Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
3. April 2025(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 9 Abs. 1 – Begriffe ‚Steuerpflichtiger‘ und ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ – Verkauf einer landwirtschaftlichen Fläche zur Wohnbebauung – Verkaufsvorbereitung durch einen Geschäftsbesorger, der als gewerblicher Unternehmer handelt – Gesetzliche Gütergemeinschaft zwischen Ehegatten, die Eigentümer sind “
In der Rechtssache C‑213/24 [Grzera](i )
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław [Breslau], Polen) mit Entscheidung vom 28. Dezember 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 2024, in dem Verfahren
E. T.
gegen
Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin, der Richterin I. Ziemele und des Richters S. Gervasoni (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von E. T., vertreten durch T. Michalik, Doradca podatkowy,
– des Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu, vertreten durch M. Kowalewska und T. Wojciechowski,
– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Březinová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch Ł. Habiak und M. Herold als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen E. T., einer natürlichen Person, und dem Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu (Direktor der Finanzkammer Wrocław [Breslau], Polen, im Folgenden: Steuerverwaltung) über die Mehrwertsteuerpflicht dieser Person für den Verkauf mehrerer Flurstücke.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt, der Mehrwertsteuer.
4 Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Polnisches Recht
Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen
5 Art. 15 der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. 2017, Pos. 1221) bestimmt in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:
„1. Steuerpflichtig sind juristische Personen, Organisationseinheiten ohne Rechtspersönlichkeit und natürliche Personen, die eine in Abs. 2 genannte wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Zweck oder Ergebnis selbständig ausüben.
2. Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Familien- und Pflegschaftsgesetzbuch
6 Art. 31 § 1 der Ustawa – Kodeks rodzinny i opiekuńczy (Familien- und Pflegschaftsgesetzbuch) vom 25. Februar 1964 (Dz. U. 2017, Pos. 682) lautet in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:
„Mit der Eheschließung entsteht kraft Gesetzes eine Gütergemeinschaft zwischen den Ehegatten (gesetzliche Gütergemeinschaft), von der die Vermögensgegenstände umfasst sind, die beide Ehegatten oder einer von ihnen während der Ehe erwirbt (Gesamtgut). Vermögensgegenstände, die nicht von der gesetzlichen Gütergemeinschaft umfasst sind, gehören zum persönlichen Vermögen jedes der Ehegatten.“
7 In Art. 35 dieses Gesetzbuchs heißt es:
„Solange die gesetzliche Gütergemeinschaft andauert, kann keiner der Ehegatten die Teilung des Gesamtguts fordern. Er kann auch nicht über den Anteil verfügen oder sich zur Verfügung darüber verpflichten, der ihm im Fall der Auflösung der Gemeinschaft aus dem Gesamtgut oder einzelnen zum Gesamtgut gehörenden Gegenständen zufallen wird.“
8 Art. 37 § 1 des Familien- und Pflegschaftsgesetzbuchs sieht vor:
„§ 1. Der Zustimmung des anderen Ehegatten bedarf es zur Vornahme:
1) eines Rechtsgeschäfts, das zur Veräußerung, zur Belastung, zum entgeltlichen Erwerb einer Immobilie oder zu einem dauerhaften Nutzungsrecht sowie zur Übergabe einer Immobilie zur Nutzung oder zur Ziehung von Früchten führt“.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Im Jahr 1989 wurden E. T. und ihr Ehemann W. T. im Rahmen eines Vertrags über die unentgeltliche Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebs auf einen Nachfolger durch die Eltern von E. T. Eigentümer mehrerer landwirtschaftlicher Flurstücke. Diese fielen in die gesetzliche Gütergemeinschaft der Ehegatten T.
10 Im Jahr 2011 beschloss das Paar, diese Flurstücke zu verkaufen und schloss zu diesem Zweck einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Gesellschaft B. A. Z. (im Folgenden: Geschäftsbesorger). Der Geschäftsbesorger hatte u. a. die Aufgabe, die Aufteilung der Flächen in kleinere Flurstücke zu organisieren und die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Eintragungen im Grundbuch und im Kataster entsprechend zu ändern, die Bezeichnung der Flurstücke im örtlichen Bauleitplan (von landwirtschaftlichen Flächen zu Bauland) zu ändern, die Flächen durch Versorgungsleitungen zu erschließen, die Flurstücke bei potenziellen Erwerbern zu bewerben und die erforderlichen Unterlagen für den Abschluss der notariellen Verträge für den Verkauf an die Erwerber der Flurstücke vorzubereiten. Die Ehegatten bevollmächtigten den Geschäftsbesorger, in ihrem Namen bei den verschiedenen zuständigen polnischen Behörden zu handeln. Die Vergütung des Geschäftsbesorgers entsprach der Differenz zwischen den im Geschäftsbesorgungsvertrag vereinbarten Verkaufspreisen und den tatsächlichen Verkaufspreisen.
11 Die Flurstücke wurden zwischen 2017 und 2021 verkauft.
12 Nach Ansicht der Steuerverwaltung stellen diese Verkäufe eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, die der Mehrwertsteuer zu unterwerfen sei, da die in Rede stehenden Flurstücke, bei denen es sich um landwirtschaftliche Flächen handele, vor ihrem Verkauf in Bauland umgewandelt worden seien und ein zusätzliches Flurstück erworben worden sei, um Binnen- und Zufahrtsstraßen zu den verschiedenen geschaffenen Flurstücken zu schaffen. Daher unterwarf sie E. T. mit Bescheiden vom 28. Juli und 19. September 2022 der Mehrwertsteuer auf diese Verkäufe und erließ in Bezug auf W. T. einen entsprechenden Bescheid.
13 E. T. und W. T. sind der Ansicht, dass die Verkäufe unter die bloße Verwaltung von Privatvermögen fielen, so dass sie nicht der Mehrwertsteuer unterlägen. Deshalb erhob E. T. gegen den sie betreffenden Bescheid der Steuerverwaltung Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław, Polen), dem vorlegenden Gericht.
14 In seinem Vorabentscheidungsersuchen weist der Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław) darauf hin, dass Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie in einem Fall bestünden, in dem die fraglichen Flächen, wie in der bei ihm anhängigen Rechtssache, vor ihrem Verkauf nicht für eine wirtschaftliche Tätigkeit genutzt worden seien und das wirtschaftliche Risiko, das für eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit kennzeichnend sei, aufgrund des von E. T. und W. T. geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags im Wesentlichen von dem Geschäftsbesorger übernommen werde, mit dem sie den Vertrag geschlossen hätten. Er stellt außerdem die Praxis der Steuerverwaltung in Frage, wonach jeder Ehegatte gesondert als mehrwertsteuerpflichtig eingestuft werde, indem ihm die Hälfte der Verkaufserlöse zugewiesen werde, obwohl nach nationalem Recht eine gesetzliche Gütergemeinschaft zwischen den Ehegatten bestehe, solange die Ehe andauere, und diese im Hinblick auf Maßnahmen betreffend die zu dieser Gemeinschaft gehörenden Güter gemeinsam handelten.
15 Vor diesem Hintergrund hat der Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie, dahin auszulegen, dass eine Person, die eine Immobilie verkauft, die zuvor nicht für eine wirtschaftliche Tätigkeit genutzt wurde, und mit der Vorbereitung des Verkaufs einen gewerblichen Unternehmer beauftragt, der anschließend als Bevollmächtigter dieser Person eine Reihe organisierter Maßnahmen ergreift, um die Immobilie aufzuteilen und für einen höheren Preis zu verkaufen, eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt?
2. Sind die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie, dahin auszulegen, dass jeder der gemeinsam handelnden Ehegatten gesondert als eine Person anzusehen ist, die eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
16 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass als Steuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, eine Person angesehen werden kann, die eine ursprünglich zu ihrem Privatvermögen gehörende Fläche veräußert und dazu einen gewerblichen Unternehmer mit der Vorbereitung des Verkaufs beauftragt, der als Bevollmächtigter dieser Person eine Reihe von Maßnahmen im Hinblick auf diesen Verkauf ergreift.
17 Das vorlegende Gericht verweist in seiner Frage auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Da der Begriff der Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie im Ausgangsrechtsstreit nicht streitig ist und nur Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Begriffe des Steuerpflichtigen und der wirtschaftlichen Tätigkeit definiert, zu denen das vorlegende Gericht den Gerichtshof befragt, ist davon auszugehen, dass die erste Frage nur die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie betrifft.
18 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie den Anwendungsbereich für die Mehrwertsteuer sehr weit fasst, indem sie dem Begriff „Steuerpflichtiger“ eine weite Definition mit dem Schwerpunkt auf der Selbständigkeit der Ausübung einer „wirtschaftliche[n] Tätigkeit“ verleiht, die ihrerseits in dem Sinne weit definiert ist, dass sie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden und insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2000, Kommission/Griechenland, C‑260/98, EU:C:2000:429, Rn. 24 bis 26, und vom 12. Oktober 2016, Nigl u. a., C‑340/15, EU:C:2016:764, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Gerade das Vorliegen einer solchen Tätigkeit rechtfertigt die Einstufung als Steuerpflichtiger (Urteil vom 15. September 2011, Słaby u. a., C‑180/10 und C‑181/10, EU:C:2011:589, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
19 In Bezug auf den Verkauf eines Baugrundstücks hat der Gerichtshof klargestellt, dass ein maßgebliches Beurteilungskriterium darin besteht, dass der Betroffene aktive Schritte zur Vermarktung von Grund und Boden unternommen und sich dabei ähnlicher Mittel bedient hat wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender, wie etwa die Erschließung oder die Durchführung bewährter Vermarktungsmaßnahmen. Derartige Initiativen erfolgen nämlich normalerweise nicht im Rahmen der Verwaltung von Privatvermögen, so dass die daraus resultierenden Umsätze nicht als bloße Ausübung des Eigentumsrechts angesehen werden können. Solche Initiativen erfolgen vielmehr im Rahmen einer Tätigkeit, die zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausgeübt wird, und können somit als wirtschaftlich eingestuft werden (Urteile vom 15. September 2011, Słaby u. a., C‑180/10 und C‑181/10, EU:C:2011:589, Rn. 39 bis 41 und 46, vom 9. Juli 2015, Trgovina Prizma, C‑331/14, EU:C:2015:456, Rn. 24, sowie vom 20. Januar 2021, AJFP Sibiu und DGRFP Braşov, C‑655/19, EU:C:2021:40, Rn. 31).
20 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass im vorliegenden Fall folgende Handlungen vorgenommen wurden, die als aktive Schritte zur Vermarktung unter Verwendung von Mitteln, die denen von Immobilienfachleuten ähnlich sind, eingestuft werden können:
– Aufteilung der Flächen in kleinere Flurstücke und Vornahme der erforderlichen Schritte zur Änderung der Eintragungen im Grundbuch und im Kataster;
– Änderung der Bezeichnung der Flurstücke im örtlichen Bauleitplan (von landwirtschaftlichen Flächen zu Bauland);
– Erwerb eines zusätzlichen Flurstücks zum Zweck der Errichtung von Binnen- und Zugangsstraßen zu den einzelnen Flurstücken;
– Erschließung der Flächen durch Versorgungsleitungen;
– Entfernung von Elementen, die mit der geplanten Nutzung der Flurstücke nicht vereinbar sind;
– Einholung der erforderlichen Genehmigungen bei den zuständigen Behörden;
– Bewerbung der Flurstücke bei potenziellen Erwerbern;
– Vorbereitung der für den Abschluss der notariellen Kaufverträge erforderlichen Unterlagen.
21 Im Übrigen geht aus der Rechtsprechung auch hervor, dass die Tatsache, dass der betreffende körperliche Gegenstand ursprünglich für den persönlichen Bedarf des Käufers erworben wurde, nicht ausschließt, dass dieser Gegenstand im Anschluss zur Ausübung einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie genutzt wird (Urteil vom 19. Juli 2012, Rēdlihs, C‑263/11, EU:C:2012:497, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt, dass der vom vorlegenden Gericht hervorgehobene Umstand, dass die in Rede stehende Fläche nicht zur Ausübung einer landwirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit erworben worden sei, es nicht ausschließt, den Verkauf dieser Fläche als Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit einzustufen.
22 Im Ausgangsverfahren wurden, wie im Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt wird, die in Rn. 20 des vorliegenden Urteils genannten aktiven Schritte zur Vermarktung mehrheitlich nicht vom Eigentümer der zu verkaufenden Fläche, sondern von einem hierzu bevollmächtigten Fachmann vorgenommen. Das vorlegende Gericht wirft insoweit die Frage auf, ob dieser Geschäftsbesorgungsvertrag nicht das wirtschaftliche Risiko der Veräußerin minimiert und somit ausschließt, dass sie als Person angesehen werden kann, die eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausgeübt hat.
23 Zur Beurteilung der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist zu prüfen, ob der Betroffene seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt, und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt (Urteil vom 12. Oktober 2016, Nigl u. a., C‑340/15, EU:C:2016:764, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Aus dem im Ausgangsverfahren geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrag, wie er vom vorlegenden Gericht beschrieben wird, geht hervor, dass sich die Tätigkeit des Geschäftsbesorgers darauf beschränkt, die in Rn. 20 des vorliegenden Urteils aufgeführten Aufgaben im Namen und für Rechnung seiner Auftraggeber wahrzunehmen, die Eigentümer und Verkäufer der betreffenden Fläche in allen darauf bezogenen Verkaufshandlungen bleiben.
25 Wie sich ebenfalls aus diesem Vertrag ergibt, hängt die Vergütung der Tätigkeiten des Geschäftsbesorgers, auch zur Deckung der Kosten, die gegenüber Dritten für die Wahrnehmung der für die Durchführung dieser Tätigkeiten erforderlichen Aufgaben anfallen, zwar von dem für den Verkauf erzielten Preis ab, den er allein aushandelt. Ihre Höhe wurde nämlich als die Differenz zwischen dem tatsächlichen Verkaufspreis jedes Flurstücks und dem in diesem Vertrag festgelegten Preis festgesetzt. Daraus folgt, dass der Geschäftsbesorger das wirtschaftliche Risiko trägt, das mit der Beauftragung und der darin vorgesehenen Vornahme der Schritte zur Vermarktung der Flurstücke verbunden ist. Damit verringert diese Art der Vergütung, wie das vorlegende Gericht ausführt, das wirtschaftliche Risiko für die Auftraggeber. Das endgültige wirtschaftliche Risiko, das sich darin verwirklichen würde, dass es wegen der Nichterfüllung des Geschäftsbesorgungsvertrags oder dem Fehlen eines zum Kauf der Flurstücke bereiten Käufers nicht zum Verkauf käme, tragen jedoch nur die Auftraggeber, es sei denn, dieser Vertrag enthält gegenteilige Bestimmungen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
26 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass als Mehrwertsteuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, eine Person angesehen werden kann, die eine ursprünglich zu ihrem Privatvermögen gehörende Fläche veräußert und dazu einen gewerblichen Unternehmer mit der Vorbereitung des Verkaufs beauftragt, der als Bevollmächtigter dieser Person aktive Schritte zur Vermarktung von Grund und Boden vornimmt und sich für diesen Verkauf ähnlicher Mittel bedient wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender im Sinne dieser Bestimmung.
Zur zweiten Frage
27 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts, das als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft wird, jeder der Ehegatten, die gemeinschaftliche Eigentümer sind, gesondert, oder die von ihnen gebildete gesetzliche Gemeinschaft als Steuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, anzusehen ist.
28 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie verwendeten Begriffe, insbesondere der Begriff „wer“, dem Begriff „Steuerpflichtiger“ eine weite Definition mit dem Schwerpunkt auf der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dem Sinne verleihen, dass alle natürlichen oder juristischen Personen, sowohl öffentliche als auch private, sowie Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit, die objektiv die Kriterien dieser Bestimmung erfüllen, als Mehrwertsteuerpflichtige gelten (Urteil vom 16. September 2020, Valstybinė mokesčių inspekcija [Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit], C‑312/19, EU:C:2020:711, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Um zu bestimmen, wer unter Umständen, wie sie dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, als „Steuerpflichtiger“ anzusehen ist, ist zu ermitteln, wer die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausgeübt hat. Das Kriterium der Selbständigkeit betrifft nämlich die Frage der Zuordnung des betreffenden Umsatzes zu einer konkreten Person oder Einrichtung, wobei darüber hinaus gewährleistet wird, dass diese Person oder Einrichtung ihr eventuell bestehendes Recht auf Vorsteuerabzug rechtssicher ausüben kann. Zu diesem Zweck ist, wie bereits in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zu prüfen, ob die betreffende Person oder Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit im eigenen Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt, und ob sie das mit der Ausübung dieser Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt (Urteil vom 16. September 2020, Valstybinė mokesčių inspekcija [Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit], C‑312/19, EU:C:2020:711, Rn. 40 und 41 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass bei der Bestimmung, wer im Ausgangsverfahren Steuerpflichtiger sei – d. h. jeder der Ehegatten oder die von ihnen gebildete gesetzliche Gemeinschaft, der die Flächen gehören – die Vorschriften des Familien- und Pflegschaftsgesetzbuchs zu berücksichtigen seien.
31 Zwar muss nach ständiger Rechtsprechung die Eigenschaft als Steuerpflichtiger angesichts des Zwecks der Mehrwertsteuerrichtlinie, die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer einheitlich und nach Unionsvorschriften zu bestimmen, in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und ausschließlich anhand der Kriterien von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie beurteilt werden (Urteil vom 17. September 2014, Skandia America Corp. [USA], filial Sverige, C‑7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 23; vgl. entsprechend Urteil vom 8. Juni 2000, Breitsohl, C‑400/98, EU:C:2000:304, Rn. 48).
32 Gleichwohl kann die Berücksichtigung der Vorschriften des nationalen Rechts für die Feststellung von Nutzen sein, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die in den Rn. 23 und 29 des vorliegenden Urteils angeführten Kriterien für die Annahme der selbständigen Ausübung einer wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2023, Administration de l’enregistrement, des domaines et de la TVA [Mehrwertsteuer – Mitglied eines Verwaltungsrats], C‑288/22, EU:C:2023:1024, Rn. 55).
33 Zwar ist es letztlich Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des nationalen Rechts allein zuständigen nationalen Gerichts, zu bestimmen, ob E. T. und W. T. die in Rede stehenden Verkäufe jeweils selbständig durchgeführt haben; gleichwohl ist der Gerichtshof, der dem vorlegenden Gericht in sachdienlicher Weise zu antworten hat, dafür zuständig, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen Erklärungen Hinweise zu geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung in dem konkreten bei ihm anhängigen Rechtsstreit ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, WEG Tevesstraße, C‑449/19, EU:C:2020:1038, Rn. 31).
34 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand allein, dass der in Rede stehende Gegenstand zur gesetzlichen Gemeinschaft gehört und im gemeinschaftlichen Eigentum der Ehegatten steht, der getrennten Steuerpflicht der Ehegatten nicht entgegensteht, wenn einer von ihnen die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit gesondert ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2005, HE, C‑25/03, EU:C:2005:241, Rn. 74) oder wenn jeder von ihnen eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2022, Dyrektor Izby Skarbowej w L. [Verlust des Status eines Pauschallandwirts], C‑697/20, EU:C:2022:210, Rn. 24 und 25).
35 Sodann scheinen die vom vorlegenden Gericht angeführten Vorschriften des Familien- und Pflegschaftsgesetzbuchs, die das Gesamtgut definieren und dessen Regelung festlegen, als solche nicht den Schluss zuzulassen, dass die gesetzliche Eigentümergemeinschaft beim Verkauf eines Gegenstands, das zum Gesamtgut gehört, im eigenen Namen, für eigene Rechnung und unter Tragung des wirtschaftlichen Risikos handelt.
36 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass nach der nationalen Praxis eine Personengesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit als selbständiger Steuerpflichtiger behandelt werden kann, indem sie getrennt von ihren Gesellschaftern als mehrwertsteuerpflichtig angesehen wird.
37 Im Übrigen scheinen die beiden Ehegatten, da der Verkauf eines gemeinsamen Vermögensgegenstands nach den vom vorlegenden Gericht und von E. T. dargestellten Vorschriften des polnischen Rechts die Zustimmung beider Ehegatten erfordert und weder der eine noch der andere Ehegatte befugt ist, für die Gemeinschaft zu handeln, bei den in Rede stehenden Verkäufen gemeinsam gehandelt zu haben und somit – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – gegenüber Dritten (Käufern und Behörden) und nach außen nicht als selbständig handelnd aufgetreten zu sein, was einen relevanten Faktor für die Bestimmung des Steuerpflichtigen darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 2016, Nigl u. a., C‑340/15, EU:C:2016:764, Rn. 30 und 34, sowie vom 16. September 2020, Valstybinė mokesčių inspekcija [Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit], C‑312/19, EU:C:2020:711, Rn. 43 bis 46).
38 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen – auch wenn dies nicht entscheidend ist, da es sich um Nebenhandlungen zu der wirtschaftlichen Tätigkeit handelt, die die Steuerpflicht begründet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 2016, Nigl u. a., C‑340/15, EU:C:2016:764, Rn. 31 und 32, sowie vom 16. September 2020, Valstybinė mokesčių inspekcija [Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit], C‑312/19, EU:C:2020:711, Rn. 46) – dass, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, auch beide Ehegatten gemeinsam den Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Geschäftsbesorger geschlossen und gemeinsam bei den örtlichen Behörden die Einräumung eines Wegerechts für den Zugang zu den in Rede stehenden Flurstücken beantragt haben.
39 Schließlich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob in Anbetracht der Haftungsregelung für Ehegatten im Rahmen ihrer Tätigkeiten die gesetzliche Gemeinschaft und nicht jeder Ehegatte gesondert das mit den in Rede stehenden Verkäufen der Flächen verbundene wirtschaftliche Risiko getragen hat.
40 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts, das als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Richtlinie eingestuft wird, dem nicht entgegensteht, dass die von Ehegatten, die gemeinschaftliche Eigentümer sind, gebildete gesetzliche Gemeinschaft als Steuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, angesehen wird, wenn diese Ehegatten gegenüber Dritten so auftreten, dass sie das eine wirtschaftliche Tätigkeit begründende Geschäft des Verkaufs von zu dieser Gemeinschaft gehörenden Flächen gemeinsam durchgeführt haben, und diese Gemeinschaft das wirtschaftliche Risiko dieser Tätigkeit trägt.
Kosten
41 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
als Mehrwertsteuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, eine Person angesehen werden kann, die eine ursprünglich zu ihrem Privatvermögen gehörende Fläche veräußert und dazu einen gewerblichen Unternehmer mit der Vorbereitung des Verkaufs beauftragt, der als Bevollmächtigter dieser Person aktive Schritte zur Vermarktung von Grund und Boden vornimmt und sich für diesen Verkauf ähnlicher Mittel bedient wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender im Sinne dieser Bestimmung.
2. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112
ist dahin auszulegen, dass
er im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts, das als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Richtlinie eingestuft wird, dem nicht entgegensteht, dass die von Ehegatten, die gemeinschaftliche Eigentümer sind, gebildete gesetzliche Gemeinschaft als Steuerpflichtiger, der eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, angesehen wird, wenn diese Ehegatten gegenüber Dritten so auftreten, dass sie das eine wirtschaftliche Tätigkeit begründende Geschäft des Verkaufs von zu dieser Gemeinschaft gehörenden Flächen gemeinsam durchgeführt haben, und diese Gemeinschaft das wirtschaftliche Risiko dieser Tätigkeit trägt.
Unterschriften