integration in die dänische Gesellschaft zu erleichtern, scheint also paradoxerweise das Gegenteil zu bewirken. Indem sie die Stigmatisierung aus ethnischen Gründen aufrechterhält, erschwert sie es den Mitgliedern der Gruppe der „nicht-westlichen Einwanderer und ihren Nachkommen“, einen Arbeitsplatz zu finden, sich Anerkennung zu verschaffen und sich gleichberechtigt in die dänische Gesellschaft einzubringen.

157. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die dänischen Rechtsvorschriften, d. h. das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen und die Entwicklungspläne, die auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassen werden müssen, eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund eines ethnischen Kriteriums („nicht-westliche“) beinhalten. Erstens bringt diese Regelung alle Personen, auf die ein solches Kriterium zutrifft, in eine schwierige Lage in Bezug auf die Sicherheit ihres Rechts auf eine Wohnung, was dazu führt, dass sie im Vergleich zu den Mietern in anderen vergleichbaren Wohngebieten weniger günstig behandelt werden. Zweitens stigmatisiert es die ethnische Gruppe, deren strukturelle Benachteiligung bei der Integration in die dänische Gesellschaft erkannt wurde, und schmälert damit ihre Chancen, sich in diese Gesellschaft zu integrieren anstatt sie zu verbessern.

158. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass die auf der Grundlage des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen eingeführte dänische Regelung eine unmittelbare Diskriminierung darstellt.

2.      Alternative Lösung: mittelbare Diskriminierung

159. Die Kommission ist der Auffassung, dass die Sachverhalte, aus denen sich die beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssachen ergeben, als mittelbare Diskriminierung einzuordnen seien.

160. Der Grund dafür sei, dass die Mieter, deren Mietverträge beendet wurden, nicht nach einem ethnischen Kriterium ausgewählt worden seien. Die Kriterien im Wohngebiet Ringparken seien die Höhe des Einkommens und die strafrechtliche Verurteilung der Mieter oder ihrer Partner in den letzten sechs Monaten gewesen. Im Gebiet Mjølnerparken seien zwei ganze Wohnblöcke verkauft worden, so dass alle Mietverträge hätten beendet werden müssen. Unter diesen Personen seien aber viele in Dänemark geborene dänische Staatsbürger, die nicht zu der Gruppe der „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ gehörten.

161. Sollte der Gerichtshof die Rechtssache in dieser Weise beurteilen, sollte meines Erachtens die Wirkung des Gesetzes über das öffentliche Wohnungswesen auf die Beendigung der Mietverträge zumindest als mittelbare Diskriminierung gewertet werden.

162. Nach diesem Gesetz dürfen Entwicklungspläne, die in einigen Fällen zur einseitigen Beendigung von Mietverträgen geführt haben, nur in Gebieten aufgestellt werden, in denen mehr als 50 % der Bewohner „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ sind. Eine einfache mathematische Rechnung ergibt bei dieser Sachlage, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Mietvertrag einer „nicht-westlichen“ Person beendet wird, größer ist als die Wahrscheinlichkeit der Beendigung des Mietvertrags einer „westlichen“ Person, da von vornherein bekannt ist, dass das betreffende Wohnviertel von mehr „nicht-westlichen“ Personen als „westlichen“ Personen bewohnt wird.

163. Daher sind, wie von der Kommission dargelegt, die Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht westlichen Ländern einem höheren Risiko der Beendigung ihrer Mietverträge ausgesetzt.

164. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn statistisch gesehen eine ethnische Gruppe von einer neutralen Regelung stärker betroffen ist als andere Gruppen.

165. Allerdings kann eine solche besondere Benachteiligung einer ethnischen Gruppe gerechtfertigt sein, wenn eine neutrale Regelung ein legitimes Ziel hat, das sie auf verhältnismäßige Weise verfolgt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, diese Beurteilung vorzunehmen.

166. Insoweit wird argumentiert, dass die Maßnahmen in den Wohngebieten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung „nicht-westlich“ sei, ergriffen würden, um deren bessere Integration in die dänische Gesellschaft zu ermöglichen(78). Die Veränderung der Struktur des Wohngebiets wird als Beitrag zur Förderung dieser Integration aufgefasst.

167. Um zu beurteilen, ob die mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt ist, muss das nationale Gericht zunächst feststellen, was der dänische Gesetzgeber unter einer erfolgreichen Integration in die dänische Gesellschaft versteht. In der mündlichen Verhandlung hat die dänische Regierung erläutert, dass hierzu die Teilnahme am Arbeitsleben, das Fehlen strafrechtlicher Verurteilungen und die Kenntnis der dänischen Sprache erforderlich seien.

168. Ein Verständnis dessen, was erfolgreiche Integration bedeutet, ist notwendig, damit das nationale Gericht zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit übergehen kann. Dabei muss das nationale Gericht zunächst prüfen, ob die Verringerung der Zahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens durch die Beendigung eines Mietvertrags in bestimmten Wohngebieten zur Integration beitragen kann (bessere Beschäftigung, Alphabetisierung in Dänisch, Rückgang der Kriminalität usw.). Es wird auch die Kohärenz dieser Maßnahme zu bewerten haben sowie die Frage, ob es einen Grund dafür gibt, Maßnahmen nur für die Integration von Einwanderern und ihre Nachkommen aus nicht westlichen Ländern zu treffen. Wenn eine solche politische Entscheidung auf vorherrschenden gesellschaftlichen Vorurteilen beruht und nicht auf wissenschaftlichen Nachweisen, dass sich diese Einwanderer schwerer integrieren, ist das politische Ziel möglicherweise in Frage zu stellen(79).

169. Im nächsten Schritt der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das nationale Gericht zu fragen, ob die Verringerung der Zahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens notwendig war, um die Integration zu erreichen. Dies wäre dann der Fall, wenn das gleiche Ziel nicht durch Maßnahmen hätte erreicht werden können, die das Recht der betroffenen Mieter auf Wohnung weniger einschränken. In diesem Zusammenhang wird das nationale Gericht möglicherweise näher auf die Argumente der dänischen Regierung eingehen müssen, dass sie bereits andere Maßnahmen erprobt habe, diese aber nicht erfolgreich gewesen seien. Selbst wenn die Verringerung der Zahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens eine geeignete und erforderliche Maßnahme zur Erreichung der vom Gesetzgeber festgelegten Integrationsziele ist, muss das nationale Gericht im letzten Schritt der Verhältnismäßigkeitsprüfung den Wert eines solchen Ziels gegen die Intensität des Eingriffs in das Recht auf Wohnung abwägen. Wird festgestellt, dass dieses Recht übermäßig beeinträchtigt wurde, könnte das Gericht die Maßnahme für unverhältnismäßig halten, was den Gesetzgeber dann veranlassen könnte, das legitime Ziel der Integration neu zu bestimmen.

170. Aus den Gründen, die ich in den Nrn. 130 bis 153 und 156 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, bin ich skeptisch, dass die dänischen Rechtsvorschriften über das öffentliche Wohnungswesen mit dem Ziel gerechtfertigt werden können, die Integration der „Einwanderer und ihrer Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ zu ermöglichen. Wie bereits ausgeführt, halte ich es auf jeden Fall nicht für überzeugend, dass die im Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen für die Beendigung von Mietverhältnissen vorgegebene Einteilung in „westliche/nicht-westliche“ Personen als neutrale Regel angesehen werden kann.

171. Ich schlage daher vor, dass der Gerichtshof feststellt, dass es sich bei einer Situation, wie sie durch das Gesetz über das öffentliche Wohnungswesen in Dänemark geschaffen wird, um eine unmittelbare und nicht um eine mittelbare Diskriminierung handelt.

IV.    Ergebnis

172. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Der Begriff „ethnische Herkunft“ in den Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft

ist dahin auszulegen, dass er eine Personengruppe umfasst, die als „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ definiert ist.

2.      Die Regelung, die Begriffe wie „Einwanderer und ihre Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern“ für die Kategorisierung eines Wohngebiets verwendet, in dem die Anzahl der Wohnungen des öffentlichen Wohnungswesens verringert werden soll,

ist als unmittelbar diskriminierend im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/43 zu verstehen.

















































































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