Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)
18. September 2024(* )
„ Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Aufnahme des Namens der Klägerin in die Liste – Unterstützung des Regimes – Finanzielle Unterstützung – Staatseigenes Unternehmen – Profitieren von dem Regime – Repressionen gegen die Zivilgesellschaft – Beurteilungsfehler “
In der Rechtssache T‑528/22,
Belaruskali AAT mit Sitz in Soligorsk (Belarus), vertreten durch Rechtsanwalt V. Ostrovskis und Rechtsanwältin E. Anevlavi,
Klägerin,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Rurarz, B. Driessen und A. Boggio-Tomasaz als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
und
Republik Lettland, vertreten durch K. Pommere und J. Davidoviča als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos, des Richters S. Gervasoni sowie der Richterinnen N. Półtorak (Berichterstatterin), I. Reine und T. Pynnä,
Kanzler: M. Zwozdziak-Carbonne, Verwaltungsrätin,
aufgrund des Beschlusses vom 11. November 2022, Belaruskali/Rat (T‑528/22 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:709), mit dem der Präsident des Gerichts den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten hat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die Belaruskali AAT, als Erstes die Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses (GASP) 2022/881 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Durchführung des Beschlusses 2012/642/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine (ABl. 2022, L 153, S. 77) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/876 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Durchführung des Artikels 8a Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine (ABl. 2022, L 153, S. 1) (im Folgenden zusammen: ursprüngliche Rechtsakte) und als Zweites die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2023/421 des Rates vom 24. Februar 2023 zur Änderung des Beschlusses 2012/642/GASP (ABl. 2023, L 61, S. 41) und der Durchführungsverordnung (EU) 2023/419 des Rates vom 24. Februar 2023 zur Durchführung des Artikels 8a der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine (ABl. 2023, L 61, S. 20) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte), soweit diese Rechtsakte sie betreffen.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und nach Klageerhebung eingetretene Umstände
2 Die Klägerin ist einziger Hersteller von Kalidünger in Belarus und einer der größten Kalidüngerproduzenten weltweit.
3 Der vorliegenden Rechtssache liegen die von der Europäischen Union seit 2004 angesichts der Lage in Belarus im Hinblick auf die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte sowie der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine erlassenen restriktiven Maßnahmen zugrunde.
4 Der Rat der Europäischen Union hat am 18. Mai 2006 auf der Grundlage der Art. [75 und 215 AEUV] die Verordnung (EG) Nr. 765/2006 über restriktive Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und verschiedene belarussische Amtsträger (ABl. 2006, L 134, S. 1) und am 15. Oktober 2012 auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss 2012/642/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2012, L 285, S. 1) erlassen.
5 In den bei Erlass der ursprünglichen Rechtsakte jeweils geltenden Fassungen sehen Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 und Art. 2 Abs. 1 und 5 der Verordnung Nr. 765/2006 vor, dass sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren werden, die im Besitz oder Eigentum u. a. natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen, die von dem Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen, oder von diesen Personen, Organisationen oder Einrichtungen gehalten oder kontrolliert werden.
6 Ferner werden gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 und Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 765/2006 auch sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, die im Besitz oder Eigentum u. a. von Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, oder von diesen Personen, Organisationen oder Einrichtungen gehalten oder kontrolliert werden.
7 Am 24. Juni 2021 hat der Rat den Beschluss (GASP) 2021/1031 zur Änderung des Beschlusses 2012/642/GASP (ABl. 2021, LI 224, S. 15) und die Verordnung (EU) 2021/1030 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 (ABl. 2021, LI 224, S. 1) erlassen.
8 Nach Art. 2g des Beschlusses 2012/642 in der durch den Beschluss 2021/1031 geänderten Fassung ist es untersagt, Kaliumchlorid (oder Pottasche) aus Belarus zu erwerben, einzuführen oder weiterzugeben. Nach Art. 1g der Verordnung 765/2006 in der durch die Verordnung 2021/1030 geänderten Fassung ist es verboten, Kaliprodukte gemäß Anhang VIII unmittelbar oder mittelbar aus Belarus einzuführen, zu erwerben oder weiterzugeben, unabhängig davon, ob sie ihren Ursprung in Belarus haben oder nicht (im Folgenden zusammen: sektorspezifische restriktive Maßnahmen).
9 Am 24. Februar 2022 kündigte der Präsident der Russischen Föderation eine Militäroperation in der Ukraine an und am selben Tag griff die russische Armee die Ukraine an mehreren Orten des Landes an.
10 Am 24. Februar 2022 veröffentlichte der Hohe Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik eine Erklärung, mit der er im Namen der Union die „nicht provozierte Invasion“ der Ukraine durch Streitkräfte der Russischen Föderation verurteilte und darauf hinwies, dass „der Preis für die Beteiligung von Belarus an der [zu diesem Zeitpunkt gegen die Ukraine geführten] nicht provozierten und ungerechtfertigten militärischen Aggression hoch sein wird“ und dass „diejenigen, die in Belarus an diesen Angriffen gegen die Ukraine mitwirken, ins Visier [restriktiver Maßnahmen] genommen werden und der Handel in einigen Schlüsselsektoren [beschränkt wird]“.
11 Wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund und den Bezugsvermerken der ursprünglichen Rechtsakte ergibt, wurden diese angesichts der ernsten Lage in Belarus sowie als Reaktion auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und die systematischen Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition erlassen. Die Bezugsvermerke der ursprünglichen Rechtsakte verweisen auch auf die Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine.
12 Mit den ursprünglichen Rechtsakten wurde die Klägerin in Zeile 28 der Tabelle B der in Anhang des Beschlusses 2012/642 und Anhang I der Verordnung Nr. 765/2006 enthaltenen Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, gegen die sich die restriktiven Maßnahmen richten (im Folgenden zusammen: streitige Listen), aufgenommen.
13 In den ursprünglichen Rechtsakten führte der Rat zur Begründung der Aufnahme der Klägerin in die streitigen Listen an:
„Offene Aktiengesellschaft Belaruskali ist ein staatseigenes Unternehmen und einer der größten Kali-Hersteller der Welt; 20 % der Kali-Ausfuhren weltweit entfallen auf dieses Unternehmen. Es ist damit eine wichtige Einkommens- und Devisenquelle für das [Lukaschenko]-Regime. [Alexander] [Lukaschenko] bezeichnete es als ‚nationalen Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren‘. Damit profitiert die ‚Belaruskali‘ vom [Lukaschenko]-Regime und unterstützt dieses.
Beschäftigte der ‚Belaruskali‘, die nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen vom August 2020 in Belarus an Streiks und friedlichen Protesten teilgenommen hatten, wurden von der Unternehmensleitung eingeschüchtert und später entlassen. [Lukaschenko] selbst drohte persönlich damit, die Streikenden durch Bergleute aus der Ukraine zu ersetzen. Daher ist ‚Belaruskali‘ verantwortlich für die Unterdrückung der Zivilgesellschaft in Belarus und unterstützt das [Lukaschenko]-Regime“.
14 Am 7. Juni 2022 veröffentlichte der Rat im Amtsblatt der Europäischen Union eine Mitteilung an die Personen, die den restriktiven Maßnahmen nach [den ursprünglichen Rechtsakten] unterliegen (ABl. 2022, C 221, S. 2). Die hiervon betroffenen natürlichen und juristischen Personen konnten danach beim Rat bis zum 30. November 2022 die Überprüfung des Beschlusses, sie in die streitigen Listen aufzunehmen, beantragen.
15 Mit Schreiben vom 22. Juni 2022 beantragte die Klägerin Zugang zu den Informationen und Beweisen, auf die sich diese Aufnahme stützt.
16 Am 22. Juli 2022 übermittelte der Rat der Klägerin die Arbeitsdokumente mit den Aktenzeichen WK 5532/2022 INIT, WK 5532/2022 ADD 1 und WK 6656/2022 INIT, in denen die Tatsachen angeführt sind, die bei ihrer Aufnahme in die streitigen Listen berücksichtigt worden waren.
17 Mit Schreiben vom 30. November 2022 stellte die Klägerin beim Rat einen Antrag auf Überprüfung ihrer Aufnahme in die streitigen Listen durch die ursprünglichen Rechtsakte (im Folgenden: Überprüfungsantrag).
18 Mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 informierte der Rat die Klägerin über seine Absicht, die restriktiven Maßnahmen gegen sie aufrechtzuerhalten, und übermittelte ihr das zusätzliche Arbeitsdokument mit dem Aktenzeichen 17500/2022 INIT vom 13. Dezember 2022.
19 Am 12. Januar 2023 übermittelte die Klägerin dem Rat ihre Stellungnahme.
20 Am 24. Februar 2023 übersandte der Rat der Klägerin ein förmliches Schreiben, in dem er die in der ursprünglichen Begründung formulierten Angaben wiederholte. In demselben Schreiben brachte der Rat der Klägerin zur Kenntnis, dass er entschieden habe, ihre Aufnahme in die streitigen Listen aufrechtzuerhalten.
21 Mit den Fortsetzungsrechtsakten wurden die gegenüber der Klägerin getroffenen Maßnahmen aus denselben Gründen, die bereits in den ursprünglichen Rechtsakten angeführt worden waren, bis 28. Februar 2024 verlängert (siehe oben, Rn. 13).
22 Die sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen wurden mit Beschluss (GASP) 2022/356 des Rates vom 2. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2012/642/GASP (ABl. 2022, L 67, S. 103) und der Verordnung (EU) 2022/355 des Rates vom 2. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 765/2006 (ABl. 2022, L 67, S. 1) geändert und mit den Fortsetzungsrechtsakten verlängert.
Anträge der Parteien
23 Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,
– die ursprünglichen Rechtsakte und die Fortsetzungsrechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie sie betreffen;
– dem Rat sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
24 Der Rat beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
25 Das Königreich Belgien und die Republik Lettland beantragen Klageabweisung.
Rechtliche Würdigung
Zur Zulässigkeit der nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens eingereichten Dokumente
26 Mit gesondertem Schriftsatz, eingereicht am 8. April 2024, hat die Klägerin neue Beweise vorgelegt und dabei ihre Stellungnahme vom 29. November 2023 zur Verlängerung der Fortsetzungsrechtsakte wiederholt und damit im Wesentlichen bezweckt, das Vorbringen des Rates in dessen Gegenerwiderung zu entkräften.
27 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, rügt, dass die oben in Rn. 26 genannten neuen Beweise unzulässig seien, da sie angesichts Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts verspätet vorgelegt worden seien.
28 Nach Art. 85 Abs. 1 der Verfahrensordnung sind Beweise und Beweisangebote im Rahmen des ersten Schriftsatzwechsels vorzulegen. Gemäß Art. 85 Abs. 2 der Verfahrensordnung können die Hauptparteien für ihr Vorbringen noch in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung Beweise oder Beweisangebote vorlegen, sofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist. Gemäß Art. 85 Abs. 3 können die Hauptparteien ausnahmsweise noch vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor einer Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, Beweise oder Beweisangebote vorlegen, sofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist.
29 Nach der Rechtsprechung kann das Gericht die verspätet vorgelegten Beweise zurückweisen, wenn es zu dem Schluss gelangt, dass deren verspätete Vorlage rechtlich nicht hinreichend gerechtfertigt oder begründet ist, und setzt die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts voraus, dass dargetan wird, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen (Urteil vom 23. November 2023, Ryanair und Airport Marketing Services, C‑758/21 P, EU:C:2023:917, Rn. 49). Im vorliegenden Fall bringt die Klägerin nichts vor, was die verspätete Vorlage der in Rede stehenden zusätzlichen Beweise am 8. April 2024, d. h. zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung, rechtfertigen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2021, Ryanair u. a./Kommission, T‑448/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:626, Rn. 58).
30 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin die verspätete Vorlage der am 8. April 2024 eingereichten Beweise nicht im Sinne von Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung rechtlich hinreichend gerechtfertigt hat. Diese sind daher unzulässig und werden vom Gericht bei der Prüfung der vorliegenden Klage nicht berücksichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2021, Ryanair u. a./Kommission, T‑448/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:626, Rn. 63).
31 Als Erstes ist der Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte zu prüfen, als Zweites der Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte.
Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte
32 Ihren Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte stützt die Klägerin auf fünf Klagegründe. Der erste Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Gebot rechtmäßigen Handelns geltend gemacht wird, ist in fünf Teile untergliedert (Verstoß gegen die Grund- und Menschenrechte; Verstoß gegen Rechtsakte des internationalen Rechts; Verstoß gegen die in den rechtlichen Grundlagen der Union niedergelegten Ziele; Verstoß gegen den Grundsatz, dass Maßnahmen zielgerichtet sein müssen; Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit). Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Beurteilungsfehler geltend gemacht. Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot geltend gemacht. Mit dem vierten Klagegrund wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht. Mit dem fünften Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend gemacht.
33 Zunächst ist der fünfte Klagegrund zu prüfen, anschließend der fünfte Teil des ersten Klagegrundes, danach der zweite Klagegrund, dann der zweite Teil des ersten Klagegrundes, hiernach der erste, der dritte und der vierte Teil des ersten Klagegrundes zusammen mit dem vierten Klagegrund und schließlich der dritte Klagegrund.
Fünfter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht
34 Die Klägerin macht geltend, dass die vom Rat im Anhang des Beschlusses 2022/881 angeführten Gründe lediglich die Kriterien wiedergäben, die zur Rechtfertigung der Aufnahme in die Liste angewandt würden, und nicht näher ausgeführt werde, inwiefern sie das Lukaschenko-Regime unterstütze, von diesem Regime profitiere oder für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft in Belarus verantwortlich sei. Nach der Rechtsprechung könne eine solche Behauptung ohne jegliche Information, die sie belegen könnte, keine hinreichende Begründung seitens des Rates darstellen.
35 Der Rat, unterstützt durch die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
36 Es ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsakts, die aus dem Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte folgt, dem Zweck dient, zum einen den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und zum anderen dem Unionsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts zu ermöglichen (vgl. Urteil vom 23. September 2014, Ipatau/Rat, T‑646/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:800, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung muss die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene ihr die Gründe für die erlassenen Maßnahmen entnehmen und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 23. September 2014, Ipatau/Rat, T‑646/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:800, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Die Begründung eines Rechtsakts des Rates, mit dem eine restriktive Maßnahme verhängt wird, muss nicht nur die Rechtsgrundlage dieser Maßnahme bestimmen, sondern auch die spezifischen und konkreten Gründe angeben, aus denen der Rat in Ausübung seines Ermessens annimmt, dass der Betroffene einer solchen Maßnahme zu unterwerfen ist (vgl. Urteil vom 24. Mai 2023, Lyubetskaya/Rat, T‑556/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:283, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung muss allerdings der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden ist, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 23. September 2014, Ipatau/Rat, T‑646/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:800, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Insbesondere ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihn in die Lage versetzt, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. Urteil vom 23. September 2014, Ipatau/Rat, T‑646/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:800, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).
41 Insoweit verweisen die in der Begründung verwendeten Formulierungen „profitiert von dem [Lukaschenko‑]Regime und unterstützt es“ ausdrücklich auf die oben in den Rn. 5 und 6 genannten streitigen Aufnahmekriterien, aus denen sich ergibt, dass in die streitigen Listen die Personen, Organisationen und Einrichtungen aufzunehmen sind, die als Nutznießer oder Unterstützer des Lukaschenko-Regimes identifiziert wurden oder für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind, oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben. Somit konnte die Klägerin ohne Weiteres erkennen, auf welchen Kriterien ihre Aufnahme in die streitigen Listen beruhte.
42 Wie sich aus der oben in Rn. 13 wiedergegebenen Begründung der Aufnahme der Klägerin in die streitigen Listen ergibt, wurde diese in die genannten Listen aufgenommen, weil sie ein staatliches Unternehmen und einer der größten Kaliproduzenten der Welt ist, der 20 % der weltweiten Kaliexporte liefert. Als solcher ist sie eine der Haupteinnahme- und ‑devisenquellen für das Regime Lukaschenkos, der sie als „ein[en] nationalen Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren“ beschrieben hat. Folglich profitiert die Klägerin von dem Lukaschenko-Regime und unterstützt es. Zudem wurden ihre Angestellten, die an den Streiks und friedlichen Demonstrationen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 in Belarus teilgenommen hatten, von der Geschäftsführung des Unternehmens eingeschüchtert und entlassen. Präsident Lukaschenko selbst drohte persönlich damit, die Streikenden durch Bergleute aus der Ukraine zu ersetzen. Mithin nennen die ursprünglichen Rechtsakte „spezifische und konkrete Gründe“ im Sinne der oben in Rn. 38 angeführten Rechtsprechung, aus denen die Klägerin nach Ansicht des Rates für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft in Belarus verantwortlich ist und das Lukaschenko-Regime unterstützt, d. h. die Gründe, aus denen restriktive Maßnahmen gegen die Klägerin verhängt wurden.
43 Nach alledem sind die ursprünglichen Rechtsakte rechtlich hinreichend begründet und der fünfte Klagegrund ist als unbegründet zurückzuweisen.
Fünfter Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit
44 Die Klägerin macht geltend, dass sich aus dem Verweis auf das Gebot rechtmäßigen Handelns in Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Voraussetzung ergebe, dass Rechtsvorschriften bestimmt und vorhersehbar sein müssten. Die Begriffe, die in den einschlägigen Kriterien verwendet würden, auf die sich ihre Aufnahme in die streitigen Listen stütze, seien jedoch nicht klar. Genauer gesagt seien folgende Begriffe nicht klar: „Lukaschenko-Regime“, „Unterstützung“, „profitieren“, „Zivilgesellschaft“ und „Repressionen“.
45 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
46 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kriterien für die Aufnahme in die streitigen Listen „Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich sind“ und „von dem [Lukaschenko‑]Regime profitieren oder es unterstützen“ erfassen; diese Kriterien sind in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642 vorgesehen. Das Vorbringen der Klägerin stellt daher maßgeblich auf diese Bestimmung des Beschlusses 2012/642 ab.
47 In dieser Hinsicht erlaubt die Rechtsprechung die Annahme, dass eine Einrede der Rechtswidrigkeit implizit erhoben worden ist, da aus der Klageschrift hinreichend klar hervorgeht, dass die Klägerin tatsächlich eine solche Rüge erheben wollte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 56; vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑348/14, EU:T:2016:508, Rn. 57, und vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 39 [nicht veröffentlicht]).
48 Die Auslegung der Klageschrift, insbesondere deren Rn. 104, ergibt, dass sich die Klägerin, auch wenn sie nicht ausdrücklich die Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV erhebt, gleichwohl im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte die Rechtswidrigkeit der oben genannten, in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642 vorgesehenen Kriterien geltend macht.
49 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Rechtssicherheit, der einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, insbesondere gebietet, dass Rechtsvorschriften, vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen. Auch eine Sanktion, die keinen strafrechtlichen Charakter trägt, darf nur verhängt werden, wenn sie auf einer klaren und eindeutigen Rechtsgrundlage beruht. Der Grundsatz der Rechtssicherheit beinhaltet insbesondere, dass jede Unionsregelung, insbesondere wenn sie die Verhängung von Sanktionen vorschreibt oder gestattet, klar und bestimmt ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können. Dieses Erfordernis einer klaren und bestimmten Rechtsgrundlage wurde auch für den Bereich der restriktiven Maßnahmen bestätigt (vgl. Urteil vom 4. September 2015, NIOC u. a./Rat, T‑577/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:596, Rn. 131 und 132 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (vgl. Urteil vom 2. September 2021, CRCAM, C‑337/20, EU:C:2021:671, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Außerdem hat der Unionsrichter im Rahmen der von ihm vorgenommenen gerichtlichen Kontrolle restriktiver Maßnahmen dem Rat einen weiten Bewertungsspielraum bei der Festlegung der allgemeinem Kriterien zuzugestehen, mit denen der Kreis der Personen bestimmt wird, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt werden können (Urteil vom 13. September 2018, Vnesheconombank/Rat, T‑737/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:543, Rn. 94).
52 Die Existenz vager Begriffe in einer Bestimmung führt nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten, und die Tatsache, dass ein Gesetz einen Bewertungsspielraum verleiht, verletzt als solche nicht das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, sofern der Umfang und die Modalitäten der Nutzung eines solchen Spielraums im Hinblick auf das in Rede stehende legitime Ziel hinreichend deutlich festgelegt sind, um dem Einzelnen einen angemessenen Schutz vor Willkür zu gewähren. Außerdem steht das mit dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von Strafen – wonach das Gesetz Straftaten und Strafen klar definieren muss – einhergehende Erfordernis der Vorhersehbarkeit einem durch das Gesetz verliehenen Bewertungsspielraum, dessen Umfang und Ausübungsmodalitäten hinreichend deutlich festgelegt sind, nicht entgegen. Diese Rechtsprechungsgrundsätze gelten auch für restriktive Maßnahmen, die zwar an und für sich keine Maßnahmen zur Ahndung von Zuwiderhandlungen, sondern Präventivmaßnahmen darstellen, aber die Rechte und Freiheiten der Betroffenen stark beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2014, National Iranian Oil Company/Rat, T‑578/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:678, Rn. 116 und 117, und vom 4. September 2015, NIOC u. a./Rat, T‑577/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:596, Rn. 135 und 136 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Nach dem Vorstehenden ist erstens festzustellen, dass die weite Formulierung der streitigen Kriterien, die dem Rat einen Bewertungsspielraum einräumt, mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit in Einklang stehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2016, Tose’e Ta’avon Bank/Rat, T‑435/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:531, Rn. 39).
54 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Bedeutung und Tragweite der fraglichen Begriffe entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen sind, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehören, und die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen darf, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen (Urteil vom 18. Oktober 2023, MAZ-upravljajusaja kompanija holdinga Belavtomaz/Rat, T‑532/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:656, Rn. 52).
55 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass eine Verordnung, die restriktive Maßnahmen vorsieht, im Licht nicht nur des im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik angenommenen Beschlusses nach Art. 215 Abs. 2 AEUV, sondern auch des historischen Kontexts auszulegen ist, in dem die von der Union erlassenen Bestimmungen stehen, in die sich diese Verordnung einfügt. Dies gilt auch für einen Beschluss im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der unter Berücksichtigung des Kontexts auszulegen ist, in den er sich einfügt (Urteil vom 18. Oktober 2023, MAZ-upravljajusaja kompanija holdinga Belavtomaz/Rat, T‑532/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:656, Rn. 53).
56 Im Licht der oben in Rn. 55 angeführten Rechtsprechung ist anzumerken, dass die Kriterien „Nutznießer“ des Lukaschenko-Regimes und „Unterstützung“ dieses Regimes im Rahmen der seit 2004 gegenüber Belarus erlassenen restriktiven Maßnahmen durch Art. 1 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2012/36/GASP des Rates vom 23. Januar 2012 zur Änderung des Beschlusses 2010/639/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Belarus (ABl. 2012, L 19, S. 31) eingeführt wurden.
57 Aus den Erwägungsgründen 3 und 4 des Beschlusses 2012/36 ergibt sich, dass angesichts der sehr ernsten Lage in Belarus weitere restriktive Maßnahmen gegen dieses Land erlassen werden sollten, u. a. gegen Personen und Organisationen, die Nutznießer des Lukaschenko-Regimes sind oder es unterstützen, insbesondere Personen und Organisationen, die das Regime in finanzieller oder materieller Hinsicht unterstützen.
58 Art. 2 der Verordnung Nr. 765/2006 wurde daher durch Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 114/2012 des Rates vom 10. Februar 2012 zur Änderung der Verordnung Nr. 765/2006 (ABl. 2012, L 38, S. 3) geändert.
59 Am 1. November 2012 wurde der Beschluss 2010/639/GASP des Rates vom 25. Oktober 2010 über restriktive Maßnahmen gegen einzelne belarussische Amtsträger (ABl. 2010, L 280, S. 18) aufgehoben und durch den Beschluss 2012/642 ersetzt.
60 Wie sich aus den Erwägungsgründen 1 bis 5 und 8 des Beschlusses 2012/642 ergibt, wurden die Maßnahmen gegen Belarus erlassen und verlängert, weil in diesem Land die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit weiterhin nicht beachtet wurden, und deshalb u. a. gegen jene Personen verhängt, die für die Fälschungen und die Verletzung internationaler Wahlstandards bei bestimmten Wahlen oder Referenden in Belarus verantwortlich sind, sowie gegen Personen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und die Repression gegen friedliche Demonstranten im Anschluss an diese Wahlen oder Referenden verantwortlich sind.
61 Hierzu ist außerdem darauf hinzuweisen, dass nach dem sechsten Erwägungsgrund des Beschlusses 2012/642 hinsichtlich der Personen und Organisationen, die von dem Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen, insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, Personen und Organisationen, die das Regime finanziell oder materiell unterstützen, ins Visier genommen werden sollen.
62 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Rat mit der Einführung des Profitierens von dem Lukaschenko-Regime und dessen Unterstützung als Kriterien für die Aufnahme eines Namens in die streitigen Listen beabsichtigt hat, angesichts der schwerwiegenden und anhaltenden Nichtachtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit sowie der Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus den auf dieses Regime ausgeübten Druck durch die Erweiterung des Kreises der Personen und Organisationen, gegen die restriktive Maßnahmen der Union verhängt werden, zu erhöhen. Daher hat der Rat die Möglichkeit vorgesehen, die Maßnahmen des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen u. a. auf Personen und Organisationen anzuwenden, die von dem Lukaschenko-Regime profitieren und es unterstützen, insbesondere, aber nicht ausschließlich, diejenigen, die es finanziell unterstützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2023, MAZ-upravljajusaja kompanija holdinga Belavtomaz/Rat, T‑532/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:656, Rn. 60).
63 Hinsichtlich der Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind, ergibt sich aus dem Kontext, in dem der Ausdruck „für die Repression verantwortlich“ verwendet wird, insbesondere daraus, dass in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 und in Art. 2 Abs. 4 der Verordnung Nr. 765/2006 die Formulierung „Personen, Organisationen oder Einrichtungen …, die für … die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben“, verwendet wird, dass die normative Absicht darin bestand, mit diesem Kriterium allgemein alle Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erfassen, deren Tätigkeiten der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit in Belarus schweren Schaden zufügen. Darüber hinaus zeigt die Verwendung des Ausdrucks „auf andere Weise“ im zweiten Teil der genannten Bestimmungen die normative Absicht, Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition als eine Art von Aktivitäten anzusehen, die der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit in Belarus ernsthaft schaden. Schließlich ist die Verwendung des Begriffs „Aktivitäten“ ein Hinweis auf die normative Absicht, Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erfassen, deren Tätigkeiten der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit in Belarus aufgrund der Tatsache, dass diese Tätigkeiten zu diesen Beeinträchtigungen beitragen, ernsthaft schaden, unabhängig davon, ob in dieser Hinsicht eine Absicht vorliegt oder nicht (Urteil vom 15. Februar 2023, Belaeronavigatsia/Rat, T‑536/21, EU:T:2023:66, Rn. 27).
64 Drittens betreffen die Behauptungen der Klägerin zum Verständnis der in den Aufnahmekriterien verwendeten Formulierungen, nämlich des Ausdrucks „Lukaschenko-Regime“, des Begriffs „Unterstützung“, des Verbs „profitieren“, des Ausdrucks „Zivilgesellschaft“ und des Begriffs „Repressionen“, nicht die Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, sondern vielmehr die Anwendung dieser Kriterien durch den Rat, was Gegenstand des zweiten Klagegrundes ist.
65 Folglich stellt das Vorbringen der Klägerin die Rechtmäßigkeit der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642 aufgestellten Kriterien, die hinreichend klar und bestimmt sind, nicht in Frage. Mithin wahren diese Kriterien den Grundsatz der Rechtssicherheit.
66 Der fünfte Teil des ersten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.
Zweiter Klagegrund: offensichtlicher Beurteilungsfehler
67 Der zweite Klagegrund ist in zwei Teile untergliedert. Mit dem ersten Teil wird geltend gemacht, es sei nicht dargelegt, inwiefern die Klägerin von dem Lukaschenko-Regime profitiere oder dieses unterstütze. Mit dem zweiten Teil wird geltend gemacht, es sei nicht dargelegt, inwiefern die Klägerin für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich sei.
68 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der zweite Klagegrund als auf einen Beurteilungsfehler und nicht auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler gestützt anzusehen ist. Der Rat verfügt zwar bei der Einzelfallentscheidung, ob die rechtlichen Kriterien, auf die sich die fraglichen restriktiven Maßnahmen stützen, erfüllt sind, in der Tat über einen Bewertungsspielraum, jedoch müssen die Unionsgerichte eine grundsätzlich vollständige Überwachung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union sicherstellen (vgl. Urteil vom 6. September 2023, Pumpyanskiy/Rat, T‑291/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:499, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte garantierte Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle u. a. erfordert, dass sich die Unionsgerichte, wenn sie die Rechtmäßigkeit der einer Entscheidung, den Namen einer Person oder Organisation in die Listen der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder darauf zu belassen, zugrunde liegenden Begründung prüfen, vergewissern, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person oder Organisation begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (Urteil vom 13. September 2023, Synesis/Rat, T‑97/21 und T‑215/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:531, Rn. 35).
70 Im Streitfall ist es nämlich Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person oder Organisation vorliegenden Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person oder Organisation, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind (vgl. Urteil vom 13. September 2023, Synesis/Rat, T‑97/21 und T‑215/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:531, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 Übermittelt die zuständige Unionsbehörde relevante Informationen oder Beweise, müssen die Unionsgerichte die inhaltliche Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen anhand dieser Informationen oder Beweise prüfen und deren Beweiskraft anhand der Umstände des Einzelfalls und im Licht etwaiger dazu abgegebener Stellungnahmen, insbesondere der betroffenen Person oder Organisation, würdigen (vgl. Urteil vom 13. September 2023, Synesis/Rat, T‑97/21 und T‑215/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:531, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Es ist daran zu erinnern, dass zur Rechtfertigung der Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen die oben in Rn. 13 genannten Gründe angeführt wurden. Daher ist zuerst zu prüfen, ob die in der Begründung der Entscheidung, den Namen der Klägerin in die streitigen Listen aufzunehmen, angeführten Tatsachen feststehen, und anschließend, ob sie unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642 fallen.
– Erster Teil: mangelnder Nachweis, inwiefern die Klägerin von dem Lukaschenko-Regime profitiere oder dieses unterstütze
73 Die Klägerin bestreitet die für ihre Aufnahme in die streitigen Listen angegebene Begründung, dass sie von dem Lukaschenko-Regime profitiere oder dieses unterstütze.
74 Erstens bestätigt die Klägerin, was die Behauptung, wonach sie „ein staatliches Unternehmen ist“, anbelangt, dass ihr Kapital von der Republik Belarus gehalten wird. Gegen die Regierung der Republik Belarus seien keine restriktiven Maßnahmen verhängt worden und diese scheine nicht unter das Lukaschenko-Regime zu fallen. Außerdem lasse die bloße Tatsache, dass ihre Aktien von der Republik Belarus gehalten würden, nicht darauf schließen, dass sie das Lukaschenko-Regime unterstützt oder davon profitiert habe.
75 Was zweitens die Behauptung anbelangt, dass die Klägerin „einer der größten Kaliproduzenten der Welt ist, der 20 % der weltweiten Kaliexporte liefert“ und dass „[s]ie als solcher eine der Haupteinnahme- und ‑devisenquellen für das [Lukaschenko‑]Regime [ist]“, bestätige dies lediglich, dass die Klägerin einer der größten Kaliproduzenten der Welt ist.
76 Die Klägerin erläutert insoweit, dass sie wie alle anderen belarussischen Unternehmen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten verpflichtet sei, einen finanziellen Beitrag zum Staatshaushalt zu leisten, wie es die belarussischen Rechtsvorschriften verlangen. Die gezahlten Steuern seien nach der Rechtsprechung jedoch keine Form der Finanzierung des Regimes. Für die Beiträge des Unternehmens zum staatlichen Zweckfonds für nationale Entwicklung und die Dividendenausschüttung gelte Entsprechendes.
77 Was als Drittes die Behauptung anbelangt, dass „[Lukaschenko] sie als einen ‚nationalen Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren‘ beschrieben [hat]“, merkt die Klägerin an, dass es sich dabei lediglich um eine rhetorische Figur handele, die nicht darauf schließen lasse, dass sie einen Sonderstatus innehabe.
78 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
79 Erstens steht zunächst fest, dass die Klägerin ein staatseigenes Unternehmen ist, da ihr gesamtes Kapital von der Republik Belarus gehalten wird. Die Klägerin hat außerdem vorgetragen, die Kommission für Staatsvermögen sei ihr wirtschaftlich Berechtigter.
80 Ferner räumt die Klägerin, wie sich auch aus der Akte ergibt, zum einen selbst ein, dass sie „in der Tat einer der größten Kaliproduzenten der Welt ist[, der] im Jahr 2019 12 045 920 Tonnen, im Jahr 2020 12 479 064 Tonnen und im Jahr 2021 13 798 250,39 Tonnen Kaliumchlorid produziert hat“, dass „der Weltmarktanteil der von [ihr] produzierten Kalidünger ca. 20 % beträgt“, dass „[d]ie belarussischen Kalidünger in mehr als 110 Länder weltweit exportiert wurden“ und dass sie „einer der größten Arbeitgeber des Landes [ist, der] 17 622 Arbeitnehmer beschäftigt“. Zum anderen bestreitet sie nicht das Vorbringen des Rates, dass Präsident Lukaschenko sie als „ein[en] nationalen Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren“ beschrieben habe.
81 Des Weiteren bestreitet die Klägerin nicht, dass ihr Generaldirektor von Präsident Lukaschenko ernannt wird und dass der Ministerrat der Republik Belarus den Ersten stellvertretenden Premierminister und den Finanzminister als Staatsvertreter bei der Klägerin ernannt hat.
82 Schließlich bestreitet die Klägerin auch die vom Rat beigebrachte Information nicht, dass sie im Jahr 2019 einen Nettogewinn von mehr als 4,797 Mrd. belarussische Rubel (BYN) (ca. 1,8 Mrd. Euro) erzielt hat. Ferner bestätigt sie, dass sie Dividenden an den Staat als ihren Aktionär ausschüttet und dass sie zusätzlich zu den Steuern Pflichtbeiträge an den staatlichen Zweckfonds für nationale Entwicklung abgeführt hat.
83 Die Auffassung des Rates, die Klägerin sei ein öffentliches Unternehmen und einer der größten Kaliproduzenten, der 20 % der weltweiten Kaliexporte geliefert habe, und als solcher eine der Haupteinnahme- und ‑devisenquellen für das Lukaschenko-Regime, lässt folglich keinen Fehler erkennen.
84 Zweitens macht die Klägerin geltend, dass sich aus den oben genannten Tatsachen weder ergebe, dass sie das „Regime unterstütze“, noch dass sie von diesem im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 profitiere.
85 Nach der oben in Rn. 54 angeführten Rechtsprechung ist die Bedeutung und Tragweite der fraglichen Begriffe entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehören, und das Gebot zu beachten ist, dass die praktische Wirksamkeit ihres klaren und unmissverständlichen Wortlauts gewahrt werden muss.
86 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich sowohl aus dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642, der auf Personen und Organisationen abstellt, die „von dem Lukaschenko-Regime profitieren oder es unterstützen“, als auch dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel, den auf dieses Regime ausgeübten Druck zu erhöhen, ergibt, dass die Beziehungen, in denen bestimmte Personen und Organisationen zu diesem Regime stehen, den Erlass restriktiver Maßnahmen rechtfertigen, soweit diese Beziehungen sich in einer, insbesondere finanziellen, Unterstützung manifestieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2023, MAZ-upravljajusaja kompanija holdinga Belavtomaz/Rat, T‑532/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:656, Rn. 65).
87 Zum einen macht der Rat hinsichtlich der Unterstützung des Regimes geltend, dass die Klägerin Unterstützung in Form von Einnahmen, insbesondere Dividenden, Gewinnsteuern, der Mehrwertsteuer, Verbrauchsteuern, die von Endverbrauchern auf ihre Produkte gezahlt werden, sowie Einkommensteuern und Sozialversicherungsbeiträgen ihrer Beschäftigten leiste.
88 Aus der Akte ergibt sich, dass die finanzielle Unterstützung durch Ausfuhrabgaben und ‑zölle der Klägerin 8 % bis 10 % des gesamten belarussischen Haushalts ausmacht. Ihre Einnahmen beliefen sich im Jahr 2019 auf 4,797 Mrd. BYN (ca. 1,8 Mrd. Euro). Die Dividenden, die Belarus im selben Jahr erhalten hat, wurden auf 64,03 BYN (ca. 24 Euro) pro Aktie geschätzt.
89 Der Rat hat insbesondere auch berücksichtigt, dass die Klägerin einer der größten Kaliproduzenten der Welt ist, der 20 % der weltweiten Kaliexporte geliefert hat, dass sie eine der Haupteinnahme- und ‑devisenquellen für das Lukaschenko-Regime darstellt, dass Präsident Lukaschenko erklärt hatte, dass die Regierung sie stets unterstützen werde, und sie als „ein[en] nationalen Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren“ beschrieben hat, was die Klägerin nicht bestreitet.
90 Außerdem macht die Klägerin geltend, dass sie nach belarussischem Recht aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten einen finanziellen Beitrag zum Staatshaushalt leisten müsse und die Verwendung der erhaltenen Mittel somit unter strikter Einhaltung der belarussischen Gesetze erfolge.
91 Insofern musste die Klägerin aufgrund des Beschlusses Nr. 772 vom 18. November 2019 des Ministerrats der Republik Belarus gemäß Abs. 3-2 des Erlasses des Präsidenten der Republik Belarus Nr. 637 vom 28. Dezember 2005 über das Verfahren zur Einstellung eines Teils der Gewinne der Staatsunternehmen und der staatlichen Vereinigungen, die Handelsorganisationen sind, sowie der Einnahmen aus Dividenden (der Anteile am Gesellschaftskapital) der vom Staat oder den Gemeinden gehaltenen Wirtschaftsunternehmen in den Haushalt und die Bildung eines zweckspezifischen Haushaltsfonds für nationale Entwicklung (Nationales Rechtsaktregister der Republik Belarus Nr. 1/7075 vom 29. Dezember 2005, im Folgenden: Erlass Nr. 637) für das erste Halbjahr 2019 mehr als 46 Mio. BYN (ca. 17,6 Mio. Euro) ihres Übergewinns an den staatlichen Zweckfonds für nationale Entwicklung abführen.
92 Es ist darauf hinzuweisen, dass schon der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642, auf den Art. 2 Abs. 5 der Verordnung Nr. 765/2006 verweist, auf die „Unterstützung“ des Lukaschenko-Regimes abstellt. Daher genügt bereits der Umstand, dass die Klägerin Dividenden an den belarussischen Staat ausschüttet, die somit dem Lukaschenko-Regime zur Verfügung stehen, und Pflichtbeiträge zum staatlichen Zweckfonds für nationale Entwicklung leistet, für die Feststellung, dass eine finanzielle Unterstützung vorliegt.
93 Zwar hat das Gericht in der Rechtssache, in der das Urteil vom 6. Oktober 2015, Chyzh u. a./Rat (T‑276/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:748, Rn. 169) ergangen ist, entschieden, dass der Rat nicht schon aus der bloßen Zahlung von Steuern auf eine „Unterstützung des Regimes“ schließen darf, da eine solche Zahlung eine gesetzliche Pflicht darstellt, die für alle belarussischen Steuerpflichtigen gilt.
94 Vorliegend kann jedoch dem Vorbringen der Klägerin, soweit sie Dividenden den Steuern im Sinne der oben in Rn. 93 angeführten Rechtsprechung gleichsetzt, nicht gefolgt werden.
95 Aus Abs. 1-1 des Erlasses Nr. 637 ergibt sich nämlich, dass die Unternehmen, die verpflichtet sind, einen Teil ihrer Gewinne an den Staat oder unterstaatliche Einrichtungen abzuführen, diejenigen sind, deren Entscheidungen vom Staat oder diesen Einrichtungen bestimmt werden. Folglich betrifft diese Verpflichtung lediglich eine bestimmte Kategorie von Wirtschaftsteilnehmern und nicht die Gesamtheit der belarussischen Steuerpflichtigen.
96 Ferner wird nach Abs. 1-2 des Erlasses Nr. 637 der Teil des Gewinns der betroffenen Unternehmen, der an die belarussischen Behörden abgeführt werden muss, nach der Differenz zwischen dem erwirtschafteten Gewinn und insbesondere den mit Steuern und Abgaben verbundenen Belastungen berechnet. Folglich unterscheidet sich die Zahlung, um die es sich hier handelt, formal von Steuern und kommt zu diesen hinzu. Der Umstand, dass für die Einziehung dieses Gewinnanteils, wie sich aus Abs. 3-1 des Erlasses Nr. 637 ergibt, die Steuerverwaltung nach den einschlägigen Steuerverfahren zuständig ist, vermag diese Feststellung nicht in Frage zu stellen.
97 Mithin ist festzuhalten, dass der Umstand, dass die Klägerin verpflichtet ist, nach Maßgabe des Erlasses Nr. 637 einen Teil ihrer Gewinne an den Staat abzuführen, die Beurteilung bestätigt, dass sie das Lukaschenko-Regime finanziell unterstützt, da dieses Regime mit demselben Erlass die von ihm als Alleinaktionär bereits ausgeübte Kontrolle über die Ressourcen der Klägerin weiter erhöht hat, indem es sichergestellt hat, regelmäßig über einen Teil der erzielten Gewinne zu verfügen.
98 Ferner macht die Klägerin geltend, dass die Worte des Präsidenten Lukaschenko, sie sei „ein nationaler Schatz, Stolz, eine der Säulen der belarussischen Ausfuhren“, nicht darauf schließen lassen, dass sie einen Sonderstatus innehabe.
99 Hierzu ist zum einen anzumerken, dass die Klägerin nicht bestreitet, dass die oben in Rn. 98 wiedergegebenen Worte von Präsident Lukaschenko geäußert wurden. Auch wenn diese Worte für sich genommen nicht belegen, dass die Klägerin das Regime des Präsidenten Lukaschenko unterstützt, stellen sie gleichwohl ein Indiz für die Schlüsselrolle dar, die die Klägerin in der belarussischen Wirtschaft einnimmt.
100 Zum anderen steht, was das „[P]rofitieren“ von dem Lukaschenko-Regime anbelangt, fest, dass die Klägerin der einzige Kalidüngerproduzent in Belarus ist.
101 Der Kalidünger-Sektor ist nicht nur ein in Belarus stark regulierter Sektor, sondern, wie die Klägerin selbst einräumt und sich aus den vom Rat vorgelegten Beweisen ergibt, eine Quelle bedeutender Einnahmen. Insoweit genügt bereits der Hinweis, dass die Klägerin im Jahr 2019 einen Nettogewinn von mehr als 4,797 Mrd. BYN (ca. 1,8 Mrd. Euro) erzielt hat (siehe oben, Rn. 88).
102 In der Tat zeigen mehrere vom Rat zur belarussischen Wirtschaftslage vorgelegte Beweisstücke, insbesondere der auf der Website „cepa.org“ veröffentlichte Artikel vom 8. Dezember 2021, der auf der Website „naviny.belsat.eu“ veröffentlichte Artikel vom 15. Oktober 2015, der auf der Website „news.tut.by“ veröffentlichte Artikel vom 13. Dezember 2016, der auf der Website „en.belapan.by“ veröffentlichte Artikel vom 9. Juli 2020 und der auf der Website „russian.rt.com“ veröffentlichte Artikel vom 22. März 2016, dass die belarussische Wirtschaft unter dem Regime des Präsidenten Lukaschenko von der Kontrolle, die das Regime sowohl über den öffentlichen Sektor als auch über den privaten Sektor ausübt, und einem System gekennzeichnet ist, das Loyalität gegenüber dem Regime belohnt.
103 Daher durfte der Rat aus den oben in Rn. 102 genannten Beweisen und dem Bestehen eines von der Klägerin als Staatsunternehmen auf einem aus der Perspektive der belarussischen Gesamtwirtschaft derart wichtigen Markt wie dem der Kalidünger ausgeübten Monopols schließen, dass die Klägerin von dem Lukaschenko-Regime profitierte.
104 Nach alledem hat der Rat bei Erlass der ursprünglichen Rechtsakte fehlerfrei angenommen, dass die Klägerin das Regime im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2012/642 unterstützte und von ihm profitierte.
– Zweiter Teil: fehlender Nachweis dafür, dass die Klägerin für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich ist
105 Die Klägerin greift die Begründung ihrer Aufnahme in die streitigen Listen insoweit an, als angegeben werde, dass sie für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft in Belarus verantwortlich sei und das Lukaschenko-Regime unterstütze.
106 Erstens trägt die Klägerin im Hinblick auf die Behauptung, dass „[d]ie Angestellten [der Klägerin], die an den Streiks und friedlichen Demonstrationen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 in Belarus teilgenommen hatten, … von der Geschäftsführung der Klägerin eingeschüchtert und entlassen [wurden]“ vor, das Streikrecht sei kein absolutes Recht. Es könne unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen beschränkt werden. Insbesondere sehe das belarussische Arbeitsgesetzbuch vor, dass der Aufruf zum Streik bestimmte verfahrensrechtliche Voraussetzungen erfüllen müsse. Für den Streik bei der Klägerin im August 2021 habe keine dieser Voraussetzungen vorgelegen.
107 Außerdem seien die von dem selbst ernannten, aus 14 Mitgliedern bestehenden „Stachcom“ (Streikkomitee) gestellten Forderungen weit überwiegend politischer Art.
108 Ferner habe es sich bei den meisten Sanktionen, die Beschäftigten auferlegt worden seien, um Sanktionen wegen Abwesenheit von der Arbeit und nicht um Kündigungen gehandelt. Wichtig sei auch, anzumerken, dass die Klägerin zwischen dem 30. November 2020 und dem 20. Januar 2021 alle Disziplinarmaßnahmen gegenüber den betroffenen Angestellten aufgehoben habe. Die Behauptung, Angestellte seien entlassen worden, „weil sie an Demonstrationen teilgenommen haben“ sei folglich unrichtig.
109 Schließlich sei die Behauptung des Rates, die Arbeitnehmer, die an dem „Streik“ teilgenommen hätten, seien „eingeschüchtert“ worden, durch keinerlei Beweise gestützt.
110 Zweitens stellt die Klägerin hinsichtlich der Behauptung, dass „Lukaschenko persönlich die Ersetzung der Streikenden durch Bergleute aus der Ukraine angedroht hat“ fest, diese scheine Wort für Wort einem Artikel der BBC entnommen zu sein. Insoweit habe das Gericht jedoch bestätigt, dass die Vorlage eines einzelnen Dokuments nicht genüge, um eine Tatsache zu beweisen.
111 Außerdem enthalte diese Erklärung des Präsidenten Lukaschenko keine Drohung.
112 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
113 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Streiks und friedlichen Demonstrationen nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 in Belarus stattgefunden haben.
114 In dieser Hinsicht bestreitet die Klägerin die Richtigkeit der Tatsachen in Bezug auf die Streiks und Demonstrationen nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 nicht, interpretiert diese jedoch anders als der Rat. Denn sie weist die Behauptung zurück, diese Ereignisse hätten, wie der Rat ausführt, Einschüchterungen oder Entlassungen ihrer Angestellten nach sich gezogen.
115 Aus den vom Rat vorgelegten Beweisen ergibt sich, dass sich am 17. und 18. August 2020 6 300 Personen friedlich bei der Klägerin versammelten, um gegen polizeiliche Gewalt zu protestieren. Die Klägerin reagierte hierauf, indem sie die streikenden Angestellten entließ, Erklärungen verlangte und ihnen Prämien entzog, oft für ein ganzes Jahr. Nach den Präsidentschaftswahlen vom 9. September 2020 organisierten die Angestellten zahlreicher staatlicher Staatsunternehmen einschließlich der Angestellten der Klägerin einen Streik zur Unterstützung der Forderungen der Demonstranten nach dem Rücktritt Lukaschenkos, neuen, fairen Wahlen und Gerechtigkeit für die Opfer polizeilicher Gewalt. Der Streik dauerte zwei Tage, bevor er für rechtswidrig erklärt wurde, was Repressionen nach sich zog. Nach den Angaben der Vertreter des Streikkomitees, das zu Beginn des Streiks gebildet worden war, verübten die Geschäftsführung der Klägerin und die Sicherheitskräfte „beispiellose Repressionen“ gegen diejenigen, die gegen den Präsidenten Lukaschenko opponierten: Diese seien gefoltert, geschlagen, einen Tag lang inhaftiert und mit der Wegnahme ihrer Kinder bedroht worden. Gegen einige Mitglieder des Streikkomitees seien lange Haftstrafen verhängt worden. Die Mehrheit der Mitglieder des Streikkomitees sei entlassen worden.
116 Diese Beweise können durch das Vorbringen der Klägerin nicht entkräftet werden, mit dem sie erstens rügt, dass diese irrelevant seien und die Art und Weise, wie die belarussischen Behörden ihre streikenden Angestellten behandelt hätten, subjektiv sei, zweitens, dass nicht erwiesen sei, dass ihr Generaldirektor der Pate des Kindes eines Politikers sei, drittens, dass einige Artikel Fälle von Zigarettenschmuggel nennen würden, bei dem ihr gehörende Wagen verwendet worden seien, viertens, dass einige Artikel die Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb zu negativ beschreiben und fünftens, dass der behauptete Wahlbetrug nicht relevant und nicht bewiesen sei. Die Behauptungen der Klägerin stellen nämlich keine Gründe dar, auf die ihre Aufnahme in die streitigen Listen gestützt ist, so dass ihnen für die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Gründe keine Relevanz zukommt, vielmehr beziehen sie sich auf die Aufnahme anderer Personen und Organisationen.
117 Was als Erstes die Einschüchterungsmaßnahmen gegenüber ihren Angestellten anbelangt, trägt die Klägerin vor, sie habe lediglich das belarussische Arbeitsrecht angewandt, als sie ihnen das Recht zu streiken abgesprochen habe. Außerdem habe sich die behauptete „Einschüchterung“ ihrer Angestellten aus deren Sicht in Mitteilungen der Geschäftsführung manifestiert, mit denen die Arbeitnehmer gewarnt worden seien, dass der Streik rechtswidrig sei und die Teilnahme hieran die Kündigung wegen Abwesenheit von der Arbeit zur Folge haben könne.
118 Hierzu ist anzumerken, dass die behaupteten Einschüchterungsmaßnahmen sowohl von der Klägerin selbst als auch den Behörden ausgingen. Was zum einen die Einschüchterungen durch die Klägerin anbelangt, hat das Ausmaß der mit der Teilnahme von Angestellten an einem friedlichen Streik verbundenen Kündigungen bei diesen nachvollziehbar ein Klima der Angst geschürt. In diesem Sinne hat die Klägerin die Kündigung instrumentalisiert, um ihre Angestellten von der Teilnahme an jeglicher Form von Protest abzuschrecken.
119 Was zum anderen die Einschüchterung durch die Behörden anbelangt, ist anzumerken, dass die Teilnahme an dem Streik zahlreiche Fälle von Gewalt und Festnahmen von Angestellten der Klägerin nach sich zog. Die Zeugnisse und Berichte, die sich aus den vom Rat vorgelegten Beweisen ergeben, sprechen von willkürlichen Festnahmen, Akten körperlicher und psychischer Gewalt und anderen Formen systematischer Einschüchterung. Vor diesem Hintergrund besteht angesichts der oben genannten engen Verbindungen zwischen der Klägerin und dem Regime des Präsidenten Lukaschenko (siehe oben, Rn. 104) kein Zweifel an ihrer gemeinsamen Beteiligung an diesen Repressionen.
120 Entgegen dem Vortrag der Klägerin kommt der Erklärung des Präsidenten Lukaschenko, die Demonstranten könnten durch ukrainische Bergleute ersetzt werden, in diesem Zusammenhang Bedeutung zu. Diese Erklärung fügt sich in eine Dynamik der Bedrohung und Einschüchterung seitens der Behörden ein. In ihr offenbart sich eine verachtende Einstellung des Präsidenten Lukaschenko gegenüber dem Streikrecht und den Anliegen der Angestellten der Klägerin.
121 Was als Zweites die Entlassungen von Angestellten nach dem Beginn des Streiks anbelangt, bringt die Klägerin zum einen vor, sie habe sich lediglich an das belarussische Arbeitsrecht gehalten, und argumentiert, dass sie die Kündigungen nur wegen der Abwesenheit der Angestellten von der Arbeit ausgesprochen habe, nachdem sie den Streik als rechtswidrig beurteilt habe. Die strikte Anwendung des belarussischen Rechts kann indes nicht alle Formen von Repressionen gegen die Angestellten rechtfertigen, die ihre politischen Ansichten äußern. Ließe bereits die Einhaltung nationalen Rechts als alleiniger Grund den Ausschluss der Möglichkeit der Aufnahme in die streitigen Listen zu, würden die Aufnahmekriterien ihres Sinnes entleert, denn der dem Rat insoweit zustehende große Wertungsspielraum würde hierdurch zunichtegemacht.
122 Zum anderen trägt die Klägerin vor, sie habe die Kündigungen nach der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Streiks allein wegen der Abwesenheit der Angestellten von der Arbeit ausgesprochen.
123 Auch wenn die Akte keine Informationen enthält, aus denen sich unmittelbar ergibt, dass der wahre Grund für die Entlassung der Angestellten ihre Abwesenheit von der Arbeit war, zeugen diese Handlungen in der Gesamtschau offenkundig von einem bewussten Willen, die Angestellten für ihre Teilnahme an Aktivitäten, mit denen sie ihre Opposition gegen den Präsidenten Lukaschenko zum Ausdruck gebracht haben, zu bestrafen.
124 Nach alledem hat der Rat bei Erlass der ursprünglichen Rechtsakte die Einschüchterungsmaßnahmen und Kündigungen gegenüber Angestellten der Klägerin, die an den Streiks und friedlichen Demonstrationen nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 teilgenommen hatten, fehlerfrei als ausreichende Beweise für Repressionen der Klägerin gegen die Zivilgesellschaft in Belarus und ihre Unterstützung des Regimes des Präsidenten Lukaschenko im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2012/642 angesehen.
125 Der zweite Klagegrund ist daher in vollem Umfang zurückzuweisen.
– Zweiter Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Akte des internationalen Rechts
126 Die Klägerin macht geltend, die ursprünglichen Rechtsakte verstießen gegen verschiedene multilaterale völkerrechtliche Verträge und internationale Normen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das Übereinkommen über Handelserleichterungen (TFA) und das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das am 10. Dezember 1982 in Montego Bay geschlossen wurde (Vertragssammlung der Vereinten Nationen , Bd. 1833, 1834 und 1835, S. 3, im Folgenden: SRÜ), insbesondere im Hinblick auf die extraterritoriale Wirkung der gegen die Klägerin verhängten restriktiven Maßnahmen.
127 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
128 Erstens ist das Argument, das sich auf einen behaupteten Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip stützt, als unbegründet zurückzuweisen, da die ursprünglichen Rechtsakte nur für Gelder und wirtschaftliche Ressourcen gelten, die sich im Gebiet der Union befinden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. Januar 2007, Minin/Kommission, T‑362/04, EU:T:2007:25, Rn. 106 und vom 13. September 2023, Venezuela/Rat, T‑65/18 RENV, EU:T:2023:529, Rn. 111).
129 Zweitens ist, was die Vereinbarkeit der durch die ursprünglichen Rechtsakte auferlegten Beschränkungen mit dem GATT und dem TFA anbelangt, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Übereinkünfte der Welthandelsorganisation (WTO) wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Normen gehören, an denen die Unionsgerichte die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane messen. Nur wenn die Union eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung hätte erfüllen wollen oder wenn die Unionshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweisen würde, hätten die Unionsgerichte die Rechtmäßigkeit der Handlung an den WTO-Regeln zu messen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2023, Venezuela/Rat, T‑65/18 RENV, EU:T:2023:529, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).
130 Zum einen enthalten die ursprünglichen Rechtsakte keinen Verweis auf diese Übereinkünfte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2023, Venezuela/Rat, T‑65/18 RENV, EU:T:2023:529, Rn. 105).
131 Zum anderen hat die Klägerin nicht angegeben, durch welche Handlungen oder bei welcher Gelegenheit die Union mit der angefochtenen Verordnung eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung hätte erfüllen wollen (Urteil vom 13. September 2023, Venezuela/Rat, T‑65/18 RENV, EU:T:2023:529, Rn. 106).
132 Jedenfalls ist festzustellen, dass Belarus weder Partei des GATT noch des TFA ist. Daher hat die Union keine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Belarus aufgrund dieser Übereinkünfte.
133 Drittens ist zum angeblichen Verstoß gegen das SRÜ anzumerken, dass dessen Art. 89 und 125 einem Binnenstaat, auch wenn sie ihm das Recht auf Zugang zum Meer einräumen, nicht in jeder Situation den Zugang zu einem bestimmten Meer oder einem Hafen seiner Wahl garantieren. Jedenfalls könnten nicht die ursprünglichen Rechtsakte, soweit sie das Einfrieren der Gelder der Klägerin betreffen, sondern allenfalls die sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen das Recht von Belarus auf Zugang zum Meer berühren.
134 Daher ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
Erster, dritter und vierter Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen die Grundrechte, gegen die in den rechtlichen Grundlagen der Union niedergelegten Ziele und den Grundsatz, dass Maßnahmen zielgerichtet sein müssen, sowie vierter Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
135 Mit dem ersten, dem dritten und dem vierten Teil des ersten Klagegrundes sowie dem vierten Klagegrund, die zusammen zu prüfen sind, macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die ursprünglichen Rechtsakte verstießen gegen das Gebot des rechtmäßigen Handelns und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn sie hätten äußerst negative Auswirkungen auf die Grundrechte der Klägerin und Dritter.
136 Mit dem ersten Teil des ersten Klagegrundes rügt die Klägerin, dass die ursprünglichen Rechtsakte das Recht auf Nahrung, das Recht auf Leben und das Recht auf Bildung verletzen, die in zahlreichen Rechtsakten des Völkerrechts vorgesehen sind, namentlich in Art. 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. Dezember 1966 verabschiedet wurde und am 3. Januar 1976 in Kraft getreten ist (Vertragssammlung der Vereinten Nationen, Bd. 993, S. 3), in Art. 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, in der Präambel des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, das am 18. Dezember 1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde und am 3. September 1981 in Kraft getreten ist (Vertragssammlung der Vereinten Nationen , Bd. 1249, Nr. I-20378, S. 13), in Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, das am 20. November 1989 verabschiedet wurde und am 2. September 1990 in Kraft getreten ist (Vertragssammlung der Vereinten Nationen , Bd. 1577, S. 3), in den Art. 25 und 28 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) genehmigt wurde, und in Art. 31 der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien, die bei der Weltkonferenz über Menschenrechte vom 25. Juni 1993 verabschiedet wurden.
137 Die Menschenrechte seien voneinander abhängig, untrennbar und eng verbunden. Dies bedeute, dass eine Verletzung des Rechts auf Nahrung die Verwirklichung anderer Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf Gesundheit, auf Bildung, auf Leben, gefährden könne und umgekehrt. Insbesondere sei, wenn Personen sich nicht mehr ernähren könnten und die Gefahr bestehe, dass sie an Hunger, Mangelernährung oder damit verbundenen Krankheiten sterben, auch ihr Recht auf Leben bedroht.
138 Infolge der gegenüber der Klägerin erlassenen restriktiven Maßnahmen seien ihre Möglichkeiten, „ein Produkt von sozialer Bedeutung mit humanitären Funktionen“ zu vermarkten, eingeschränkt.
139 Um ihr Vorbringen zu untermauern, weist die Klägerin darauf hin, dass ihr Anteil am weltweiten Kalimarkt 20 % betrage. Dieses Produkt werde in mehr als 130 Länder geliefert. Einige Länder seien stark oder sogar vollständig von dem von der Klägerin produzierten Kaliumchlorid abhängig.
140 Ferner gebe es derzeit keinen Hafen, der den Hafen Klaipėda (Litauen) für den Export solcher Mengen belarussischen Kalidüngers ersetzen könne.
141 Daher verletzten die restriktiven Maßnahmen, die der Rat gegen die Klägerin verhängt habe, wegen ihrer extraterritorialen Wirkung das Recht auf Nahrung von Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen auf der Welt.
142 Im Rahmen seiner Zuständigkeit könne der Rat vorübergehende restriktive Maßnahmen einführen, die präventiven Charakter haben müssten. Die restriktiven Maßnahmen gegen die Klägerin hätten jedoch ihrer Natur nach Strafcharakter.
143 Mit dem dritten Teil des ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die ursprünglichen Rechtsakte verstießen gegen die in den Art. 3 und 21 EUV niedergelegten Ziele, da sie dramatische Folgen hervorriefen, die Auswirkungen nicht nur innerhalb der Union, sondern auf der ganzen Welt hätten.
144 Mit dem vierten Teil ihres ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die ursprünglichen Rechtsakte verstießen gegen den Grundsatz, dass Maßnahmen zielgerichtet sein müssen – sie beträfen die Zivilbevölkerung nicht nur in Belarus, sondern auf der ganzen Welt.
145 Mit ihrem vierten Klagegrund macht die Klägerin geltend, die ursprünglichen Rechtsakte hätten die Wirkung, ihren freien Transit zu beschränken, was einen eindeutigen Verstoß gegen internationale Normen darstelle. Außerdem sei offenkundig auch ihre durch das europäische Recht und das internationale Recht als Grundrecht geschützte unternehmerische Freiheit verletzt worden.
146 Die ursprünglichen Rechtsakte hätten die Klägerin folglich vollständig daran gehindert, Kaliumchlorid weltweit zu exportieren.
147 Die Klägerin fügt hinzu, dass die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gegen die Rechte Dritter verstießen und daher unverhältnismäßig seien, da sie eine Vielzahl von Drittländern und deren Bürgern getroffen hätten.
148 In ihrem Überprüfungsantrag an den Rat habe die Klägerin weniger einschränkende Alternativmaßnahmen vorgeschlagen, die als Altnativlösung oder zur Abmilderung der Auswirkungen der Aufnahme in Betracht gekommen wären.
149 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
150 Vorab ist anzumerken, dass der Rat, ohne ausdrücklich die Unzulässigkeit des vierten Klagegrundes geltend zu machen, vorträgt, dieser sei derart vage und allgemein gehalten, dass nicht verständlich sei, worin der angebliche Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehen solle.
151 Die Klägerin äußert sich zu diesem Vorbringen des Rates nicht.
152 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß ihres Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht Anwendung findet, und Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung die Klageschrift u. a. den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass diese Darstellung so klar und genau sein muss, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gericht die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglicht. Folglich müssen sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben. In der Klageschrift ist deshalb darzulegen, worin der Grund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloße abstrakte Nennung den Vorgaben der Verfahrensordnung nicht entspricht (Beschluss vom 18. September 2018, eSlovensko/Kommission, T‑664/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:559, Rn. 29).
153 Ferner ist die Klage nach der Rechtsprechung in dem Bestreben, ihr praktische Wirksamkeit zu verleihen, auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung auszulegen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 28. Juni 2011, Verein Deutsche Sprache/Rat, C‑93/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:429, Rn. 20 und 21).
154 Vorliegend ist, wie sich aus der Darstellung des Vorbringens der Klägerin im Rahmen des vierten Klagegrundes ergibt (siehe oben, Rn. 145), festzustellen, dass der vierte Klagegrund entgegen der Ansicht des Rates hinreichend klar und genau ist, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe zu ermöglichen.
155 Das Vorbringen des Rates in Bezug auf die mangelnde Klarheit des vierten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.
156 Was die Begründetheit anbelangt, verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und in Art. 5 Abs. 4 EUV aufgegriffen wird, dass die von einer Bestimmung des Unionsrechts eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (Urteile vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 122, und vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 133).
157 Was die gerichtliche Kontrolle der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anbelangt, verfügt der Unionsgesetzgeber über einen weiten Wertungsspielraum in Bereichen, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Prüfungen vornehmen muss. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 179 und die dort angeführte Rechtsprechung).
158 Was die mit dem Beschluss 2012/642 und der Verordnung Nr. 765/2006 verfolgten Ziele anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. b EUV die Festigung und Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundsätze des Völkerrechts auf internationaler Ebene eines der Ziele der Union im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) darstellen.
159 Im vorliegenden Fall wurden die restriktiven Maßnahmen gegen Belarus angesichts der ernsten Lage in Belarus und der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, der systematischen Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und gegen die demokratische Opposition und angesichts der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine erlassen.
160 In Anbetracht dessen kann dem Vorbringen der Klägerin, wonach die ursprünglichen Rechtsakte gegen die in den Art. 3 und 21 EUV niedergelegten Ziele verstoßen, kein Erfolg beschieden sein.
161 Nach Art. 3 Abs. 5 EUV „leistet [die Union] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, … zum Schutz der Menschenrechte, … sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen“.
162 Aus den Art. 24 und 29 EUV ergibt sich, dass es grundsätzlich Sache des Rates ist, einstimmig den Gegenstand der restriktiven Maßnahmen festzulegen, die die Union im Bereich der GASP erlässt. Wegen des breiten Spektrums der in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der GASP verfügt der Rat bei der Festlegung des Gegenstands der restriktiven Maßnahmen über einen großen Spielraum (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 88).
163 Im vorliegenden Fall wurden die restriktiven Maßnahmen gegen Belarus angesichts der anhaltenden Missachtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in diesem Land erlassen, wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund des Beschlusses 2012/642 ergibt. Diese Maßnahmen verfolgen das Ziel, Druck auf das Lukaschenko-Regime auszuüben, damit es die Menschenrechtsverletzungen und die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition beendet. Außerdem wurden diese Maßnahmen, wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund und den Bezugsvermerken der ursprünglichen Rechtsakte ergibt, angesichts der ernsten Lage in Belarus sowie als Reaktion auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und auf die systematischen Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition erlassen. Die Begründungen der ursprünglichen Rechtsakte nehmen auch auf die Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine Bezug.
164 Der Ansatz, Personen, Organisationen und Einrichtungen ins Visier zu nehmen, deren Handlungen oder Aktivitäten zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition beitragen, entspricht in kohärenter Weise dem oben in Rn. 61 genannten Ziel und kann jedenfalls nicht als gemessen an dem verfolgten Ziel rechtswidrig angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Februar 2023, Belaeronavigatsia/Rat, T‑536/21, EU:T:2023:66, Rn. 30).
165 Was die Angemessenheit der ursprünglichen Rechtsakte anbelangt, trägt die Klägerin zunächst vor, sie hätten sie vollständig am Export von Kaliumchlorid gehindert.
166 Dieses Vorbringen greift nicht durch.
167 Im Gegensatz zu den sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen, die nicht Gegenstand der vorliegenden Nichtigkeitsklage sind, betreffen die ursprünglichen Rechtsakte nicht das von der Union verhängte Einfuhrverbot für Kaliumchlorid. Folglich verbieten weder die ursprünglichen Rechtsakte noch die sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen den Export belarussischen Kaliumchlorids in Drittländer.
168 Ferner sehen Art. 2g des Beschlusses 2012/642 und Art. 1g der Verordnung 765/2006, die am 24. Juli 2021 durch den Beschluss 2021/1031 und die Verordnung 2021/1030 eingeführt wurden, ausdrücklich vor, dass es untersagt ist, Kaliumchloridprodukte aus Belarus zu erwerben, einzuführen oder weiterzugeben. Folglich geht die Behauptung der Klägerin fehl, die ursprünglichen Rechtsakte, die erst nach den sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen erlassen und mit denen die Gelder der Klägerin eingefroren wurden, hätten den Export oder die Verbringung von Kaliumchlorid innerhalb der Union verhindert. Außerdem hat sie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie bereits zwischen der Einführung der sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen und dem Erlass der ursprünglichen Rechtsakte weder Kaliumchlorid in die Union exportieren noch ihre Produkte im Transitverkehr durch die Union befördern konnte.
169 Schließlich macht die Klägerin geltend, der Erlass der ursprünglichen Rechtsakte habe unverhältnismäßig in ihre unternehmerische Freiheit eingegriffen, der belarussischen Gesellschaft geschadet und die globale Ernährungssicherheit gefährdet.
170 Soweit sich die Klägerin auf mögliche Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit und auf der belarussischen Gesellschaft entstehende Schäden beruft, bringt sie keine spezifischen Argumente oder Beweismittel vor, die diese Behauptung stützen könnten. Hieraus folgt, dass die Klägerin keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass die ursprünglichen Rechtsakte unverhältnismäßig in ihre unternehmerische Freiheit eingriffen und der belarussischen Gesellschaft schadeten.
171 Ihr Vorbringen in Bezug auf eine mögliche Gefährdung der globalen Ernährungssicherheit stützt die Klägerin auf eine Reihe von Umständen, die ihrer Ansicht nach darauf hindeuten, dass ihre Aufnahme in die streitigen Listen negative Auswirkungen auf die Preise von Kalidüngern weltweit habe, was die Ernährungskrise verschärfen könne.
172 In dieser Hinsicht rügt der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, dass dieses Vorbringen insofern unzulässig sei, als die Klägerin kein persönliches und hinreichend unmittelbares Rechtsschutzinteresse dargetan habe, da sie sich nicht auf eine Verletzung ihrer eigenen Rechte, sondern in allgemeiner und abstrakter Weise auf eine Verletzung der Menschenrechte nicht spezifizierter Gruppen von Millionen von Menschen berufe.
173 Im vorliegenden Fall ist unabhängig von dem Interesse der Klägerin, sich auf die Grundrechte Dritter zu berufen, anzumerken, wie der Rat in der mündlichen Verhandlung zu Recht betont hat, dass die von der Klägerin angeführten Beweise nicht die ursprünglichen Rechtsakte betreffen, mit denen das Einfrieren von Geldern verhängt wurde, sondern sich hauptsächlich auf den Handel mit Düngemitteln einschließlich Kalidüngern auf dem Weltmarkt beziehen. Es handelt sich somit um Beweise, die die möglichen Auswirkungen der sektorspezifischen Maßnahmen auf den Kalidünger-Weltmarkt betreffen, was nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Außerdem ist die Klägerin auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung eine Antwort schuldig geblieben, welche von ihr zur Akte gereichten Beweise ergeben sollen, dass die globale Ernährungskrise durch die ursprünglichen Rechtsakte verschärft wurde.
174 Zum einen bezieht sich die Analyse „Pottasche: Analyse der Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit“ von April 2022 unmittelbar auf die möglichen Auswirkungen der Einführung der sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen.
175 Zum anderen umfassen die von der Klägerin vorgelegten Beweise erstens u. a. Artikel, Berichte und politische Erklärungen zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die globale Ernährungskrise. Zweitens enthalten sie allgemeine Informationen über die globale Ernährungskrise. Drittens finden sich dort Artikel und Berichte über die Agrarpolitik und die auf dem Düngemittelmarkt tätigen Unternehmen. Viertens umfassen sie Analysen des Düngemittel- und Kalimarkts.
176 Obgleich sich diese Dokumente auf die globale Ernährungskrise beziehen, betreffen sie folglich nicht die Auswirkungen der ursprünglichen Rechtsakte auf diese Ernährungskrise.
177 Außerdem betreffen einige Beweise, auf die sich die Klägerin beruft, unbestrittene Tatsachen in Bezug auf ihre Tätigkeiten. Zum einen machen die Kaliexporte aus Russland und Belarus laut der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – „Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme“ vom 23. März 2022 (COM/2022/133 final) 40 % des weltweiten Handels mit Kaliumchlorid aus. Zum anderen legt die Klägerin Informationen von Mai 2022 zu ihrer Produktion und ihren Exporten für die Jahre 2018 bis 2021 einschließlich des statistischen Berichts der International Fertilizer Industry Association (Internationale Vereinigung der Düngemittelindustrie) (IFA) aus dem Jahr 2021 vor.
178 Daher ist unter Berücksichtigung der Würdigung der von der Klägerin vorgelegten Beweise und unabhängig von der Frage, ob diese befugt ist, sich auf die Grundrechte Dritter zu berufen (siehe oben, Rn. 173), der Schluss zu ziehen, dass sie nichts vorgetragen hat, was die Behauptung beweisen könnte, die ursprünglichen Rechtsakte hätten die globale Ernährungssicherheit gefährdet.
179 Ferner trägt die Klägerin vor, der Rat habe die mildeste Maßnahme ergreifen müssen, und nennt Beispiele weniger einschränkender Alternativmaßnahmen, die zur Abmilderung der Auswirkungen der Aufnahme der Klägerin in die streitigen Listen hätten getroffen werden können. Sie hat vorgeschlagen, zum einen Voraussetzungen, unter denen die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten Personen und Wirtschaftsteilnehmern aus der Union Genehmigungen für Geschäfte mit ihr bezüglich Einfuhr, Erwerb oder Weitergabe von Kalidüngern und die damit verbundenen Finanzdienstleistungen erteilen können, und zum anderen Quoten für die Lieferung dieser Düngemittel an die Union festzulegen.
180 Ihre Argumentation stützt die Klägerin auf Beweise dahin, dass der Transport von Kalidüngern große Tonnagen sowie einen Seezugang erfordere. Die ursprünglichen Rechtsakte nähmen ihr, indem sie ihr den Zugang zum Hafen von Klaipėda entzögen, die Möglichkeit, ihre Produkte zu exportieren, obwohl andere, weniger einschränkende Maßnahmen in Betracht gekommen seien.
181 Hierzu ist zunächst anzumerken, dass sich dieses Vorbringen, wie oben in Rn. 167 ausgeführt, in Wirklichkeit nicht auf die ursprünglichen Rechtsakte bezieht, die individuelle Maßnahmen darstellen, sondern auf die generellen sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen, da es Letztere sind, die verbieten, Kaliumchloridprodukte direkt oder indirekt einzuführen, zu erwerben oder weiterzugeben.
182 Jedenfalls beweist dieses Vorbringen nicht, dass die Klägerin vollständig am Export ihrer Produkte gehindert ist. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass sie ihre Produkte zu Häfen anderer Länder außerhalb der Union transportieren kann.
183 Überdies betreffen die von der Klägerin vorgeschlagenen Alternativmaßnahmen die Möglichkeiten, Kalidünger in die Union zu exportieren, so dass damit die verfolgten Ziele, d. h. die Personen und Organisationen, die das Regime unterstützen, und daher insbesondere die Personen und Organisationen, die das Lukaschenko-Regime finanziell oder materiell unterstützen, ins Visier zu nehmen, nicht wirksam erreicht werden könnten (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 20. September 2023, Mordashov/Rat, T‑248/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:573, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Rat hat zu Recht angenommen, dass die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Kosten der Beteiligung an der Aggression Russlands gegen die Ukraine für Belarus so zu erhöhen, dass Belarus die weitere Beteiligung unmöglich wird, auch ein Interesse darstellt, das die privaten Interessen der Klägerin überwiegt.
184 Nach alledem sind der vierte Klagegrund sowie der erste, der dritte und der vierte Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
Dritter Klagegrund: Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot
185 Erstens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, sie sei gegenüber dem Unternehmen A ungleich behandelt worden, obwohl dieses, was die Produktion und den Export von Kaliumchlorid angeht, mit ihr vergleichbar sei und restriktive Maßnahmen gegen dieses Unternehmen hätten verhängt werden müssen.
186 Einer der Gründe, auf die die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen die Klägerin gestützt worden sei, liege darin, dass sie eine wichtige Einkommensquelle für den belarussischen Haushalt sei. Die Klägerin und A befänden sich daher in einer vergleichbaren Situation. Vergleichbare Situationen, in diesem Fall die Situation der Kaliproduzenten in Russland und Belarus, seien gleich zu behandeln.
187 In dieser Hinsicht macht die Klägerin geltend, die Beschlüsse des Rates dürften für Belarussen keine schwereren Folgen nach sich ziehen als für Russen.
188 Zweitens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, sie sei im Vergleich zu dem Unternehmen B ungleich behandelt worden, dessen Name mit der Begründung aus den streitigen Listen gestrichen worden sei, dass die restriktiven Maßnahmen gegenüber ihm die gewünschte Wirkung entfaltet hätten. Dies treffe auch auf die Klägerin zu.
189 Es werde ein Verhalten der Klägerin sanktioniert, das nicht nur rechtmäßig gewesen sei, sondern jedenfalls im März 2021 geendet habe, so dass die Sanktionierung mehr als ein Jahr nach dem Ende dieses Verhaltens erfolge.
190 Außerdem scheine es der Rat nicht für notwendig zu halten, gegen europäische Unternehmen, die Arbeitnehmer entlassen hätten, die an rechtswidrigen Streiks teilgenommen hätten, Sanktionen zu verhängen.
191 Der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien und die Republik Lettland, tritt diesem Vorbringen entgegen.
192 Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz, der einen fundamentalen Rechtsgrundsatz bildet, nach der Rechtsprechung das Verbot enthält, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 31. Mai 2018, Kaddour/Rat, T‑461/16, EU:T:2018:316, Rn. 152 und die dort angeführte Rechtsprechung).
193 Was die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung gegenüber dem Unternehmen A anbelangt, ist anzumerken, dass die Klägerin, wie der Rat ausgeführt hat, hinsichtlich restriktiver Maßnahmen anderen Regelungen unterliegt als russische Organisationen.
194 Erstens sehen Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2012/642 und Art. 2 der Verordnung Nr. 765/2006 vor, dass sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen zum einen der Personen, Organisationen oder Einrichtungen eingefroren werden, die als für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich identifiziert wurden oder deren Aktivitäten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Belarus auf andere Weise ernsthaft untergraben, oder der mit ihnen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen sowie der in ihrem Eigentum stehenden und von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, und zum anderen der natürlichen oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die als Nutznießer oder Unterstützer des Lukaschenko-Regimes identifiziert wurden, sowie der in ihrem Eigentum stehenden oder von ihnen kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen.
195 Zweitens werden nach Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/145/GASP des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16) sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, die im Eigentum oder Besitz natürlicher Personen, die für Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, verantwortlich sind, und der mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Anhang dieses Beschlusses aufgeführt sind, stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden.
196 Die Klägerin befindet sich daher in einer anderen Situation als das Unternehmen, auf das sie zum Vergleich verweist, da sie restriktiven Maßnahmen unterworfen ist, die sich auf Aufnahmekriterien stützen, die sich von denen der restriktiven Maßnahmen, denen dieses Unternehmen unterworfen war, unterscheiden.
197 Schließlich könnte sich die Klägerin, selbst wenn der Rat es versäumt hätte, restriktive Maßnahmen gegen andere Unternehmen oder andere Wirtschaftssektoren zu erlassen, auf diesen Umstand nicht mit Erfolg berufen, da der Gleichbehandlungsgrundsatz mit dem großen Wertungsspielraum, über den der Rat bei der Bestimmung des Gegenstands restriktiver Maßnahmen verfügt, in Ausgleich gebracht werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, С-72/15, EU:C:2017:236, Rn. 132, vom 6. März 2024, BSW – management company of „BMC“ holding/Rat, T‑258/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2024:150, Rn. 90, und vom 6. März 2024, Mostovdrev/Rat, T‑259/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2024:151, Rn. 81).
198 Was die behauptete Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber B anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass letzteres Unternehmen zwar in Listen aufgenommen wurde, die auf dem Beschluss 2012/642 – d. h. dem Beschluss, der die Rechtsgrundlage für die Aufnahme der Klägerin bildet – beruhen, die Aufnahmekriterien in diesen beiden Fällen jedoch unterschiedlich waren. So bezog sich das Aufnahmekriterium im Fall von B auf die Erleichterung des illegalen Überschreitens der Außengrenzen der Union, ein Kriterium, das sich von den Kriterien für die Aufnahme der Klägerin in die streitigen Listen unterscheidet.
199 Daher ist festzustellen, dass sich die Klägerin in einer anderen Situation befindet als B.
200 Es ist darauf hinzuweisen, dass restriktive Maßnahmen Sicherungscharakter haben und definitionsgemäß vorläufiger Natur sind, so dass ihre Gültigkeit immer von der Fortdauer der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die ihrem Erlass zugrunde gelegen haben, sowie von der Notwendigkeit abhängig ist, sie zur Erreichung des mit ihnen verbundenen Ziels aufrechtzuerhalten. Daher hat der Rat bei der regelmäßigen Überprüfung dieser restriktiven Maßnahmen eine aktualisierte Bewertung der Lage vorzunehmen und eine Bilanz der Auswirkungen dieser Maßnahmen zu ziehen, um festzustellen, ob sie es ermöglicht haben, die mit der ursprünglichen Aufnahme der Namen der betreffenden Personen und Einrichtungen in die streitige Liste verfolgten Ziele zu erreichen, oder ob im Hinblick auf diese Personen und Einrichtungen nach wie vor dieselbe Schlussfolgerung gezogen werden kann (Urteil vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 58 und 59).
201 Außerdem ist anzumerken, dass die Aufnahme von B auf einer einmaligen Aktivität beruhte, namentlich dem Transport von Migranten, die die Absicht hegten, die Außengrenzen der Union illegal zu überschreiten, in Belarus. Diese Aktivität hat sich nicht wiederholt, so dass dieses Unternehmen aus der Liste gestrichen werden konnte.
202 Dagegen stellt sich die Unterstützung des Lukaschenko-Regimes durch die Klägerin, wie sich aus der Akte und den vom Rat vorgelegten Beweisen ergibt, als fortlaufende Aktivität dar, die nicht geendet hat, da es sich um regelmäßige Geldzahlungen an den Staatshaushalt handelt.
203 Drittens ist, was die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung gegenüber Unternehmern aus Ländern der Union anbelangt, anzumerken, dass mit der Aufnahme der Klägerin in die streitigen Listen ein spezifisches Ziel verfolgt wurde, nämlich den auf das Lukaschenko-Regime ausgeübten Druck zu erhöhen, insbesondere im Kontext der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine sowie der Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Belarus.
204 Wenngleich dieses Vorbringen im Rahmen einer Rechtssache, die restriktive Maßnahmen im Bereich der GASP betrifft und sich daher auf die Außenpolitik der Union bezieht, nicht relevant ist, ist darauf hinzuweisen, dass die Situation von Arbeitnehmern, die von Arbeitgebern innerhalb der Union entlassen wurden, in keiner Weise mit derjenigen der Beschäftigten vergleichbar ist, die von der Klägerin wegen der Teilnahme an einem Streik gegen das Lukaschenko-Regime entlassen wurden.
205 Mithin ist der dritte Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.
206 Nach alledem ist der Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte zurückzuweisen.
Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte
207 Mit einem Anpassungsschriftsatz hat die Klägerin auf der Grundlage von Art. 86 der Verfahrensordnung die Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte beantragt, soweit sie die Klägerin betreffen, und hierbei die in der Klageschrift angeführten Klagegründe und das dortige Vorbringen wiederholt.
208 Der Rat ist der Ansicht, bereits in der Klagebeantwortung und der Gegenerwiderung dargetan zu haben, dass die Klägerin das Lukaschenko-Regime unterstütze und von diesem profitiere, und macht geltend, dass die Beweise, über die er verfüge, es rechtfertigten, den Namen der Klägerin auf den streitigen Listen zu belassen.
209 Im Rahmen des dritten und des fünften Klagegrundes, mit denen sie geltend macht, die Fortsetzungsrechtsakte verstießen gegen das Diskriminierungsverbot bzw. die Begründungspflicht, bringt die Klägerin nichts Neues vor, was über das gegen die ursprünglichen Rechtsakte gerichtete Vorbringen hinausginge.
210 Da der dritte und der fünfte Klagegrund bereits im Kontext der ursprünglichen Rechtsakte geprüft und zurückgewiesen wurden (siehe oben, Rn. 206 bzw. Rn. 43), sind sie aus denselben Gründen zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Fortsetzungsrechtsakte richten.
211 Im Rahmen des ersten Klagegrundes, mit dem ein Verstoß gegen das Gebot rechtmäßigen Handelns gerügt wird, macht die Klägerin geltend, dass das Abkommen der Regierung von Belarus und der Regierung der Republik Litauen vom 3. April 2000 über die Bedingungen des Transits von Frachten aus der Republik Belarus, für den Häfen und andere Transportinfrastruktur der Republik Litauen genutzt werden, ihr gemäß Art. 125 SRÜ ein Recht auf Warendurchfuhr durch litauisches Hoheitsgebiet garantiere. Dieses Abkommen werde durch die restriktiven Maßnahmen gefährdet, was einen Verstoß gegen geltende internationale Verträge darstelle. Außerdem führt sie eine von einem Abkommen vom 5. März 1999 über die Förderung und den Schutz von Investitionen gedeckte Investition in ein Hafenterminal in Litauen ins Feld, die ihr rechtlichen Schutz und vollständige Sicherheit gewährleisten solle. Gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV dürften die Rechte und Pflichten aus diesen Abkommen jedoch durch die Verträge der Europäischen Union nicht angetastet werden.
212 Zu diesem Vorbringen ist zunächst anzumerken, dass im Fall eines etwaigen Verstoßes eines Vertragsstaats gegen bilaterale Abkommen das nationale Gericht oder das auf der Grundlage eines solchen Abkommens bestimmte Gericht für die Entscheidung über eine Klage, mit der der Verstoß gegen diese Abkommen geltend gemacht wird, zuständig ist.
213 Selbst unter der Annahme, dass sich die Klägerin im vorliegenden Fall auf die beiden oben in Rn. 211 genannten bilateralen Abkommen berufen könnte und die Union gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV zu deren Beachtung verpflichtet wäre, ist festzustellen, dass die Klägerin nicht dargetan hat und sich aus der Akte nicht ergibt, ob und inwieweit die oben genannten Abkommen durch die Fortsetzungsrechtsakte berührt werden. Insoweit begnügt sich die Klägerin mit allgemeinen Behauptungen in Bezug auf einen Verstoß gegen die oben genannten bilateralen Abkommen ohne nähere Angaben, wie und wodurch die Bestimmungen der bilateralen Abkommen durch die Fortsetzungsrechtsakte verletzt worden sein sollen. Außerdem ist anzumerken, dass diese Abkommen keine unbedingten Verpflichtungen festlegen, sondern verschiedene Möglichkeiten bieten, davon abzuweichen.
214 Mithin ist der erste Klagegrund aus diesem Grund und aus den Gründen zurückzuweisen, die im Rahmen der Erwägungen genannt wurden, die bei der Prüfung dieses Klagegrundes in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Rechtsakte angestellt wurden.
215 Im Rahmen des vierten Klagegrundes, mit dem die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend macht, trägt sie vor, der Rat habe nicht nur seinen ursprünglichen Beschluss nicht in gebührender Weise überprüft, sondern darüber hinaus die von ihr vor dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte eingereichten Stellungnahmen und beigebrachten Informationen übergangen.
216 Insoweit sei noch einmal wiederholt, dass die restriktiven Maßnahmen, wie oben in Rn. 200 ausgeführt, Sicherungscharakter haben und definitionsgemäß vorläufiger Natur sind, so dass ihre Gültigkeit immer von der Fortdauer der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die ihrem Erlass zugrunde gelegen haben, abhängig ist. Ferner ist es dem Rat nicht verwehrt, sich zur Rechtfertigung der Belassung des Namens einer Person auf der Liste auf die gleichen Beweise zu stützen, die die erste Aufnahme, die erneute Aufnahme oder die frühere Belassung des Namens der betroffenen Person auf der Liste gerechtfertigt haben, sofern zum einen die Gründe für die Aufnahme unverändert geblieben sind und sich zum anderen der Kontext nicht in einer Weise weiterentwickelt hat, die diese Beweise hat obsolet werden lassen. Dieser Kontext umfasst nicht nur die Situation des Landes, dem gegenüber das System restriktiver Maßnahmen eingeführt wurde, sondern auch die individuelle Situation der betroffenen Person (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).
217 Im vorliegenden Fall wirft die Klägerin dem Rat in ihrem Anpassungsschriftsatz zu Unrecht vor, er habe seine Pflicht zur periodischen Überprüfung verletzt.
218 Zum einen hat nämlich der Rat die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 über seine Absicht, die Anwendung der restriktiven Maßnahmen gegen sie zu verlängern, informiert und zusätzliche, von ihm im Rahmen der jährlichen Überprüfung der Maßnahmen herangezogene Beweise beigefügt, und die Klägerin hat zur Verlängerung der Maßnahmen und den neuen Beweisen mit Schreiben vom 12. Januar 2023 Stellung genommen.
219 Zum anderen hat der Rat mit Schreiben vom 24. Februar 2023 auf die Stellungnahme der Klägerin erwidert. Dieses Schreiben enthielt detaillierte Argumente, mit denen die Gründe erläutert wurden, aus denen der Rat das Vorbringen der Klägerin nicht als ausreichend ansah, um seine Beurteilung zu ändern, und die weitere Anwendung der restriktiven Maßnahmen gegen sie als angemessen erachtete.
220 Die Klägerin hatte somit vor dem Erlass der Fortsetzungsrechtsakte Gelegenheit zur Stellungnahme und ihre Einwendungen wurden vom Rat berücksichtigt.
221 Soweit die Klägerin außerdem im Wesentlichen das bereits im Rahmen der Prüfung des vierten Klagegrundes im Kontext der ursprünglichen Rechtsakte zurückgewiesene Vorbringen wiederholt, ohne neue Argumente in Bezug auf die Fortsetzungsakte beizubringen, ist dieses Vorbringen auch im Kontext der Fortsetzungsrechtsakte zurückzuweisen.
222 Mithin ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.
223 Im Rahmen des zweiten Klagegrundes beruft sich die Klägerin auf eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung und eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2012/642.
224 Hierzu ist erstens anzumerken, dass die Begründung der Fortsetzungsrechtsakte und diejenige der ursprünglichen Rechtsakte identisch sind, soweit sie die Klägerin betreffen. Des Weiteren wiederholt die Klägerin die bereits gegen die ursprünglichen Rechtsakte angeführten Argumente. In seiner Beantwortung wiederholt der Rat die Argumente, die er bereits zur Rechtfertigung der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Rechtsakte vorgebracht hat.
225 Hieraus folgt, dass die Klägerin aus den oben in den Rn. 79 bis 104 und 113 bis 124 genannten Gründen nicht dargetan hat, dass die Begründung der Fortsetzungsrechtsakte mit einem Beurteilungsfehler hinsichtlich der Frage behaftet ist, ob sie das Lukaschenko-Regime unterstützt, davon profitiert und für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich ist. Die Klägerin räumt nämlich selbst ein, dass die Beweise, die der Rat am 21. Dezember 2022 vorgelegt hat, mehrheitlich dieselben sind wie diejenigen, die herangezogen wurden, um ihre erstmalige Aufnahme in die streitigen Listen zu rechtfertigen. Hinsichtlich der übrigen Beweise ist anzumerken, dass die Klägerin keine Argumente vorbringt, die die Begründung ihrer Belassung in den streitigen Listen in Frage stellen könnten. Insoweit zeigen die auf der Website der Klägerin verfügbaren Informationen, die der Rat in dem Arbeitsdokument 17500/22 INIT als Beweise herangezogen hat, dass sie sich selbst kontinuierlich als „eine[n] der weltweit größten Produzenten und Exporteure von Kalidünger“ mit einem Anteil von „ein[em] Fünftel [an] der weltweiten Kaliproduktion“ beschreibt, der „seine Produktionsvolumina jedes Jahr steigert, seine Position auf den traditionellen Märkten hält, in andere vordringt und dort seine Positionen stärkt, neue Düngerarten entwickelt und herstellt“. Somit hat sich der Kontext der Belassung der Klägerin in den streitigen Listen gegenüber ihrer erstmaligen Aufnahme in die streitigen Listen nicht in einer Weise weiterentwickelt, die die anderen Beweise hat obsolet werden lassen, so dass der Rat berechtigt war, die Aufnahmegründe heranzuziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Kaddour/Rat, T‑510/18, EU:T:2020:436, Rn. 99).
226 Zweitens sind die Gründe, auf denen die Beurteilung beruht, wonach die Klägerin das Lukaschenko-Regime unterstützt, davon profitiert und für die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich ist, hinreichend bestimmt und konkret, beruhen auf einer fehlerfreien Tatsachenwürdigung, sind frei von Rechtsfehlern und stellen für sich allein eine ausreichende Grundlage für die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen dar.
227 Folglich sind der zweite Klagegrund und damit der Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte als unbegründet zurückzuweisen.
228 Nach alledem ist die vorliegende Klage insgesamt abzuweisen, ohne dass es der von der Klägerin beantragten Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, die das Gericht gemäß Art. 92 Abs. 1 der Verfahrensordnung anordnen kann, wenn es sie für sachdienlich hält.
Kosten
229 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag des Rates ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.
230 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher tragen das Königreich Belgien und die Republik Lettland ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Belaruskali AAT trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates der Europäischen Union einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.
3. Das Königreich Belgien und die Republik Lettland tragen ihre eigenen Kosten.
da Silva Passos
Gervasoni
Półtorak
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. September 2024.
Unterschriften