SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA
vom 30. Januar 2025(1 )
Rechtssache C ‑618/23
SALUS Haus Dr. med. Otto Greither Nachf. GmbH & Co. KG
gegen
Astrid Twardy GmbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf [Deutschland])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen – Angaben auf der äußeren Umhüllung eines Arzneitees aus Pflanzen ökologischer/biologischer Produktion “
1. Im Jahr 1991 erließ die Europäische Union die Verordnung (EWG) Nr. 2092/91(2 ) über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel. Diese mehrfach geänderte Verordnung wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 834/2007(3 ) und seit dem 1. Januar 2021 durch die Verordnung (EU) 2018/848 abgelöst, die die vorherige Verordnung aufhebt(4 ).
2. Im Jahr 2001 wurde außerdem die inzwischen geänderte Richtlinie 2001/83/EG(5 ) zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel verabschiedet.
3. Das vorlegende Gericht ersucht um Auslegung der Verordnung 2018/848 und der Richtlinie 2001/83.
4. Der Gerichtshof hat bereits über die Verordnung 2018/848 entschieden(6 ), jedoch werden in der vorliegenden Rechtssache neue Fragen aufgeworfen. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Angebots von und der steigenden Nachfrage nach ökologischen/biologischen Erzeugnissen(7 ) stellt sich das Problem des Verhältnisses zwischen der Kennzeichnung von Humanarzneimitteln und der Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen.
5. Die Verordnung 2018/848 enthält neben den Bestimmungen für die ökologische/biologische Produktion auch Bestimmungen für die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen. Streitig ist die Anwendung dieser letztgenannten Bestimmungen auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel.
I. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
1. Richtlinie 2001/83
6. Art. 1 Nr. 29 in Titel I („Begriffsbestimmungen“) legt fest:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
29. Traditionelles pflanzliches Arzneimittel: Ein pflanzliches Arzneimittel, das die in Artikel 16a Absatz 1 festgelegten Bedingungen erfüllt.“
7. Art. 2, der Titel II („Anwendungsgebiet“) einleitet, sieht in Abs. 2 vor:
„In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.“
8. In Titel III („Inverkehrbringen“) Kapitel 2a („Besondere auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel anzuwendende Bestimmungen“) heißt es in Art. 16a Abs. 1:
„Hiermit wird ein vereinfachtes Registrierungsverfahren (nachfolgend ‚Registrierung als traditionelles Arzneimittel‘ genannt) für pflanzliche Arzneimittel festgelegt, die allen nachstehenden Anforderungen genügen:
a) Ihre Anwendungsgebiete entsprechen ausschließlich denen traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt und konzipiert sind, ohne ärztliche Aufsicht zwecks Stellung einer Diagnose, Verschreibung oder Überwachung der Behandlung angewendet zu werden.
b) Sie sind ausschließlich in einer bestimmten Stärke und Dosierung zu verabreichen.
c) Sie sind eine Zubereitung, die zur oralen, äußerlichen Anwendung und/oder zur Inhalation bestimmt ist.
d) Der für eine traditionelle Verwendung gemäß Artikel 16c Absatz 1 Buchstabe c) festgelegte Zeitraum ist verstrichen.
e) Die Angaben über die traditionelle Verwendung des Arzneimittels sind ausreichend; insbesondere ist nachgewiesen, dass das Produkt unter den angegebenen Anwendungsbedingungen unschädlich ist und dass die pharmakologischen Wirkungen oder die Wirksamkeit des Arzneimittels aufgrund langjähriger Anwendung und Erfahrung plausibel sind.“
9. Art. 62, der zu Titel V („Etikettierung und Packungsbeilage“) gehört, bestimmt:
„Die äußere Umhüllung und die Packungsbeilage können zur Veranschaulichung einiger der in den Artikeln 54 und 59 Absatz 1 genannten Informationen Zeichen oder Piktogramme sowie weitere mit der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses zu vereinbarende Informationen enthalten, die für den Patienten wichtig sind; nicht zulässig sind Angaben, die Werbecharakter haben können.“
2. Verordnung 2018/848
10. Im zehnten Erwägungsgrund heißt es:
„Die bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 zeigen, dass geklärt werden muss, für welche Erzeugnisse diese Verordnung gilt. In erster Linie sollten dazu die in Anhang I des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verzeichneten Erzeugnisse der Landwirtschaft, einschließlich der Aquakultur und der Imkerei, gehören. Außerdem sollten dazu verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebens- oder Futtermittel bestimmt sind, gehören, da das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse als ökologische/biologische Erzeugnisse einen wichtigen Markt für Agrarerzeugnisse bietet und sicherstellt, dass der Verbraucher erkennen kann, dass die Agrarerzeugnisse aus ökologischen/biologischen Erzeugnissen hergestellt wurden. Diese Verordnung sollte auch bestimmte andere Erzeugnisse erfassen, die ähnlich eng wie verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse zur Verwendung als Lebens- oder Futtermittel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen verbunden sind, da diese anderen Erzeugnisse entweder einen großen Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse darstellen oder Bestandteil des Produktionsprozesses sind. … Aus Gründen der Klarheit sollten solche anderen Erzeugnisse, die nicht in Anhang I AEUV aufgeführt sind, im Anhang dieser Verordnung verzeichnet werden.“
11. Der 16. Erwägungsgrund lautet:
„Diese Verordnung sollte unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial, Kennzeichnung und Umweltschutz, gelten.“
12. Art. 2 („Geltungsbereich“) in Kapitel I („Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen“) sieht vor:
„(1) Diese Verordnung gilt für die folgenden in Anhang I AEUV aufgeführten Erzeugnisse der Landwirtschaft, einschließlich der Aquakultur und der Imkerei, und von ihnen stammende Erzeugnisse, sofern sie produziert, aufbereitet, gekennzeichnet, vertrieben, in Verkehr gebracht oder in die Union eingeführt bzw. aus der Union ausgeführt werden oder dazu bestimmt sind:
a) lebende oder unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse einschließlich Saatgut und anderes Pflanzenvermehrungsmaterial,
b) verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind,
c) Futtermittel.
Diese Verordnung gilt auch für bestimmte andere eng mit der Landwirtschaft verbundene Erzeugnisse, sofern sie produziert, aufbereitet, gekennzeichnet, vertrieben, in Verkehr gebracht oder in die Union eingeführt bzw. aus der Union ausgeführt werden oder dazu bestimmt sind; diese Erzeugnisse sind in Anhang I dieser Verordnung aufgeführt.
…
(4) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt diese Verordnung unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenvermehrungsmaterial.
(5) Diese Verordnung gilt unbeschadet sonstigem spezifischen Unionsrecht betreffend das Inverkehrbringen von Erzeugnissen und insbesondere der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011.
…“
13. Art. 30 („Verwendung von Bezeichnungen mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion“) in Kapitel IV („Kennzeichnung“) bestimmt:
„(1) Im Sinne dieser Verordnung gilt ein Erzeugnis als mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion gekennzeichnet, wenn in der Kennzeichnung, in der Werbung oder in den Geschäftspapieren das Erzeugnis, seine Zutaten oder die bei der Produktion verwendeten Einzelfuttermittel mit Bezeichnungen versehen werden, die dem Käufer den Eindruck vermitteln, dass das Erzeugnis, seine Zutaten oder die Einzelfuttermittel nach den Vorschriften dieser Verordnung produziert wurden. Insbesondere dürfen die in Anhang IV aufgeführten Bezeichnungen, und daraus abgeleitete Bezeichnungen und Diminutive wie ‚Bio-‘ und ‚Öko-‘, allein oder kombiniert, in der gesamten Union und in allen in dem genannten Anhang aufgeführten Sprachen zur Kennzeichnung der in Artikel 2 Absatz 1 genannten Erzeugnisse und in der Werbung für sie verwendet werden, wenn diese Erzeugnisse den Vorschriften dieser Verordnung entsprechen.
(2) In Bezug auf die in Artikel 2 Absatz 1 genannten Erzeugnisse dürfen die Begriffe gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels nirgendwo in der Union und in keiner der in Anhang IV aufgeführten Sprachen für die Kennzeichnung, in Werbematerial oder in den Geschäftspapieren von Erzeugnissen verwendet werden, die den Vorschriften dieser Verordnung nicht entsprechen.
Darüber hinaus dürfen keine Bezeichnungen, einschließlich in Handelsmarken oder Firmennamen verwendeter Bezeichnungen, oder Praktiken in der Kennzeichnung oder Werbung verwendet werden, wenn sie den Verbraucher oder Nutzer irreführen können, indem sie ihn glauben lassen, dass das betreffende Erzeugnis oder die zu seiner Produktion verwendeten Zutaten den Vorschriften dieser Verordnung entspricht bzw. entsprechen.
…“
14. Ebenfalls in Kapitel IV legt Art. 32 („Verbindliche Angaben“) fest:
„(1) Sind Erzeugnisse mit den Bezeichnungen nach Artikel 30 Absatz 1 gekennzeichnet, einschließlich der nach Artikel 30 Absatz 3 als Umstellungserzeugnisse gekennzeichneten Erzeugnisse, so muss
a) die Kennzeichnung auch die Codenummer der Kontrollbehörde oder Kontrollstelle enthalten, die für die Kontrolle des Unternehmers zuständig ist, der den letzten Erzeugungs- oder Aufbereitungsvorgang vorgenommen hat; und
b) bei vorverpackten Lebensmitteln das Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion gemäß Artikel 33 auch auf der Verpackung zu sehen sein, außer in den in Artikel 30 Absatz 3 und Absatz 5 Buchstaben b und c genannten Fällen.
(2) Bei der Verwendung des Logos der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion muss im selben Sichtfeld wie das Logo der Ort der Erzeugung der landwirtschaftlichen Ausgangsstoffe erscheinen, aus denen sich das Erzeugnis zusammensetzt, und zwar je nach Fall in einer der folgenden Formen:
…“
15. In Art. 33 („Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion“) in Kapitel IV heißt es:
„(1) Das Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion darf in der Kennzeichnung und Aufmachung von Erzeugnissen sowie in der Werbung hierfür verwendet werden, sofern diese Erzeugnisse den Vorschriften dieser Verordnung entsprechen.
…“
16. In Anhang I („Andere Erzeugnisse nach Artikel 2 Absatz 1“) findet sich folgender Eintrag:
„– traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis.“
17. Anhang V („Logo der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion und Codenummern“) enthält detaillierte Bestimmungen über die Darstellung des Logos und das Format der Codenummern.
B. Deutsches Recht
18. § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes(8 ), mit dem Art. 62 der Richtlinie 2001/83 umgesetzt wird, bestimmt:
„Weitere Angaben, die nicht durch eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union vorgeschrieben oder bereits nach einer solchen Verordnung zulässig sind, sind zulässig, soweit sie mit der Anwendung des Arzneimittels im Zusammenhang stehen, für die gesundheitliche Aufklärung der Patienten wichtig sind und den Angaben nach § 11a nicht widersprechen.“
II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefragen
19. Die Astrid Twardy GmbH (im Folgenden: Twardy) und die SALUS Haus Dr. med. Otto Greither Nachf. GmbH & Co. KG (im Folgenden: SALUS) vertreiben u. a. traditionelle pflanzliche Arzneimittel.
20. Zum Produktportfolio von SALUS gehört gegenwärtig der „Salus Arzneitee Salbeiblätter“. Das Unternehmen beabsichtigt außerdem den Vertrieb von „Bio Nerven-Beruhigungstee“ und des Tees „Frauenmantelkraut“.
21. Auf der äußeren Hülle des Arzneitees „Salus Arzneitee Salbeiblätter“ befindet sich das offizielle Logo der Union nach Anhang V der Verordnung 2018/848, der Kontrollstellencode und die Angabe „Nicht-EU-Landwirtschaft“. Der „Bio Nerven-Beruhigungstee“ soll auf der Verpackung das offizielle Logo, ein firmeneigenes Bio-Logo von SALUS, den Kontrollstellencode sowie die Angabe „aus ökologischem Landbau“ enthalten. Der Tee „Frauenmantelkraut“ soll ebenfalls das offizielle Logo und den Kontrollstellencode sowie die Angabe „EU-Landwirtschaft“ auf der Verpackung aufweisen.
22. Twardy ist der Ansicht, das Anbringen der genannten Angaben auf der äußeren Verpackung des streitigen Erzeugnisses stelle einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes dar. Sie erhob daher gegen SALUS Klage auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Erstattung von Abmahnkosten.
23. SALUS trat der Klage unter Hinweis auf die Bestimmungen der Verordnung 2018/848 entgegen.
24. Am 7. Juni 2023 verurteilte das Landgericht Düsseldorf (Deutschland) SALUS, den Vertrieb der streitigen Erzeugnisse im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen(9 ) und die Abmahnkosten zu zahlen. Hinsichtlich des Arzneitees „Salbeiblätter“ verurteilte es SALUS außerdem zur Auskunftserteilung. Die Verurteilung umfasst auch die Verpflichtung zum Schadensersatz.
25. Das Gericht erster Instanz führte aus:
– Die beanstandeten Angaben seien sämtlich nach § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes unzulässig.
– Unter „Verordnung der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union“ nach der ersten Alternative der Vorschrift seien nur arzneimittelbezogene Verordnungen gemeint, was bei der Verordnung 2018/848 nicht der Fall sei.
– Es könne offenbleiben, ob die Verordnung 2018/848 im vorliegenden Fall anwendbar sei, da die Kennzeichnungsvorschriften des Arzneimittelrechts vorgingen, zumal die Angaben nach der Verordnung 2018/848 nicht zwingend seien.
– Auf die zweite Alternative von § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes könne sich SALUS nicht berufen, weil die Angaben nach der Verordnung 2018/848 nicht unmittelbar mit der Einnahme des Medikaments durch den Patienten zu tun hätten und für seine Gesundheit daher unwichtig seien.
26. SALUS hat Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und rügt:
– Der sachliche Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 sei gegenüber der Vorgängervorschrift auf bestimmte Nicht-Lebens- oder Futtermittel, nämlich „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“, als „andere eng mit der Landwirtschaft verbundene Erzeugnisse“ in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung ausgeweitet worden. Dadurch seien auch die fraglichen Arzneitees nunmehr einbezogen.
– Die Vorschriften über die Kennzeichnung nach der Verordnung 2018/848 und nach der Richtlinie 2001/83 seien nebeneinander anwendbar.
– Jedenfalls seien Art. 62 der Richtlinie 2001/83 und § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes so auszulegen, dass die nach der Verordnung 2018/848 zugelassenen Kennzeichnungen „für den Patienten wichtig“ seien.
27. Twardy beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie meint, selbst wenn sich der sachliche Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 auch auf als Arzneimittel einzustufende „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ erstrecke, gingen Art. 62 der Richtlinie 2001/83 und § 10 Abs. 1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes vor. Zum Schutz des Kunden vor einer Überfülle an Informationen auf der Außenverpackung und Werbung sei Art. 62 der Richtlinie 2001/83 eng auszulegen, zumal eine Verpflichtung zur Angabe der ökologischen Herkunft nicht bestehe.
28. Vor diesem Hintergrund legt das Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland), das über die Berufung zu entscheiden hat, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. Sind pflanzliche Arzneitees, die als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 (im Folgenden: Gemeinschaftskodex) einzustufen sind, als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung 2018/848 anzusehen?
2. Wenn die 1. Frage bejaht wird:
Können die in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 vorgesehenen Kennzeichnungen, insbesondere
– das offizielle Bio-Logo der Europäischen Union (Art. 33 in Verbindung mit Anhang V der Verordnung 2018/848),
– das firmeneigene Bio-Logo (Art. 33 Abs. 5 der Verordnung 2018/848),
– die Codenummer der Kontrollstelle (Art. 32 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2018/848),
– der Ort der Erzeugung „Nicht- bzw. EU-Landwirtschaft“ (Art. 32 Abs. 2 der Verordnung 2018/848),
– der Begriff „Bio“ (Art. 30 Abs. 2 der Verordnung 2018/848) und
– der Hinweis „aus ökologischem Landbau“ (Art. 30 Abs. 1 der Verordnung 2018/848),
auf der äußeren Umhüllung eines Arzneimittels angebracht werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 62 des Gemeinschaftskodexes vorliegen müssen?
3. Wenn die 1. oder 2. Frage verneint wird:
Handelt es sich bei den in der 2. Frage aufgeführten Kennzeichnungen um solche, die im Sinne des Art. 62 des Gemeinschaftskodexes „für den Patienten wichtig sind“ und nicht „Werbecharakter haben können“?
III. Verfahren vor dem Gerichtshof
29. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 6. Oktober 2023 beim Gerichtshof eingegangen.
30. Twardy, SALUS, die französische und die italienische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle mit Ausnahme der italienischen Regierung haben an der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2024 teilgenommen.
IV. Würdigung
31. Ich gehe in den vorliegenden Schlussanträgen von derselben Prämisse aus, die auch der Vorlageentscheidung zugrunde liegt: Die Arzneitees, die Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits sind, fallen unter die Definition des Begriffs „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 der Richtlinie 2001/83.
32. Als Arzneimittel unterliegen diese Arzneitees den Bestimmungen für das Inverkehrbringen aus der Richtlinie 2001/83.
33. Auf dieser Grundlage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob für die streitigen Arzneitees die besonderen Kennzeichnungsvorschriften für Erzeugnisse aus ökologischer/biologischer Landwirtschaft in Anspruch genommen werden können (natürlich nur, sofern sie die Anforderungen der Verordnung 2018/848 erfüllen),
– weil sie zu den traditionellen pflanzlichen Zubereitungen auf pflanzlicher Basis gehören, die in den Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 fallen, und diese Verordnung Vorrang vor der Richtlinie 2001/83 hat,
– oder, andernfalls, weil die Logos und Angaben, die gemäß der Verordnung 2018/848 auf der Verpackung der Arzneitees angebracht werden sollen, die Bedingungen für die Etikettierung gemäß der Richtlinie 2001/83 erfüllen.
A. Erste Vorlagefrage
34. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob ein „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 gleichzeitig als „traditionelle pflanzliche Zubereitung auf pflanzlicher Basis“ im Sinne der Verordnung 2018/848 eingestuft werden kann.
35. Meines Erachtens ist diese Frage zu verneinen. Die Verordnung 2018/848 gilt nicht für traditionelle pflanzliche Zubereitungen (aus ökologischem/biologischem Anbau), die „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 sind.
36. Ich räume ein, dass es Argumente gibt, die auf den ersten Blick für eine gegenteilige Auffassung sprechen könnten:
– Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung 2018/848 nennt „andere Erzeugnisse“ als eine weitere Kategorie neben Erzeugnissen, die „in Anhang I AEUV aufgeführt sind“, und neben „verarbeitete(n) landwirtschaftliche(n) Erzeugnisse(n) zur Verwendung als Lebens- oder Futtermittel“(10 ) und erweitert so den Gegenstand der Verordnung 2018/848.
– Die Ähnlichkeit zwischen dem Wortlaut des letzten Gedankenstrichs von Anhang I der Verordnung 2018/848 und dem Wortlaut von Art. 1 Nr. 32 der Richtlinie 2001/83(11 ) könnte ein weiterer Anhaltspunkt dafür sein, dass die Verordnung 2018/848 für Arzneimittel gilt.
37. Ich halte jedoch keines dieser beiden Argumente für überzeugend. Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung 2018/848 sieht keineswegs zwingend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Verordnung vor(12 ). Zudem kann eine „traditionelle pflanzliche Zubereitung auf pflanzlicher Basis“ im Sinne der Verordnung 2018/848 nur dann als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 angesehen werden, wenn es zusätzlich die Voraussetzungen aus Art. 1 Nrn. 2(13 ) und 29 erfüllt.
38. Der Wunsch, in die Verordnung 2018/848 auch Arzneimittel einzubeziehen, wurde bei den Vorarbeiten deutlich geäußert, konnte sich aber letztlich nicht durchsetzen.
39. In dem Entwurf einer legislativen Entschließung des Parlaments zu dem von der Kommission ausgearbeiteten Vorschlag(14 ) wurden die Änderungsanträge 255 bis 275 übernommen, so dass
– bestimmte Einträge in Anhang I („Andere Erzeugnisse nach Artikel 2 Absatz 1“) des Vorschlags mit der Begründung gestrichen wurden, dass sie bereits durch die Definition von „Lebensmitteln“ in Art. 3 Nr. 21 des Vorschlags abgedeckt seien;
– andere Einträge hinzugefügt wurden, die im Umkehrschluss von dieser Definition nicht erfasst waren. Gemäß Änderungsantrag 275 handelte es sich dabei u. a. um „Ausgangsstoffe auf Pflanzenbasis für traditionelle pflanzliche Arzneimittel“.
40. In die endgültige Fassung des Textes wurde der Hinweis auf Arzneimittel jedoch nicht aufgenommen. Aus den verfügbaren Unterlagen geht hervor, dass der Rat einen solchen Hinweis gerade deshalb ablehnte, weil Arzneimittel nicht in den Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 fallen(15 ).
41. Ein weiterer Vorschlag des Parlaments (Änderung des Änderungsantrags 275, indem der Begriff „medicinal products“ durch die Formulierung „plant-based raw materials for traditional herbal treatments“ ersetzt wird) wurde vom Rat ebenfalls abgelehnt, da der Begriff „Behandlung“ eine medizinische Verwendung des Produkts impliziere(16 ).
42. Bei der Formulierung „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ in Anhang I der Verordnung 2018/848 handelt es sich um einen interinstitutionellen Kompromiss(17 ). Die Formulierung ist zwar allgemein gefasst, sie beinhaltet jedoch gemäß meinen vorstehenden Ausführungen keine Zubereitungen, die nach der Definition in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 als Arzneimittel (genauer gesagt als pflanzliche Arzneimittel) gelten.
43. Die von mir vertretene Auslegung steht im Übrigen im Einklang mit den Unionsvorschriften für Arzneimittel, die dazu tendieren, eine doppelte rechtliche Einstufung (und die daraus resultierende Vielzahl von Regelungen) bei Erzeugnissen, die unter den Begriff „Arzneimittel“ fallen, abzulehnen. Zu diesem Zweck
– grenzt der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschriften für die verschiedenen Erzeugnisse ab und schließt Arzneimittel aus den Rechtsakten, die andere Arten von Erzeugnissen regeln, ausdrücklich aus(18 );
– sieht der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83(19 ) die Anwendung dieser Richtlinie auch für „Grenzprodukte“ vor, es sei denn, es besteht kein Zweifel, dass sie einer anderen Kategorie angehören(20 ).
44. In diesem Sinne hat der Gerichtshof entschieden, dass
– in Fällen, in denen ein Erzeugnis sowohl der Begriffsbestimmung eines Arzneimittels als auch der eines sonstigen Erzeugnisses entspricht, die strengeren Vorschriften für Arzneimittel gelten(21 );
– in solchen Fällen ausschließlich die (für Arzneimittel geltenden) strengeren Bestimmungen anzuwenden sind(22 ).
45. Zusammenfassend vertrete ich den Standpunkt, dass Arzneitees aus ökologischer/biologischer Produktion, die als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 gelten, nicht in den Geltungsbereich der Verordnung 2018/848 fallen.
B. Zweite Vorlagefrage
46. Das vorlegende Gericht stellt seine zweite Frage für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird. Da ich bereits vorgeschlagen habe, die erste Frage zu verneinen, ist es meines Erachtens nicht erforderlich, auf die zweite Frage einzugehen.
47. Sollte der Begriff „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ jedoch so ausgelegt werden, dass er „Arzneimittel“ mit einschließt(23 ), wäre noch zu prüfen, ob eine solche Auslegung bedeutet, dass die Verordnung 2018/848 und ihre Vorschriften über die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen die Richtlinie 2001/83 ersetzen.
48. Ich möchte diese Hypothese ebenfalls verneinen.
49. Arzneimittel sind nicht wie andere Erzeugnisse. Sie werden nicht auf die gleiche Art und Weise verkauft und konsumiert wie Erzeugnisse aus ökologischem/biologischem Anbau. Arzneimittel werden auf spezifische Art und Weise verwendet, und ihre Verwendung unterliegt besonderen Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit.
50. Für den Unionsgesetzgeber besteht die Besonderheit von Arzneimitteln darin, dass ihr freier Verkehr mit dem Ziel vereinbar sein muss, ein hohes Gesundheitsschutzniveau und die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen (Art. 168 AEUV). Dies gilt für alle Arzneimittel, einschließlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, unabhängig davon, ob sie aus ökologischem/biologischem Anbau stammen oder nicht.
51. Aufgrund der besonderen Risiken, die mit ihnen einhergehen, unterliegen Arzneimittel einer strengen gesetzlichen Regelung, die strenger ist als bei anderen regulierten Produkten wie Lebensmitteln oder kosmetischen Mitteln(24 ).
52. Der Gerichtshof rechtfertigt die Anwendung der für Arzneimittel geltenden Gesetzgebung auf Erzeugnisse, die auf den ersten Blick auch unter eine andere Definition und damit unter eine andere Regelung fallen könnten, ausdrücklich mit dem Hinweis auf die größere Strenge dieser Gesetzgebung(25 ).
53. Der Gesetzgeber hat, wie ich bereits ausgeführt habe, Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin geändert, dass in Zweifelsfällen, in denen ein Produkt sowohl die Eigenschaften eines Arzneimittels als auch die eines anderen Erzeugnisses aufweist, nur diese Richtlinie gilt.
54. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser absolute Vorrang der Richtlinie 2001/83 im Hinblick auf das Ziel der Gewährleistung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit durch den Umstand, dass ein Arzneimittel aus ökologisch/biologisch angebauten Pflanzen gewonnen wird, in Frage gestellt werden soll.
55. Die Verordnung 2018/848 steht dem meines Erachtens nicht entgegen.
56. Es trifft zwar zu, dass die Verordnung 2018/848, die Jahre nach der Richtlinie 2001/83 erlassen wurde, den Vorrang der in der Richtlinie 2001/83 enthaltenen Bestimmungen für die Etikettierung von Arzneimitteln nicht ausdrücklich beibehält. Dabei ist jedoch Folgendes zu beachten:
– Gemäß Art. 2 Abs. 4 gilt die Verordnung, soweit nichts anderes bestimmt ist, unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften der Union. Anschließend werden die Bereiche aufgeführt, in denen solche Rechtsvorschriften bestehen. Diese Aufzählung ist nicht als abschließend anzusehen, wie sich aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ ableiten lässt.
– Nach Art. 2 Abs. 5 gilt die Verordnung unbeschadet sonstigen spezifischen Unionsrechts betreffend das Inverkehrbringen von Erzeugnissen. In diesem Absatz werden ausdrücklich zwei Verordnungen genannt, wobei auch hier mit dem Wort „insbesondere“ deutlich gemacht wird, dass es sich lediglich um Beispiele handelt.
– Gemäß ihrem 16. Erwägungsgrund sollte die Verordnung 2018/848 „unbeschadet einschlägiger Rechtsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Sicherheit der Lebensmittelkette, Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit, Pflanzenvermehrungsmaterial, Kennzeichnung und Umweltschutz, gelten“.
57. Die Verordnung 2018/848 soll somit nicht die Anwendung anderer, vorrangiger Vorschriften des Unionsrechts über das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verhindern. Eine dieser Vorschriften ist die Richtlinie 2001/83, die die Regeln für Arzneimittel, einschließlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, festlegt.
C. Dritte Vorlagefrage
58. Die dritte Vorlagefrage wird für den Fall gestellt, dass die erste oder die zweite Vorlagefrage (wie ich es vorschlage) verneint wird. Ich werde daher auf diese Frage eingehen.
59. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Angaben, die zu den Kennzeichnungselementen gemäß Kapitel IV der Verordnung 2018/848 gehören, die Bedingungen von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 erfüllen und daher auf der äußeren Umhüllung der streitigen Arzneitees angebracht werden dürfen.
60. Nach Art. 62 der Richtlinie 2001/83 dürfen fakultative Angaben nur dann auf der Packungsbeilage oder der äußeren Umhüllung eines Arzneimittels angebracht werden, wenn diese Angaben kumulativ
– mit der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses vereinbar sind;
– für den Patienten wichtig sind;
– keinen Werbecharakter haben.
61. Angesichts dieser Voraussetzungen(26 ) ist die dritte Vorlagefrage meiner Ansicht nach ebenfalls zu verneinen.
1. Vereinbarkeit mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels
62. Art. 11 der Richtlinie 2001/83 regelt die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, die gemäß ihrem Art. 8 Abs. 3 Buchst. j dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln beizufügen ist(27 ).
63. Dem Antrag für ein vereinfachtes Registrierungsverfahren als traditionelles pflanzliches Arzneimittel, das Titel III („Inverkehrbringen“) Kapitel 2a der Richtlinie 2001/83 regelt, ist die Zusammenfassung ebenfalls beizufügen(28 ).
64. Ich neige zu dem Standpunkt, dass die im Ausgangsverfahren streitigen Angaben mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels nicht vereinbar sind. Grund dafür ist nicht, dass diese Angaben nicht als in der Zusammenfassung obligatorische Angaben genannt werden(29 ), sondern dass die Zusammenfassung die „[q]ualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und Bestandteilen der Arzneiträgerstoffe, deren Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichung des Mittels erforderlich ist“(30 ), enthalten muss.
65. Die Angaben über die Art des Anbaus (ökologisch/biologisch oder nicht) der Pflanzen, mit denen das Arzneimittel hergestellt wurde(31 ), und über den Ort ihres Anbaus sowie die sonstigen im Ausgangsverfahren streitigen Angaben (Logos und Codenummern der Kontrollstellen) entsprechen als solche nicht den in Art. 11 Nr. 2 der Richtlinie genannten Angaben(32 ).
66. Für die richtige Verabreichung des Arzneimittels ist es nicht notwendig, eine dieser Angaben zu kennen. Allerdings könnte ihre Anbringung auf der Umhüllung eine angeblich bessere Qualität des Erzeugnisses suggerieren oder andeuten und auf diese Weise zu einem Irrtum über seine therapeutischen Eigenschaften verleiten oder entgegen den Bestimmungen in Art. 62 der Richtlinie 2001/83 der Werbung dienen.
2. Wichtig für den Patienten
67. Die nach Art. 62 der Richtlinie 2001/83 zulässigen fakultativen Informationen müssen „für den Patienten wichtig“ sein.
68. In Antwort auf eine Frage zu dieser Wendung hat der Gerichtshof die Aufnahme einer Dosierungsanleitung in die Packungsbeilage eines homöopathischen Arzneimittels mit der Begründung abgelehnt, dass die Benutzer über die Merkmale des betreffenden Arzneimittels irregeführt werden könnten(33 ).
69. Im negativen Sinne sind Informationen, die geeignet sind, den Patienten über die Eigenschaften des Arzneimittels in die Irre zu führen, nicht „für den Patienten wichtig“.
70. Enthält die äußere Umhüllung des Arzneimittels Informationen, wie sie hier in Rede stehen (Logos der ökologischen/biologischen Produktion u. Ä.), kann dies zu Verwirrung führen: Der Patient wird mit einem Übermaß an Informationen und den verschiedensten Angaben konfrontiert, unter denen er nur schwer diejenigen, die in therapeutischer Hinsicht relevant sind, von denjenigen, die keine Auswirkungen auf seine Gesundheit haben, unterscheiden kann(34 ).
71. Bei der Anbringung der hier streitigen Angaben auf der Verpackung des Arzneimittels könnte es aus zwei weiteren Gründen zu einer Irreführung des Patienten kommen(35 ): Es besteht die Gefahr der Gleichsetzung von Arzneimitteln mit ökologischen/biologischen Konsumgütern, die im Allgemeinen mit diesen Informationen gekennzeichnet sind(36 ), und die Gefahr der Annahme einer höheren therapeutischen Wirksamkeit der Zubereitung(37 ). Insoweit darf nicht vergessen werden, dass der Kauf eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels ohne Verschreibung möglich ist (und in der Regel auch erfolgt)(38 ), d. h. ohne vorherige Intervention eines Angehörigen der Gesundheitsberufe(39 ).
72. Im positiven Sinne und im Licht des 40. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/83 sind meines Erachtens „für den Patienten wichtige“ Informationen solche, die dazu dienen, den Patienten über die ordnungsgemäße Anwendung des Erzeugnisses zu unterrichten. Das in diesem Erwägungsgrund(40 ) genannte Ziel besteht darin, den Patienten zu schützen, indem „vollständige und verständliche“ Angaben gemacht werden, um die ordnungsgemäße Anwendung des Arzneimittels sicherzustellen. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Käufer in seiner Eigenschaft als Patient handelt, die nicht mit der eines jeglichen anderen Verbrauchers gleichgesetzt werden kann.
73. Anders als die derzeitige Fassung („für den Patienten wichtig“) verlangte der ursprüngliche Wortlaut von Art. 62 der Richtlinie 2001/83, dass die zusätzlichen Informationen auf der äußeren Umhüllung und der Packungsbeilage „für die Gesundheitsaufklärung wichtig sind“(41 ). Unter Berücksichtigung der Vorarbeiten zu dieser Änderung vertrete ich den Standpunkt, dass die Neuformulierung lediglich darauf abzielte, den Text zu verbessern: Mit ihr sollte nicht das Ziel der Aufklärung des Patienten als solches geändert werden(42 ).
74. Meiner Ansicht nach ist es für den Patienten in therapeutischer Hinsicht nicht wichtig, die Art des Anbaus (ökologisch/biologisch oder nicht) der Pflanzen, mit denen das Arzneimittel hergestellt wurde, oder den Ort ihres Anbaus zu kennen.
3. Kein Werbecharakter
75. Nach Art. 62 der Richtlinie 2001/83 können bestimmte Informationen auf der äußeren Umhüllung und der Packungsbeilage des Arzneimittels angebracht werden; „nicht zulässig sind Angaben, die Werbecharakter haben können“.
76. Die Aufnahme einer Angabe in die Etikettierung, die für die korrekte Anwendung des Arzneimittels durch den Patienten nicht wichtig ist, deutet meines Erachtens darauf hin, dass diese Angabe Werbecharakter hat(43 ).
77. Um zu klären, worin dieser Werbecharakter besteht, scheint mir ein Blick auf die Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 von Interesse zu sein, die, um ihr wesentliches Ziel, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, zu gewährleisten, die Werbung für Arzneimittel definieren und regeln.
78. Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 legt fest, dass Titel VIII („Werbung“) weder die Etikettierung noch die Packungsbeilage betrifft. Dieser Ausschluss ist nur folgerichtig, da die Etikettierung und die Packungsbeilage unter Titel V fallen, der die Anbringung von Angaben mit Werbecharakter untersagt(44 ).
79. Die Rechtsprechung zu den Bestimmungen des Titels VIII kann jedoch im Zusammenhang mit Art. 62 der Richtlinie 2001/83 relevant sein, und zwar allein zu dem Zweck, zu klären, welche Angaben oder Inhalte im Arzneimittelbereich als Werbung anzusehen sind(45 ).
80. Nach Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 gelten als Werbung „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“.
81. Diese Begriffsbestimmung gilt für alle Arzneimittel. Bei der Regelung der Öffentlichkeitswerbung gibt es jedoch Unterschiede: Werbung für Arzneimittel, die nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen, ist verboten; für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ist Werbung erlaubt, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen und Einschränkungen(46 ). Der Unterschied ist durch die unterschiedlichen Risiken bei der Einnahme gerechtfertigt; diese sind bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geringer, aber nicht inexistent(47 ).
82. Unter den Entscheidungen zu Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 erscheint mir das Urteil MSD Sharp & Dohme(48 ) für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen besonders aufschlussreich.
83. In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass auch Veröffentlichungen, die allein aus sachlicher Information bestehen, ein Werbeziel verfolgen können(49 ), dass jedoch insbesondere folgende Indikatoren für die Einstufung der Verbreitung von Informationen als „Werbung“ relevant sind: die Identität des Urhebers der Verbreitung, der Gegenstand der Mitteilung, ihr Inhalt und eventuell sonstige Indikatoren wie das zur Informationsverbreitung verwendete Medium und der Adressatenkreis(50 ).
84. Nach der Würdigung dieser Indikatoren hat der Gerichtshof folgende Feststellungen getroffen:
– Handelt es sich beim Urheber einer Verbreitung von Informationen um den Hersteller, so könnte dieser Umstand auf ein Werbeziel hindeuten. Es gibt jedoch auch andere Erklärungen für die Verbreitung von Informationen als allein das Interesse an einer Umsatzsteigerung: z. B. eine allgemeine Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens, mit der interessierten Patienten Informationen über die Arzneimittel zur Verfügung gestellt werden sollen, um gesundheitliche Risiken im Zusammenhang mit einer Selbstmedikation so weit wie möglich auszuschließen(51 ).
– Handelt es sich beim Gegenstand der Mitteilung um objektive Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel, so wird in der Regel kein Werbeziel verfolgt. Die Verschreibungspflichtigkeit von Arzneimitteln ist geeignet, sicherzustellen, dass etwaige Anreize aufgrund der Informationen „nicht unmittelbar in eine Kaufentscheidung umgesetzt werden können“ und „dass die endgültige Entscheidung über das vom Patienten einzunehmende Mittel weiterhin beim behandelnden Arzt liegt“(52 ).
– Handelt es sich beim Inhalt um Informationen, die im Vergleich zu den Angaben in der Packungsbeilage oder in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Gegenstand einer „Auswahl oder einer Umgestaltung durch den Hersteller“ sind, verfolgt die Verbreitung ein Werbeziel. „[S]olche Manipulationen der Informationen [können] nur durch ein Werbeziel erklärt werden(53 ).“
– Handelt es sich im Hinblick auf das zur Informationsverbreitung verwendete Medium und den Adressatenkreis um Informationen, die zwar für jedermann im Internet zugänglich sind, aber lediglich dergestalt verfügbar sind, dass „der Internetnutzer einen aktiven Suchschritt unternehmen muss“, so sind diese nicht als Werbung anzusehen(54 ).
85. Im Licht der vorstehenden Erwägungen und unbeschadet der Tatsache, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die konkreten Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu beurteilen, vertrete ich den Standpunkt, dass die Anbringung der in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 vorgesehenen Kennzeichnungselemente auf der Umhüllung eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels für einen Werbecharakter spricht, wenn:
– diese Elemente oder Angaben nicht in medizinischer Hinsicht wichtig sind. Sie beruhen in einem solchen Fall kaum auf einem nicht wirtschaftlichen Interesse des Herstellers, wie dem bestmöglichen Schutz des Patienten vor den Risiken der Selbstmedikation;
– das Arzneimittel nicht verschreibungspflichtig ist. In einem solchen Fall richten sich die Informationen an den Patienten und erreichen ihn, ohne dass ein Angehöriger der Gesundheitsberufe beteiligt ist, und können den Patienten so direkt zu einer Kaufentscheidung veranlassen;
– die Angaben aus Kapitel IV der Verordnung 2018/848 nicht mit den in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vorgesehenen Angaben übereinstimmen, sondern diese ergänzen;
– die Informationen für die Öffentlichkeit leicht zugänglich sind. Jeder, der das Erzeugnis in die Hand nimmt, wird die Angaben sofort finden, ohne dass er besondere Nachforschungen anstellen muss.
86. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass die in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 geregelten Kennzeichnungselemente nicht die Voraussetzungen von Art. 62 der Richtlinie 2001/83 erfüllen und daher nicht auf der äußeren Umhüllung eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels angebracht werden dürfen.
V. Ergebnis
87. Nach alledem schlage ich vor, dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) wie folgt zu antworten:
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates, Kapitel IV dieser Verordnung sowie Art. 1 Nr. 29, Art. 16a und Art. 62 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel
sind wie folgt auszulegen:
1. Pflanzliche Arzneitees, die als „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 29 und Art. 16a der Richtlinie 2001/83 einzustufen sind, können nicht als „traditionelle pflanzliche Zubereitungen auf pflanzlicher Basis“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I der Verordnung 2018/848 angesehen werden.
2. Die Kennzeichnungsregeln in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 haben keinen Vorrang vor den Kennzeichnungsbestimmungen der Richtlinie 2001/83.
3. Die in Kapitel IV der Verordnung 2018/848 vorgesehenen Kennzeichnungselemente erfüllen nicht die Voraussetzungen von Art. 62 der Richtlinie 2001/83.