URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
16. Januar 2025(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 3 Abs. 3 – Kostenlose Reise oder Reise zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist – Fluggast, der nur Gebühren und Luftverkehrsteuern gezahlt hat – Buchung im Rahmen einer Werbeaktion – Art. 8 Abs. 1 Buchst. c – Anspruch auf anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt – Nichterforderlichkeit eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem vom Fluggast gewünschten anderweitigen Flug “
In der Rechtssache C‑516/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) mit Beschluss vom 8. August 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 2023, in dem Verfahren
NW,
YS
gegen
Qatar Airways
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Neunten Kammer N. Jääskinen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter M. Gavalec (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von YS und NW, vertreten durch Rechtsanwalt M. Böse,
– der Qatar Airways, vertreten durch Rechtsanwältin B. Liebert und Rechtsanwalt U. Steppler,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NW und YS, zwei Fluggästen, auf der einen und Qatar Airways auf der anderen Seite über eine Schadensersatzforderung wegen Verstoßes von Qatar Airways gegen ihre Verpflichtung zur anderweitigen Beförderung dieser Fluggäste zum Endziel.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 261/2004
3 In den Erwägungsgründen 1, 2, 4, 12 und 13 der Verordnung Nr. 261/2004 wird ausgeführt:
„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.
…
(4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der [Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (ABL. 1991, L 36, S. 5)] festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.
…
(12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
(13) [Fluggäste], deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten.“
4 Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:
„Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.“
5 Art. 5 („Annullierung“) Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 dieser Verordnung sieht vor:
„(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,
…
(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
6 Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung sieht einen standardisierten Ausgleich für Fluggäste vor, dessen Höhe insbesondere von der Flugstrecke abhängt.
7 In Art. 8 („Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit
– einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,
b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder
c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.
…“
Verordnung (EG) Nr. 1008/2008
8 Art. 23 („Information und Nichtdiskriminierung“) Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. 2008, L 293, S. 3) bestimmt:
„Die der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreise und Luftfrachtraten, die in jedweder Form – auch im Internet – für Flugdienste von einem Flughafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, auf das der Vertrag Anwendung findet, angeboten oder veröffentlicht werden, schließen die anwendbaren Tarifbedingungen ein. Der zu zahlende Endpreis ist stets auszuweisen und muss den anwendbaren Flugpreis beziehungsweise die anwendbare Luftfrachtrate sowie alle anwendbaren Steuern und Gebühren, Zuschläge und Entgelte, die unvermeidbar und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhersehbar sind, einschließen. Neben dem Endpreis ist mindestens Folgendes auszuweisen:
a) der Flugpreis bzw. die Luftfrachtrate,
b) die Steuern,
c) die Flughafengebühren und
d) die sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen,
soweit die unter den Buchstaben b, c und d genannten Posten dem Flugpreis bzw. der Luftfrachtrate hinzugerechnet wurden. Fakultative Zusatzkosten werden auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt; die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Kunden erfolgt auf ‚Opt-in‘-Basis.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
9 Am 5. August 2020 buchten die Kläger des Ausgangsverfahrens bei Qatar Airways Flüge von Frankfurt am Main (Deutschland) über Doha (Katar) nach Denpasar (Indonesien) und zurück.
10 Die Buchung erfolgte im Rahmen einer Aktion von Qatar Airways als ausführendes Luftfahrtunternehmen. Diese zeitlich begrenzte Aktion war ausschließlich Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten und ermöglichte diesen Flugbuchungen bei Qatar Airways unter Entrichtung allein der für die Buchungen anfallenden Steuern und Gebühren.
11 Am 13. September 2020 annullierte Qatar Airways die von der Buchung betroffenen Flüge.
12 Im Übrigen flog Qatar Airways Denpasar bis Frühjahr 2022 nicht mehr an.
13 Mit E‑Mail vom 8. August 2022 verlangten die Kläger des Ausgangsverfahrens von Qatar Airways ihre anderweitige Beförderung nach Denpasar am 20. Oktober 2022 mit Rückflug nach Frankfurt am Main am 7. November 2022. Für die dafür erforderlichen Schritte setzten sie Qatar Airways eine Frist bis zum 18. August 2022. Nach fruchtlosem Fristablauf buchten die Kläger des Ausgangsverfahrens die fraglichen Flüge unter Einsatz von im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms erlangten Vorteilen zu einem Gesamtpreis von 394,62 Euro. Der Marktpreis der Flüge betrug am Buchungstag 4 276,36 Euro pro Fluggast.
14 Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen Qatar Airways auf Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Unterstützungspflicht gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004.
15 Im Rahmen dieser Klage sieht sich das vorlegende Gericht als Erstes vor die Frage nach der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im vorliegenden Fall gestellt.
16 Es fragt sich insoweit zum einen, ob ein Fluggast kostenlos im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 reise, wenn er lediglich die Luftverkehrsteuern und die Flughafengebühren zu entrichten habe.
17 Zum anderen hält es fest, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Deutschland) ein reduzierter Tarif, den ein Luftfahrtunternehmen den Mitarbeitern eines Unternehmens, das mit ihm eine Rahmenvereinbarung geschlossen habe, gewähre, im Sinne von besagtem Art. 3 Abs. 3 „für die Öffentlichkeit verfügbar“ sei. Diese Rechtsprechung könnte auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Aktion Anwendung finden, bei der es sich weder um ein Kundenbindungs- noch um ein Werbeprogramm im Sinne dieser Bestimmung handle.
18 Für den Fall der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens wirft das vorlegende Gericht als Zweites die Frage auf, ob der in Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung vorgesehene Anspruch auf anderweitige Beförderung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug voraussetzt, auch wenn sich diese Voraussetzung nicht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergebe.
19 Es weist insoweit darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (Deutschland) Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004, der die Fluggäste während der betreffenden Reise schützen solle, seinem Sinn und Zweck nach dem Fluggast keinen Anspruch auf eine kostenfreie anderweitige Beförderung nach dessen Belieben außerhalb jedes zeitlichen Zusammenhangs mit dem ursprünglichen Reiseplan verleihe. Das Oberlandesgericht Köln halte einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug für erforderlich. Vor dem Bundesgerichtshof (Deutschland) hatte diese Rechtsprechung jedoch offenbar keinen Bestand. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob aus Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 das Erfordernis eines solchen zeitlichen Zusammenhangs folgt. Der Wortlaut der Bestimmung gebe dafür jedenfalls nichts her.
20 Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Frankfurt am Main beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass der Fluggast zu einem kostenlosen Tarif nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 1 der Verordnung reist, wenn er lediglich Gebühren und Luftverkehrsteuern für das Flugticket zahlen muss?
2. Für den Fall, dass die Frage zu 1 verneint wird:
Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass es sich nicht um einen für die Öffentlichkeit (mittelbar) verfügbaren Tarif im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 2 der Verordnung handelt, wenn der Flug im Rahmen einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Aktion eines Luftfahrtunternehmens gebucht wurde, die nur einer bestimmten Berufsgruppe zur Verfügung stand?
3. Für den Fall, dass auch die Frage 2 verneint und der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 261/2004 für eröffnet erachtet wird:
a) Ist Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung dahin gehend auszulegen, dass zwischen dem ursprünglich gebuchten und annullierten Flug und der gewünschten Ersatzbeförderung zu einem späteren Zeitpunkt ein zeitlicher Zusammenhang bestehen muss?
b) Wie wäre dieser zeitliche Zusammenhang gegebenenfalls zu umgrenzen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.
22 Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese nicht für Fluggäste, die kostenlos reisen.
23 Die Wendung „kostenlos reisen“ ist weder in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 noch in irgendeiner anderen Bestimmung dieser Verordnung definiert. Daher sind Bedeutung und Tragweite dieser Wendung nach ständiger Rechtsprechung entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 30. April 2024, Trade Express-L und DEVNIA TSIMENT , C‑395/22 und C‑428/22, EU:C:2024:374, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem ist, wie der Gerichtshof entschieden hat, in Anbetracht des Ziels der Verordnung Nr. 261/2004, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, eine Ausnahme von den Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2023, LATAM Airlines Group , C‑238/22, EU:C:2023:815, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Was zunächst den üblichen Sinn der Wendung „kostenlos reisen“ betrifft, so bezeichnet diese allgemein einen Sachverhalt, bei dem der Fluggast unentgeltlich reist, ohne die geringste Gegenleistung für seinen Flugschein zahlen zu müssen.
25 Insoweit widerspräche eine Auslegung dieser Wendung dahin, dass ein Fluggast kostenlos reist, obwohl er für den Abschluss seiner Buchung eine Zahlung – nicht für den Flugpreis, sondern für Luftverkehrsteuern oder Gebühren – leisten muss, dem üblichen Sinn dieser Wendung nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch.
26 Was sodann den Regelungszusammenhang von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 anbelangt, so bezieht sich diese Bestimmung zwar allgemein auf die Kostenfreiheit der Reise, ohne näher auf die verschiedenen Bestandteile einzugehen, die den Preis der Reise ausmachen, doch sieht Art. 23 der Verordnung Nr. 1008/2008 vor, dass der zu zahlende Endpreis den anwendbaren Flugpreis sowie alle Steuern, Flughafengebühren und sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen, einschließt. Daraus folgt, dass die Steuern und Gebühren nicht vom Preis des Flugscheins ausgenommen, sondern integrierender Bestandteil davon sind.
27 Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestärkt, nach der Fluggäste, die mit Flugscheinen reisen, für die sie nur einen Teil des Preises zahlen, unter die Verordnung Nr. 261/2004 fallen, wenn entweder der bezahlte reduzierte Tarif für die Öffentlichkeit unmittelbar oder mittelbar verfügbar war oder diese Flugscheine im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme ausgegeben wurden (Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines , C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 16).
28 Was schließlich die Zielsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 angeht, so soll mit dieser ausweislich ihrer Erwägungsgründe 1, 2 und 4 ein hohes Schutzniveau für Fluggäste und Verbraucher sichergestellt werden, indem deren Rechte in bestimmten Situationen, die für sie ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmlichkeiten verursachen, gestärkt werden und ihnen standardisiert und sofort Ersatz geleistet wird (Urteil vom 22. April 2021, Austrian Airlines , C‑826/19, EU:C:2021:318, Rn. 26).
29 Eine Auslegung, wonach der Fluggast kostenlos reiste und deshalb nicht von der Anwendung der Verordnung Nr. 261/2004 profitierte, obwohl er Zahlungen für Luftverkehrsteuern und Gebühren zu leisten hat, würde aber das vorstehend in Rn. 28 angesprochene Ziel der Verordnung in Gefahr bringen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
30 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.
Zur zweiten Frage
31 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.
32 Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese Verordnung nicht für Fluggäste, die zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist.
33 Im vorliegenden Fall eröffnete Qatar Airways im Rahmen ihrer Werbeaktion nur Angehörigen der Gesundheitsberufe die Möglichkeit zur Buchung von Flügen bei ihr unter Entrichtung allein der für die Buchungen anfallenden Steuern und Gebühren. In diesem Zusammenhang sieht sich das vorlegende Gericht vor die Frage gestellt, ob es sich bei einem solchen reduzierten Tarif, der einer Gruppe von Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten ist, um einen für die Öffentlichkeit verfügbaren Tarif im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 handelt.
34 Insoweit ist zur Tragweite der Wendung „für die Öffentlichkeit verfügbar“ mit der Europäischen Kommission festzustellen, dass ein Tarif auch dann für die Öffentlichkeit verfügbar ist, wenn nicht jeder potenzielle Kunde in der Lage ist, ihn in Anspruch zu nehmen.
35 Der Begriff „Öffentlichkeit“ umfasst nämlich eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten und setzt im Übrigen recht viele Personen voraus (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Juni 2024, GEMA , C‑135/23, EU:C:2024:526, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Um festzustellen, ob eine Gruppe von Personen, zugunsten deren ein reduzierter Tarif gilt, von der „Öffentlichkeit“ unterschieden werden kann, ist insbesondere zu prüfen, ob diese Gruppe hinreichend genau bestimmt ist, ob die betreffenden Personen die vom Luftfahrtunternehmen für die Inanspruchnahme dieses Tarifs vorgegebenen besonderen Merkmale erfüllen und ob das Luftfahrtunternehmen eine einzelfallbezogene Zustimmung vor Ausstellung des Beförderungsscheins vorsieht.
36 Insoweit kann die Gruppe der Angehörigen der Gesundheitsberufe, die abstrakt, ohne nähere Angabe zu den sie verbindenden besonderen Merkmalen beschrieben werden und zu deren Gunsten die Ausstellung von Beförderungsscheinen keiner einzelfallbezogenen Zustimmung im Vorfeld unterliegt, eine Öffentlichkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen. Daraus folgt, dass ein reduzierter Tarif, der einer solchen Gruppe vorbehalten ist, im Sinne dieser Bestimmung „für die Öffentlichkeit verfügbar“ ist.
37 Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 bekräftigt, nach der Flugscheine zum Vorzugstarif, die im Rahmen eines Veranstaltungssponsoring nur einigen bestimmten Personen zur Verfügung stehen und erst nach einer vorherigen und einzelfallbezogenen Zustimmung des Luftfahrtunternehmens ausgestellt werden können, weder für die Öffentlichkeit verfügbar sind, noch im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme ausgegeben werden (Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines , C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 17).
38 Im vorliegenden Fall nahmen die Kläger des Ausgangsverfahrens eine Flugbuchung bei einem Luftfahrtunternehmen im Rahmen einer Werbeaktion vor, die zeitlich eng begrenzt und allein Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten war. Die im Rahmen dieser Werbeaktion angebotenen Tarife waren zwar nicht für die gesamte Bevölkerung verfügbar. Allerdings waren sie nicht einigen individuell bestimmten Personen vorbehalten, sondern einer bestimmten Berufsgruppe, nämlich den Angehörigen der Gesundheitsberufe. Bei dieser Berufsgruppe, die sich aus einer unbestimmten Zahl von Personen zusammensetzt, besteht keine besondere Verbindung zu dem Luftfahrtunternehmen über den Rahmen einer Kundenbeziehung hinaus.
39 Was zudem die zahlenmäßige Beschränkung der im Rahmen der Werbeaktion zur Verfügung stehenden Flugscheine betrifft, geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass diese Beschränkung nicht auf die besonderen Merkmale der betreffenden Berufsgruppe zurückzugehen scheint, sondern offenbar in praktischen Einschränkungen seitens des Luftfahrtunternehmens begründet liegt, das solche Tarife wegen der Gruppengröße nicht für die gesamte Berufsgruppe anbieten konnte.
40 Schließlich könnte zudem eine Auslegung, nach der eine weit gefasste Personengruppe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angehörigen der Gesundheitsberufe nicht als „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen wäre, dem im ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Ziel zuwiderlaufen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
41 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.
Zur dritten Frage
42 Mit seiner für den Fall der Verneinung der ersten beiden Fragen gestellten dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug erforderlich ist, und wie bejahendenfalls dieser zeitliche Zusammenhang zu umgrenzen ist.
43 Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 hat das ausführende Luftfahrtunternehmen bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 dieser Verordnung anzubieten.
44 Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 können die betroffenen Fluggäste zwischen drei Optionen wählen, nämlich erstens der Erstattung der Flugscheinkosten unter bestimmten Bedingungen, gegebenenfalls in Verbindung mit der Organisation eines Rückflugs zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, zweitens einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder drittens einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggasts, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.
45 Wie der Gerichtshof entschieden hat, sieht dieser Artikel klar und deutlich die Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens vor, den Fluggästen, deren Flug annulliert wurde, eine Wahl zwischen den verschiedenen in seinem ersten Absatz aufgeführten Optionen zu bieten, was voraussetzt, dass das Luftfahrtunternehmen den betreffenden Fluggästen alle Informationen über die aus dieser Bestimmung resultierenden Rechte liefert, damit die Fluggäste ihre Rechte im Fall der Annullierung wirksam wahrnehmen können. Ebenso obliegt es dem Luftfahrtunternehmen, Fluggäste entsprechend zu informieren, wenn eine anderweitige Beförderung nicht möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug] , C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 43 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Daraus folgt, dass das Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des Fluges den Fluggästen die Informationen zur Verfügung zu stellen hat, die erforderlich sind, damit sie eine zweckdienliche Wahl treffen können, nämlich, sich entweder ihre Flugscheinkosten erstatten zu lassen oder ihre Reise zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Mit der Zuerkennung eines Informationsanspruchs kann nicht verbunden sein, dass es dem Fluggast in irgendeiner Weise obläge, aktiv an der Suche nach Informationen mitzuwirken, die im Vorschlag des ausführenden Luftfahrtunternehmens enthalten sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Rusu , C‑354/18, EU:C:2019:637, Rn. 54 bis 56).
47 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die von den Klägern des Ausgangsverfahrens ursprünglich gebuchten Flüge von Qatar Airways im September 2020 annulliert wurden. Qatar Airways teilte den Klägern des Ausgangsverfahrens insoweit lediglich mit, dass ihr Endziel Denpasar aufgrund von Umständen, die mit der Covid‑19-Pandemie zusammenhingen, nicht angeflogen werden könne, und verlängerte gleichzeitig die Gültigkeit der in Rede stehenden Flugscheine um zwei Jahre, d. h. bis zum 4. August 2022. Am 8. August 2022 verlangten die Kläger des Ausgangsverfahrens von Qatar Airways gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 eine anderweitige Beförderung zum Endziel zu einem späteren Zeitpunkt nach ihrem Wunsch.
48 Die Verpflichtung zur Erbringung von Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 261/2004 trifft das ausführende Luftfahrtunternehmen unabhängig davon, welches Vorkommnis zur Annullierung des Fluges geführt hat. Selbst bei außergewöhnlichen Umständen entfällt nämlich nach Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung nur die Ausgleichspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens gemäß Art. 7 der Verordnung (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug] , C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 45).
49 Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält auch keinen Hinweis darauf, dass über die in ihrem Art. 5 Abs. 3 genannten „außergewöhnlichen Umstände“ hinaus eine gesonderte Kategorie von „besonders außergewöhnlichen“ Vorkommnissen wie der Covid‑19-Pandemie anerkannt würde, aufgrund deren die ausführenden Luftfahrtunternehmen von allen ihren Verpflichtungen, einschließlich derjenigen nach Art. 8 dieser Verordnung, freigestellt würden (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug] , C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 46).
50 Ein Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, hat daher gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen Anspruch auf Entschädigung durch Wertersatz, falls das Luftfahrtunternehmen seiner sich aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 ergebenden Unterstützungsverpflichtung, einschließlich seiner oben in den Rn. 45 und 46 erläuterten Informationspflicht, nicht nachkommt (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug] , C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 48).
51 Diese Entschädigung ist jedoch auf das beschränkt, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falles als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug] , C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Was speziell die Frage betrifft, ob für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem gewünschten anderweitigen Flug erforderlich ist, so ist dies nach der oben in Rn. 23 angeführten Rechtsprechung zu klären, indem nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihr Regelungszusammenhang und die Ziele berücksichtigt werden, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
53 Als Erstes ist zum Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 festzustellen, dass er kein Erfordernis in Bezug auf das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug enthält. Aus dieser Bestimmung ergibt sich nur, dass die Fluggäste eine anderweitige Beförderung „zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze“ verlangen können. Aus der Wendung „zu einem späteren Zeitpunkt“ geht jedoch nicht hervor, dass damit der Anspruch auf anderweitige Beförderung zeitlich begrenzt würde.
54 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004, dass der Wunsch und das Anliegen des Fluggasts, zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt anderweitig befördert zu werden, maßgebend sind und eine Grenze insoweit nur in der Verfügbarkeit von Plätzen liegt. Demnach kann ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einen für den Fluggast annehmbaren anderweitigen Flug nur dann verweigern, wenn keine Plätze verfügbar sind.
55 Als Zweites ist zum Regelungszusammenhang von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung ausdrücklich ein zeitliches Element vorgesehen hat, das darin besteht, dass der Fluggast eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangen kann. Hätte der Unionsgesetzgeber aber den Anspruch auf anderweitige Beförderung nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung zeitlich begrenzen wollen, so hätte er dies so wie in ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. b präzisiert. Auch die Erwägungsgründe 12 und 13 der Verordnung Nr. 261/2004 enthalten für den Fall der Annullierung eines Fluges keinerlei Bezugnahme auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem annullierten Flug und dem Flug im Rahmen der anderweitigen Beförderung.
56 Außerdem kann der Fluggast, wie sich aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils ergibt, im Fall der Annullierung eines Fluges zwischen einer Erstattung oder einer nachträglichen anderweitigen Beförderung wählen. In Anbetracht dieser Optionen, deren Wahl dem Fluggast vorbehalten ist, würde eine Auslegung, nach der das in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene zeitliche Element für die Zwecke des Anspruchs auf spätere anderweitige Beförderung nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung maßgebend wäre, dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
57 Als Drittes wird die obige Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 durch die mit dieser verfolgten Ziele, wie sie in ihren Erwägungsgründen 1 und 4 genannt werden, bekräftigt, die insbesondere darin bestehen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und deren Rechte zu stärken sowie gleichzeitig den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung zu tragen.
58 Eine Auslegung, die die dem Fluggast nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 eröffneten Optionen übermäßig einschränken würde, liefe nämlich dem mit der Verordnung verfolgten Hauptziel zuwider, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
59 Die vorstehend vorgenommene Auslegung wird auch nicht dadurch entkräftet, dass damit nach dem Vorbringen von Qatar Airways die betroffenen ausführenden Luftfahrtunternehmen über Gebühr belastet würden. Nach ständiger Rechtsprechung kann insoweit die Bedeutung, die dem mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh , C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
60 Jedenfalls begrenzte aber im vorliegenden Fall Qatar Airways infolge der Covid‑19-Pandemie die Gültigkeit der ausgegebenen Flugscheine auf einen Zeitraum von zwei Jahren ab der ursprünglichen Buchung. Die Kläger des Ausgangsverfahrens besaßen Flugscheine, die bis zum 4. August 2022 gültig waren, und verlangten die anderweitige Beförderung nach diesem Zeitpunkt, d. h. am 8. August 2022.
61 Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält keine Bestimmung über Ausschlussfristen für Klagen, die bei den nationalen Gerichten erhoben werden und auf anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung gerichtet sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2012, Cuadrench Moré , C‑139/11, EU:C:2012:741, Rn. 24).
62 Nach ständiger Rechtsprechung ist es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie eine Frage der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren (Urteil vom 22. November 2012, Cuadrench Moré , C‑139/11, EU:C:2012:741, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen die Fluggäste eine anderweitige Beförderung zum Endziel nach Ablauf der Gültigkeit ihrer Flugscheine, hier mehr als zwei Jahre nach der ursprünglichen Buchung, verlangen, ist es daher Sache des nationalen Gerichts, unter Beachtung dieser Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität die zeitlichen Grenzen bei Klagen zu bestimmen, mit denen die Fluggäste ihren Anspruch auf anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 geltend machen.
64 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden.
Kosten
65 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast nicht kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.
2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast nicht zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.
3. Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden.
Unterschriften